Schule des Rades
Arnold Keyserling
Das große Werk der göttlichen Hände
II. Teil:Die rechte Hand der Sonne
9. Neptun
In der Wassermannzeit ist nicht mehr die Natur mit Fauna und Flora, sondern die Technologie der Gegenpol des Menschen. Es gibt keine Probleme des Überlebens, die technisch nicht zu lösen wären. Daher die Rolle der beiden gegensätzlichen politischen Richtungen Amerikas und Russlands, die in der Noosphäre der Erde die Großhirnhemisphären vertreten: Gleichheit der Gelegenheiten als Ideal im Westen, Verhinderung falscher Hierarchien im Osten. Für sich allein führt der Westen zur Überschätzung von Produktivität und Reichtum, der Osten zur Überbewertung von Sicherung und Macht. Aber beide gemeinsam durch ihre atomare Übermacht zerstören die traditionellen Hierarchien, die in einer Elite sei es erblicher, sei es besitzlicher Art Menschen hervorhoben und nicht jedem die Mitmenschlichkeit zuerkannten.
Der plutonische Lehrer betrachtet sein Wissen nicht als Monopol, sondern übermittelt es anderen, auf dass die Lebensbedingungen nicht zur Hölle werden und der Mensch den Maschinen untergeordnet wird. Der Lehrer soll selbstlos sein aber gleichzeitig ist er selbst ein Ich, er muss Überleben. In früheren Epochen wurde ein verdienter Mensch in Europa geadelt, so dass er keine Sorge mehr für das Überleben trug und sich ganz dem Mitmenschen zuwenden konnte. Besitz war Lehen, vom Kaiser im Reich verliehen. Doch seit dem Hochmittelalter verwandelt sich das Lehen zum bestätigten Besitz und der Adel vom Dienst am Reich zu einer Elite. In englischer Formulierung wurden die höheren Stände als moralisch besser betrachtet, sozialer und ethischer Aufstieg wurden synonym. Die Unmenschlichkeit dieser Einstellung ist offensichtlich. In der Wassermannzeit ist nun ein jeder Mitwirkender und jeder Arbeiter ist, wie das Evangelium sagt, seinen Lohn wert.
Seit der Aufklärung wurde die Religion zur Intimsphäre und durch die Kirchensteuer wirtschaftlich aufrechterhalten, nicht vom Charisma des einzelnen Priesters getragen. Die Liturgie hatte ihren Schwerpunkt im intimen Nacherleben der Heilsgeschichte; profanes und heiliges Leben, Werktag und Sonntag waren getrennt. Vom Denken und der Sprache her bedeutet der Unterschied zwischen profan und heilig Ichbezogenheit und Allbezogenheit; niemand kann allbezogen werden, der nicht zuerst ichbezogen ist. Jeder muss heute einschätzen, was sein Unterhalt verlangt, um nicht standesgemäß, sondern bedürfnisgemäß leben zu können, indem er vom anderen seinen Lohn verlangt, wenn er etwas für ihn tut. und sich nur um die Qualität seiner Leistung kümmert.
Linke und rechte Hand entsprechen einander. So ist Neptun die höhere Stufe des Tieres und damit des Schwertträgers. Die Indianer wissen es noch, dass die Erkenntnis des eigenen Tieres die magische Rückbindung zur Erde schafft. Meine Rückbindung zum Frosch verlangt oben und unten, Erde und Wasser zu verbinden; die Vereinigung der linken und rechten Hand ist gleichsam meine Froscharbeit.
Der Adel war seit jeher tierhaft in seiner Verbindung zum Pferd und zur Jagd. Doch vergaßen seine Glieder oft die persönliche Entwicklung, schlossen sich ab und wurden nur noch zu schönen Tieren, wenn sie ihr Schwert nicht mehr zum Besten anderer einsetzen konnten. Heute hat der damalige Schutz vor Übergriffen anderer, wie die Femgerichte Otto des Großen, sein Zerrbild in der Mafia oder in der Pfründeverteilung der politischen Parteien und esoterischen Geheimbünde.
