Schule des Rades
Arnold Keyserling
Das magische Rad Zentralasiens
II. Kosmogonie
Das pythagoräische Chi
So ist das Wissen der Weisheit keine Abstraktion, sondern unmittelbares Innewerden. Alles was für uns Wirklichkeit bedeutet, ist eine sinnliche Gegebenheit, und das nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht. Töne sind ebenso über die Ohren hörbar, wie in der Vorstellung konstruierbar und im Traum erfahrbar. So umfassen die Sinne Diesseits und Jenseits als eine Welt, deren Struktur und Entstehung durch das Zahlenkreuz im Rad erkennbar wird. Sein Entdecker, Pythagoras, bezeichnete es als Chi. Den oberen Teil, das Multiplikationsfeld hieß er Gamma, den unteren als Erzeuger der Töne und der harmonisch geometrischen Verhältnisse Lambdoma. Wir wollen nun seine Entdeckung nachvollziehen, wie er nämlich aus den Tönen und Intervallen die Mathematik als ratio essendi, als Seinsvernunft ableitete.
Ein Ton entsteht, wenn eine Saite in Schwingung versetzt wird. Sie schwingt zuerst der Breite nach, dann der Länge. Die Obertöne entstehen nacheinander. Sie gliedern die Saite in zwei Halbe, drei Drittel, vier Viertel usw. bis zu zehn Zehntel. Ihre Gegenform bilden die Untertöne, die etwa in einer Glocke erklingen: einmal der Umkreis, zweimal, dreimal usw. Obertöne und Untertöne bestimmen die Tonwelt und haben ihre Grundlage in den Tonzahlen. Diese haben drei Komponenten: Maß und Schwingung, die umgekehrt reziprok zueinander sind und die Tonwerte, die Sinnesqualitäten. Betrachten wir ihre Wechselverhältnisse im einzelnen:
10
as 9
b 8
c 7
d 6
f 5
as 4
c 3
f 2
c1
c 2
c 3
g 4
c 5
e 6
g 7
b 8
c 9
d 10
e
Die Töne sind zeitlich, die Intervalle räumlich, die Tonwerte raumzeitlich. Folgende Intervalle entstehen:
- zwischen 1 und 2 ist die Oktave,
- zwischen 2 und 3 die Quinte,
- zwischen 3 und 4 die Quarte,
- zwischen 4 und 5 die große Terz,
- zwischen 5 und 6 die kleine Terz,
- zwischen 6 und 7 die übermäßige Septime,
- zwischen 7 und 8 die verringerte Septime,
- zwischen 8 und 9 die große Sekund,
- zwischen 9 und 10 auch die große Sekund.
10/9 und 9/8 werden als das gleiche Intervall vernommen. Damit zeigt sich auch in der Tonwelt die Begrenzung der Ziffern auf 9. Das 9. Intervall gilt als Ganztonschritt, während die weiteren als Akkorde betrachtet werden.
Betrachten wir die Erzeugung des Tones von der Saite her: die ganze Saite schwingt im Zeugerton c, die beiden Hälften in der Oktave c, die drei Drittel als g, die vier Viertel als c, die fünf Fünftel als e, die sechs Sechstel als g die sieben Siebtel als b, die acht Achtel als c, und die neun Neuntel als d.
Verlängert man die Saite auf die doppelte Länge, so kann man die Gegenform der Untertöne darstellen. Die Obertöne erklingen nacheinander in allen Körpern, die sich der ersten Dimension annähern; die Untertöne erklingen gleichzeitig in zweidimensionalen Flächen und dreidimensionalen Volumen, nicht nacheinander sondern zusammen. So können wir die Untertöne als Vergangenheit, als Erinnerung betrachten, die Obertöne als Wege in die Zukunft.