Schule des Rades

Arnold Keyserling

Das magische Rad Zentralasiens

I. Semiotik

Bindewort

EinsDie Zahl 1 ist arithmetisch die Einheit als Punkt, geometrisch als Intervall. Die sprachliche Formulierung ist das Wort und die syntaktische das Bindewort, die Konjunktion. Das Wort ist signifiant und signifié. Es ist ein Name, der das Wesen ausdrückt, ja von dem sich dieses Wesen aufbaut. Im Intervall ist es der Schritt vom Nicht zum Etwas, von null zu eins. Eins ist die kleinste Zahl und auch die größte. Nur was die Einheit erreicht und fähig ist, mit anderen Einheiten intervallisch zu kommunizieren, kann zum Träger des Ich werden. Was nun integriert werden soll, ist eine Bedeutung, ein Wort durch eine Zusammenfügung von Buchstaben und Wortwurzeln, wie etwa wahrnehmen = als richtig bestimmen, die Verbindung der zwei Worte blau und grün, oder zweier Sätze: der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Nur die Eins ist unbedingt, absolut; jede andere Zahl unterliegt bestimmten Bedingungen.

So bedeutet, als Ich in der Zeit zu wirken, sich mit seinem Namen zu identifizieren. In diesem Namen beginne ich meinen Wortleib zu entfalten, oder besser gesagt zu bekleiden.

Das zweite Bindewort oder verlangt den Schritt über das Nichts, die Null, die Alternative, in positivem Sinn die Ergänzung, sowohl — als auch.

Hiermit zeigt sich, dass nur der logisch verstandene Satz — im Sinne der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten — zum Ich werden kann. Daher kann der Wortleib nicht irrational, sondern nur rational aufgebaut werden. Was nicht als Wissen kommunizierbar ist, zerstört den lebendigen Zusammenhang des All.

Gott ist über das Ich die Null. Man muss erkennen, dass die Integration = Einswerdung nur aus der Leere erfolgen kann. Aber Gott als Name ist die persönliche Einheit der Mitte des Kreises, das Selbst, Gott als eins. Teilnahme am Göttlichen erreicht man, sobald nichts Irrationales einem mehr bedrängt. So gibt es kein Mysterium als nicht erkennbar; es gibt nur noch das nicht erkennbar.

Diese Behauptung hat auch der Rationalismus aufgestellt, der aber das Rationale nicht in der Null, sondern in vermeintlichen Gesetzen der Natur oder eines allmächtigen Vatergottes gründen wollte. Die Einheit des Selbstes bleibt immer jenseits des Ich, da diese nur als null, als ordnungsmäßig oder verbindungsfähig mit der Welt und dem Wesen in Beziehung treten kann.

Glaubensbekenntnisse als Ausdruck der Wesenseinheit sind immer auf die Eins gegründet. Sie sind nicht Schlussfolgerungen, sondern dichterische Behauptungen. Man kann nur das verbinden, was nicht schon durch eine höhere Wortart verknüpft ist. Vater und Mutter ist möglich, Vater und Familie nicht, weil er Teil der Familie ist. So ist jede höhere Wortart bis zur neunten einerseits eine Bereicherung, andererseits eine Beschränkung. Quantität und Qualität sind identisch, die Bedeutung entsteht aus der Anzahl der Kategorien.

Arnold Keyserling
Das magische Rad Zentralasiens · 1993
Schlüssel der Urreligion
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