Es gibt keine Auslese, die der Mensch nicht aus eigener Wahl schafft. Sie bedeutet Bekenntnis zu einem der Schwerter, mittels dessen er den Frieden fördert. Die soziale Welt wird durch die Vorbilder gelenkt, die als selbstlose Wesen einleuchten; sie erhalten ihre Begnadung von oben und bedeuten eine bestimmte Rolle des höheren Selbst, das wie im vorigen Kapitel geschildert rechts und links vereint. Das Symbol dieses Selbstes war die Krone — der Herr mit fünf Zacken, der für einen Ort einsteht; der Freiherr mit sieben, der bereits eine Truppe aufstellt; der Graf, der die Steuer eintreibt, und der Prinz, Fürst, Herzog, König und Kaiser, dessen Krone rechts und links vereint und für einen Engel oder Erzengel steht.
Die Sehnsucht nach diesen Symbolen ist jedem Menschen inhärent; doch in der Wassermannzeit ist sie Wahl des Einzelnen. Durch seine Arbeit, die selbstlos anderen das zum Nutzen schafft, was für ihn selbst sinnvoll ist, muss er den Mut haben, die entsprechende Gegenleistung zu fordern, indem er eines der Schwerter annimmt, das ihm aus seiner Vision und seiner Überlegung als das richtige erscheint.
Ich erkenne mein Schwert aus meiner Wunde, unter der ich bis zu dem Augenblick leide, da mir klar wird, dass ich es nicht für mich sondern für andere einsetzen kann. Dann habe ich Charisma und Fortuna und mein Werk wird gesegnet.
Im Großen Werk war diese siebte Stufe der Aufstieg der Seele, dargestellt in der Taufe; man übergibt sich dem Himmel, erhält einen Namen, der zum Familiennamen als Vorname, als Weg eines Heiligen hinzutritt, so wie Jesus erst nach seiner Taufe durch Johannes im Jordan zu Christus wurde.
Jedes der Schwerter dient dazu, eine andere Art des Friedens zu schaffen, verbindet den Menschen mit seiner sonnenhaften Aufgabe und Berufung, gleich wie das Tier durch den Gattungsinstinkt in das Ganze eingeordnet ist und nicht aus seinen Strategien fällt. Für die Indianer sind die Tiere sowohl unsere Helfer, von denen wir uns ernähren und kleiden, als auch unsere Lehrer, weil sie das sind, was wir bewusst erringen müssen. Sein Tier wirklich zu verstehen verlangt das Pirschen
; es in all seinen Äußerungen und Möglichkeiten zu begreifen und dann dieses Wissen auf die menschliche Welt zu übertragen.
Ich kenne einen Indianer, Hyemeyohsts Storm, der dieses ursprüngliche Wissen noch hat, ihm verdanken wir nicht nur die Erkenntnis des Raumkreises, sondern auch den Ritus des Schwertes. Ich kann nur eine von neun Rollen für die neue Erde und damit die menschliche Kommunion haben, die früher als Kirche bezeichnet wurde.
- Lehrer: Ich befreie den Menschen durch rückhaltslose Erklärung des Wissens von der Eigenmächtigkeit der Dinge und erlaube ihm, aus der Statik des Ichbildes in die Dynamik des Arbeiters aufzusteigen.
- Walter: Ich helfe dem Anderen, seine Umstände durch die Übersicht aller Bedingungen so zu klären, dass er seinen beruflichen Weg finden kann.
- Kämpfer: Der wahre Kämpfer ist jener, der den Egoismus überwindet und dem Besiegten zu seiner Würde verhilft, so wie König Arthur im Mythos seine Ritterwürde von jenem Krieger über den Ritterschlag empfing, den er vorher besiegt hatte. In der Überwindung der Feindschaft findet der Kämpfer sein Schwert.
