Schule des Rades
Arnold Keyserling
Das magische Rad Zentralasiens
II. Kosmogonie
Fühlen - Atom - Pflanze - Erde - Körper
Traumbilder sind dreidimensional, man kann gleichsam um sie herumgehen und drin spazieren. Sie bilden Keime der Entfaltung. Der Traum ist unterbewusst, sein Subjekt ist jenseits der Todesschwelle. Das Selbst existiert nach dem Tod in der Traumwelt. Daher kann während der irdischen Existenz die Traumsphäre artikuliert werden, um Zugang zum Wachstum des Wesens zu gewinnen.
Im Fühlen sind die Kriterien der Traumbilder die vier Elemente, Feuer, Erde, Luft, Wasser. Taucht eines von ihnen in einem Traum auf, dann bedeutet es die Aufforderung, die entsprechende Funktion zu entfalten. Fliegen bezieht sich auf die Luft des Denkens, Tauchen ins Wasser auf Vertiefung des Fühlens, Graben oder Arbeit an der Erde Steigerung des Empfindens, und schließlich Feuer oder ein Todestraum die Motivation, eine ganzheitliche Entscheidung zu treffen.
Die vier Triebe - Sicherung, Nahrung, Aggression und Sexualität — zeigen echte Ansätze zur Heilung. Hier war der Rationalismus irreführend, wenn er das vernünftige Verhalten als einziges Richtmaß nahm und den Zusammenhang mit der eigenen Natur, der pflanzlichen und auch der tierischen leugnete. Rationalität ist Werkzeug des Wesensaufbaus, aber nicht dieser selbst. Letztlich sehnt sich jedes Wesens nach der Einung mit der Großen Singularität Gottes. Alle sind im Zusammenhang, aber werden nur die Einstimmung erreichen, wenn sie es wünschen.
Paracelsus verkündete, für jede Krankheit sei ein Kraut gewachsen und man könne die Heilbedeutung einer Pflanze aus ihrer Ähnlichkeit mit einem Organ, ihrer Signatur erkennen, wie etwa bitterer Geschmack anzeigt, dass die Pflanze der Galle gut tut. Über neunzig Prozent aller Heilmittel sind zufällig entdeckt worden. Man muss die Heilpflanzen an gewissen Orten pflücken, zu bestimmten Zeiten, die noch die Kräuterfrauen wissen.
Man muss mit Pflanzen reden; man kann Bäumen nach afrikanischer und indianischer Überlieferung Krankheiten abgeben, wenn man sie bittet, die fehlgeleitete Energie abzuleiten.
Die zweite Komponente der Traumwelt und der Pflanze entstammt der Sehnsucht nach vollendeter Gestalt, die im Pflanzenreich physiognomisch erkennbar ist; die Silhouette eines Apfelbaums ähnelt dem Apfel, die eines Birnbaums der Birne.
Der menschliche Organismus ist zwölffältig nach dem Urbild des Tierkreises zu begreifen. Wenn ein Glied oder ein Organsystem krank ist, kann das auf mangelnde Entwicklung oder Tätigkeit hindeuten, weil der Sinn Leben und Tod umfasst. Erkennt man die Bedeutung der Krankheit im Schlüssel der Astrologie, dann kann man sie vielleicht heilen. Kultur ist pflanzlich, kommt etymologisch vom Bestellen des Feldes. Habe ich eine bestimmte Krankheit, so kann ich ihre Wurzeln durch den Tagtraum erkennen, indem ich sehe, welcher Körperteil mir nackt in einer Vision nicht gefällt oder besondere Aufmerksamkeit heischt; auch Schmerz bedeutet, dass dieses Organsystem in den Vordergrund tritt. Der Physiognomie entsprechen physiologisch und psychologisch und auch kulturell bestimmte Gebiete, die durch die Inbegriffspaare zu erkennen sind:
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.Kopf
Nacken
Arme
Brust
Rücken
Bauch
Hüften
Geschlecht
Oberschenkel
Knie
Unterschenkel
FüßeGehirn
Haut
Lunge
Magen
Herz
Eingeweide
Nieren
Muskeln
Leber
Gelenke
Skelett
MilzPerson
Lebensunterhalt
Lernen
Heim
Kinder
Arbeit
Gemeinschaft
Tod
Aufgabe
Beruf
Freundschaft
ErfüllungPolitik
Kunst
Wissenschaft
Psychologie
Pädagogik
Wirtschaft
Recht
Krieg
Religion
Staat
Zivilisation
Heilkunst
Die rationale Abspaltung des Ich vom Selbst führte dazu, dass der Kontakt mit der entsprechenden Organvorstellung abriss und damit der Zugang zur Lebenskraft, der ersten Schale des Uratoms. Der Organismus löste sich sozusagen bei Lebzeiten auf. Nur wenn wie in den alten Traditionen der Aufstieg innerlich gewollt ist und man jede Krankheit als Weg erkennt, wird es möglich, ganzheitlich im Einklang mit der Pflanze zu leben.
Die materia medica der Homöopathie hat recht: die Heilmittel des Wachstums können nur empirisch gefunden werden. Aber durch die Erkenntnis des Uratoms ist eine Orientierung möglich, die nicht nur nützlich ist sondern auch sinnvoll. Der Aufstieg verlangt nicht nur die Zielsetzung der Theosis, der Vergottung, sondern auch die Rückbindung an den Urgrund der Erdmutter, den mineralisch-pflanzlichen Ursprung unseres Wesens.
Viele Menschen erlangten durch Drogenerfahrung die Fähigkeit, Pflanzen als Wesen zu begegnen. Doch die Drogen schwächen das Ichbewusstsein und lassen den Kontakt wieder zu. Wenn man einen Baum tatsächlich in Worten um Hilfe fragt, also sein Wesen anspricht, dann wird die Beziehung auch ohne Ausschaltung des Ich möglich.
Menschen sind wie sie sind. Erkennt man ihre pflanzliche Natur nicht an, dann verkümmern sie; die Folgen sind Krankheit und Tod. In der rationalen westlichen Zivilisation droht diese Gefahr. Doch gibt es noch Kulturen, die den Zusammenhang nicht verloren haben und uns den Weg zeigen können, wie die ursprüngliche Einstimmung wieder zu erreichen ist.
Bei den Pflanzen bedeutet der Tod das natürliche Ende der Entfaltung. Wenn eine Pflanze eine andere verdrängt, so gehört dies zu den Umweltbedingungen. Das Tier hingegen als nächste Schicht der Evolution lebt im kosmischen Stoffwechsel, zwischen fressen und gefressen werden. Es wird gesteuert durch die Instinkte der Selbsterhaltung und der Arterhaltung, die nahtlos zusammenwirken. Seine vier Triebe Nahrung, Sicherung, Aggression und Fortpflanzungstrieb sind im labilen Gleichgewicht. Die beiden Teile des Aggressionstriebes, Territorialinstinkt und hierarchischer Instinkt, sorgen für eine gleichmäßige Verteilung der Individuen im Raum und eine selektive Nachkommenschaft.
Tiergattungen können aussterben. Aber jede Tierart hat außer der biologischen eine geistige Bedeutung. Für die Indianer waren die Tiere unsere Lehrer. Jede Art die ausstirbt oder durch Menschen vernichtet wird, vermindert den Reichtum der menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten.
Die Tiere befinden sich zwischen folgenden Koordinaten: