Schule des Rades
Arnold Keyserling
Klaviatur des Denkens
1. Zahl
Zahlenarten · 4. Dimension: Raumzeitzahlen
Mit der vierten Dimension ist die Wirklichkeit erreicht, deren Charakter durch das Werden bestimmt ist. Schwingende Körper zeigen auf Grund des gemeinsamen Mediums der Austauschgeschwindigkeit bestimmte Verhältnisse: sie treten in Beziehung, in Resonanz zueinander. Die entsprechenden Zahlen sind dem Bewusstsein nicht durch Abstraktion, sondern unmittelbar als Tonzahlen zugänglich.
Um die vierte Dimension zu veranschaulichen, bilden wir einen zweiten Mittelpunkt durch Fällung des Lotes von beiden Endpunkten der Achsen des Divisionsfeldes. Wo diese zusammentreffen und gleichzeitig die Einserdiagonale schneiden, bestimmen sie das Zentrum eines neuen Koordinatenkreuzes, dessen linke waagrechte Achse die Maß-Raum-Verhältnisse und dessen rechte die Zeit-Schwingungsverhältnisse ablesen lässt.
Wird die neue linke Achse als Saite eines Musikinstruments mit Länge eins aufgefasst, so zeigen die Schnittpunkte der verlängerten Diagonalen der Körperzahlen die Punkte an, wo sie in Sekundärschwingungen gerät; symmetrisch dazu zeigen die Schnittpunkte mit der rechten, senkrechten Achse die entsprechenden Frequenzen (der Schwingung) an:
- Die ganze Saite schwingt als
1
. - Die Hälfte der Strecke hat die doppelte Frequenz der Schwingung,
- ein Drittel der Strecke die dreifache Frequenz,
- ein Viertel der Strecke die vierfache und so fort.
Die Schwingungen erreichen ihre eigene Wirklichkeit als Medium der vierten Dimension nicht im Körper selbst, sondern beim Schall in der Luft. Hier tritt nun eine neue Art der Zahlen auf: die Tonzahlen.
Nehmen wir eins als den Tonwert c, weil das menschliche Ohr als unterste (tiefste) Luftschwingung 16 p.S. vernimmt, so ergeben sich im Bereich des Divisionsfeldes folgende Tonzahlen, wobei die Schwingungsbäuche
erklingen:
(die Schwingungsknoten
bleiben stumm)
1/1
als Maß,1/1
als Schwingung erklingt als c.1/2
als Maß,2/1
als Schwingung erklingt als höhere Oktave c’, wird also als gleicher Tonwert vernommen.
Bei den Dritteln erhalten wir nun drei Drittel der Saite bei zwei Diagonalen: 1/3
und 2/3
Maß, 3/1
und 3/2
Schwingung. Hier also erscheint die Charakteristik der neuen Zahlart: jedes Drittel — da es die gleiche Schwingung erzeugt — erklingt als g; des weiteren jedes Viertel — mit Ausnahme des auf einen niederen Bruch kürzbaren 2/4 = 1/2
erklingt als höheres c, jedes Fünftel als e, jedes Sechstel als Oktave von g, jedes Siebtel als b, jedes Achtel als dritte Oktave von c, und jedes Neuntel als d. So zeigen die Diagonalen des Divisionsfeldes folgende primäre Tonzahlen:
1
c
·
·
2
c
·
·
3
g
·
·
4
c
·
·
5
e
·
·
6
g
·
·
7
b
·
·
8
c
·
·
9
d
Da nun die Oktaven, das Verhältnis von 1/2
Maß, 2/1
Schwingung, als Gleichklang auftreten, lassen sich die Tonzahlen auf fünf Tonwerte zurückführen; in einen Oktavraum reduziert:
c · d · e · g · b
Wie die Flächenzahlen, so entstehen auch die Raum-Zeit-Zahlen parallel zu den Achsen, wobei der Tonwert durch die mittlere Diagonale bestimmt wird. Wesentlich für die vierte Dimension sind aber nicht die Töne, sondern die Verhältnisse zwischen ihnen, die Intervalle. Zwischen den ersten neun Tönen ergeben sich folgende Spannungen:
0-1
Prim
1-2
2-3
3-4
4-5
5-6
6-7
7-8
8-9
Oktave
Quinte
Quarte
Große Terz
Kleine Terz
(Kleine Terz)
(Große Sekund)
Große Sekund
Das Werden der Wirklichkeit wird für das Bewusstsein durch das Klingen und Verklingen der Töne bestimmt, die nur im Rahmen der gegebenen Intervalle in Resonanz bzw. Konsonanz treten können; anders ausgedrückt: die Struktur der raumzeitlichen Wirklichkeit wird durch die Intervallverhältnisse bestimmt, die sich zu einem Ganzen, einem System zusammenschließen.
Das Divisionsfeld mit seiner 1-Diagonale bestimmt jeweils einen Körper als Tonträger; seine Beziehungsvielfalt wird durch die Drehung der Diagonale um den neuen Mittelpunkt zur Darstellung gebracht. Da die Oktave als Gleichklang erklingt und das c als Grundton vernommen wird, müssen die übrigen Tonwerte mit c in Beziehung treten. Hierdurch entsteht ein neuer Kreis im Radius der Diagonale:
Die Aneinanderreihung des ersten Intervalls, mit welchem ein neuer Tonwert auftritt — nämlich der Quinte — ergibt einen Rahmen von zwölf aufsteigenden Tonzahlen, der sich über sieben Oktaven erstreckt. Als Bewegungsintervall wird die Quinte hierbei durch die Maßzahl der Schwerkraft, das Verhältnis abewandelt; der temperierte
Quintenzirkel erhält damit folgende zwölf Tonwerte:
c · g · d · a · e · h · fis · cis · gis · dis · b · f
Hiermit ist als erstes ein Tonraum von sieben Oktaven gewonnen. Die Quarte führt aber nun vom c in gegensätzlicher Richtung nach g (4c - 3g): der gleiche Tonwert wird nach oben durch eine Quinte, nach unten durch eine Quarte erreicht. Diese kehrt nach einer Spannweite von 5 Oktaven zum Grundton c zurück; hiermit erweitert sich der Tonzahlenbereich auf zwölf Oktaven.