- Schlichter: Der Neptun in seiner ureigenen Rolle; das Sechseck im Rad weist in die Mitte. Der Schlichter ist die Vollendung des Richters. Der Sinn des rechten Zeigefingers ist das Schreiben: Gesetze, die nicht aufgeschrieben sind, sind keine Hilfe, und immer wieder müssen sie im Sinne des römischen Rechts erneuert werden, um dem einzelnen die freie Aktualisierung zu ermöglichen.
- Unternehmer und Händler: Der Träger des merkurischen Schwertes ist imstande, anderen zur Initiative zu verhelfen, sie finanziell zu beraten und über den Austausch von Geld und Waren in der Wirtschaft dafür zu sorgen, dass der Reichtum sich vermehrt.
- Sorger: Das Schwert des Mondes ermöglicht, die Qualität des Lebens auf allen Gebieten zu vermehren und damit die Pflanzenhaftigkeit des Menschen so zu fördern, dass das Leben der Entfaltung dient.
- Forscher: Nur das was objektiv erkennbar ist und ohne Rückbindung zum Entdecker verstanden wurde — wie wir uns beim Gebrauch der Relativitätstheorie nicht an Einstein erinnern müssen — kann zur Grundlage des uranischen Werdegangs werden. Uranus entspricht dem Mittelfinger der rechten Hand. Sobald einer sich selbst als aus Komponenten gefügt erlebt, überwindet er den Egoismus und kann andere selbstlos fördern.
- Gestalter: Die Welt ist nur dann kosmisiert, wenn sie im Sinne der Venus schön und harmonisch ist. Jedes Gebäude, das nicht den Gesetzen von Raum und Zeit entspricht, jede Kleidung, die das Wesen nicht zum Ausdruck bringt, zerstört die Einheit von Gebärde und Wesen. Wer das Schwert der Venus hat, kann selbst die Welt verschönern und darüber hinaus andere zu ihrer Gestaltungsfähigkeit bringen.
- Heiler: Jupiterische Heilkraft bedeutet, den anderen zum Sein durchstoßen zu lassen, ohne sich in Methodik und Technik zu verlieren. Niemand heilt, immer geht die Kraft durch den Menschen hindurch.
Der Weg der neun Schwerter verlangt, es sich zuzuerkennen. In der mittelalterlichen Handwerkstradition bedeutete es so viel wie vom Gesellen zum Meister zu werden, der imstande ist, Lehrlinge auszubilden. Doch heute ist nicht mehr der Ritterschlag oder die Meisterweihe der Einstieg, sondern der Ritus der Erdgöttin, den ich von Storm gelernt habe. Wir haben ihn im Jahreskreis auf den christlichen Karfreitag gelegt, als Erinnerung an den Tag, da die Überwindung des Todes augenfällig wurde. Der Ritus hat folgende Schritte.
- Der Adept legt sich mit dem Kopf nach Osten und hört auf das Trommeln im Theta-Rhythmus. Alsdann wäscht er mit Hilfe eines anderen die Vergangenheit ab, ähnlich wie in der zweiten Stufe des Asklepios-Ritus.
- Er geht ins Erdheiligtum oder in den Wald und bestürmt die Erdgöttin, ihm den Ort seines Schwertes zu zeigen.
- Im Bewusstsein der Himmelsrichtungen dreht er sich im Kreis, imaginiert einen Spiegel und sucht, in welcher Richtung er sein Bild klar visualisieren kann.
- Er öffnet den Spiegel in der Mitte gleich einem Fenster und zeichnet im Geist die Umrisse seiner
Göttin
. - Nun wird die Vision selbständig, die Göttin überreicht ihm sein Schwert, wobei er darauf achten muss, wie es aussieht und in welcher Haltung sie es überreicht: senkrecht, waagrecht, schief, mit der Spitze oder dem Knauf. Aus der Richtung offenbart sich die Rolle des persönlichen Schwertes im Werk.