Schule des Rades
Arnold Keyserling
Das Nichts im Etwas
4. Das Rad
Bereiche und Funktionen
Die Sprache vermittelt sowohl im Aufnehmen, Lesen und Vernehmen als auch im Sprechen, Schreiben und Mitteilen Sinn, der sich inhaltlich zum Gedächtnis artikuliert. Aber das Gedächtnis bedeutet nicht die Gesamtheit des inneren Erlebens:
Dieses wird durch das Vermögen der Erinnerung bestimmt, das weit über das Gebiet der sprachlichen Artikulation hinausgeht. Der sprechende Mensch tritt der Welt nicht leer gegenüber, sondern als eine Seele bestimmter Prägung, die sich im REM-Traum offenbart und auf Integration der sprachlichen Inhalte hinzielt.
Das Wort Erinnerung zeigt, dass Bewusstseinsinhalte mit dem Wesen verschmelzen, verinnerlicht werden. Dies verlangt eine Umkehrung der Aufmerksamkeit: anstelle der Beobachtung oder der Richtung auf sprachliche Information wendet sie sich den Bildern zu. Diese Innenwelt ist nicht homogen; sie steht in Entsprechung zur äußeren Natur und zeigt die gleiche Komplexität. Wir bezeichnen den Gegenstand des inneren Erlebens als das Gemüt.
Nach außen gewandt erlebt der Mensch in der zweiten Dimension die sprachlich artikulierte Welt und die Gesellschaft, nach innen zu sein Gemüt und als tiefere Schicht die Visionen. Im Rad geht die Verbindung zwischen Denken und Seele, zwischen Norden und Süden durch die Mitte. Nur hier treffen sich innen und außen. Um das Gemüt als Rahmen der Seele zu verstehen, müssen wir seine Komponenten nach zwei Gesichtspunkten gliedern: nach dem Ruhenden im Wandel — dem, was sich im Fluss der Zeit identisch bleibt — und dem Wandel als Vorgang selbst, ebenso wie wir einen sprachlichen Satz durch Subjekt und Prädikat verstehen. Das Ruhende im Wandel bezeichnen wir als die drei Bereiche: Körper, Seele und Geist, und den Wandel als die vier Funktionen: empfinden, denken, fühlen und wollen. Diese vereinen sich multiplikativ zum Kreis der Inbegriffe des Gemüts.