Das Entstehen des Zahlensymbols lässt sich geometrisch aus dem Verhältnis der Diagonale zu zwei Achsen ablesen, der rechten des Zahlenkreuzes und der Zeitachse der vierten Dimension. (Laut pythagoräischem Lehrsatz ist die Summe der Kathetenquadrate gleich dem Hypotenusenquadrat. Da hier die Länge beider Katheten 1
beträgt, erhält die Hypothenuse den Wert .)
Die bisher besprochenen Zahlen vereinten alle stetigen und unstetigen Charakter, Einheit und Abstand, Raum und Zeit. Die Wurzelzahlen aber bedeuten nur eine Anweisung zum zeitlichen Rechnen, keine räumlich bestimmbaren Einheiten. Daher sind sie auch nicht losgelöst als Kriterien zu betrachten, sondern sie treten dann auf, wenn es gilt, die Tonzahlen aufeinander in der Zeit abzustimmen, sie bedeuten also die Ergänzung der Oberton-Intervalle, sobald diese nach Konsonanz, nach Verschmelzung mit einem anderen Ton drängen. Jeder Intervall hat eine bestimmte Toleranz der Abweichung, die sich zwischen seinem tonalen und temperierten Ausdruck erstreckt. Im zwölfgeteilten Kreis der Quinten und Quarten finden die anderen Intervalle ihren Platz:
die temperierte Große Terz, | innerhalb drei Schritten; | |
die temperierte Kleine Terz, | nach vier Schritten; | |
die temperierte Große Sekund, | nach sechs Schritten. | |
Neu treten hinzu: | ||
der Triton, | und | |
der Halbtonschritt, (Kleine Sekund) |
Von den Intervallen gesehen wird die Tatsache, dass die Oktave als Gleichklang erscheint, mittels des Kreises ausgedrückt.
Jeder der Intervalle mit Ausnahme der Oktave als Gleichklang zeigt eine Toleranz, die durch die Abweichung der tonalen von den temperierten Intervallen bestimmt wird:
Intervall |
tonal |
||
Oktave | 2/1 |
2 |
:1 |
Triton | |||
Quinte | 3/2 |
1,5 |
:1 |
Quarte | 4/3 |
1,33 |
:1 |
Gr. Terz | 5/4 |
1,25 |
:1 |
Kl. Terz | 6/5 |
1,2 |
:1 |
Gr. Sek | 9/8 |
1,125 |
:1 |
Kl. Sek. |
temperiert |
Abweichung |
|
2 |
:1 |
0 |
1,414… |
:1 |
|
1,498… |
:1 |
0,002 |
1,334… |
:1 |
0,001 |
1,259… |
:1 |
0,009 |
1,189… |
:1 |
0,011 |
1,122… |
:1 |
0,003 |
1,059… |
:1 |
7/6
fällt in den Rahmen der kleinen Terz, 8/7
in den der großen Sekund. Somit ist durch den zwölfteiligen Kreis mit seinen 360 Graden der Bereich des Tonraumes umgrenzt, wobei wir die Tonwerte des Quintenzirkels in Abständen zu 30° gegen den Uhrzeiger eingetragen haben.
Da nun die Gehörsgrenze nach unten durch die Sinnesschwelle mit 16 pro Sekunde gegeben ist, lässt sich der raumzeitliche Rahmen des Schallbereichs folgendermaßen bestimmen:
TON |
ZeitSchwingungen p.S. |
RaumWellenlänge in m * |
||||
(144) |
c | 65536 |
0 |
,005 |
||
c | 32768 |
0 |
,01 |
|||
c | 16384 |
0 |
,02 |
|||
c | 8192 |
0 |
,04 |
|||
c | 4096 |
0 |
,08 |
|||
c | 2048 |
0 |
,17 |
|||
c | 1024 |
0 |
,34 |
|||
Zeu- (60) |
c | ger- | 512 |
ton | 0 |
,69 |
c | 256 |
1 |
,38 |
|||
c | 128 |
2 |
,75 |
|||
c | 64 |
5 |
,5 |
|||
c | 32 |
11 |
||||
(1) |
c | 16 |
22 |
Jeder schwingende Körper steht durch seine Obertöne mit anderen in Resonanz. Ferner aber verdichtet sich der Tonraum durch die Kombinationstöne. Zwei erklingende Töne lassen als Luftschwingung mit noch stärkerer Intensität als die Obertöne ihre Summe und Differenz erklingen:
Differenz
1
c4
cKombination
4
c + 5
e3
g + 7
bSumme
9
d10
eDie Tonzahlen bestimmen die Grundlage des Werdens, der raumzeitlichen Wirklichkeit. Zwar geht der menschliche Hörbereich durchschnittlich nur bis etwa 20 000 Hertz; doch die darüberliegenden Töne bis 65 536 gehören qualitativ dazu und sind für andere Lebewesen vernehmbar. Im menschlichen Größenbereich — der durch die beiden Achsen bestimmt wird — ergibt das Hören den Rahmen, mittels dessen das Werden bewusst wird.