Schule des Rades
Arnold Keyserling
Die sechste Schule der Weisheit
4. Maieutik
Seinsvernunft
Wir begannen unsere Darstellung mit Sokrates. Sein Nichtwissen bedeutet die Fähigkeit, nach Meisterung der Anamnese — des Wissens hinter dem Wissen — spontan aus der Ganzheit zu wirken. Maieutik hat das Ziel, das unsterbliche Wesen aus der Bedingtheit durch Umstände und andere Menschen zu befreien. In der Geschichte der Weisheit gab es wie beschrieben fünf aufeinanderfolgende Stufen:
- Erleuchtung, Gewahrsein.
- Mitmenschlichkeit als Befreiung des anderen zur Seinsvernunft.
- Erkenntnis der göttlichen Ganzheit als erfahrbare Macht im Chi.
- Achtung jeder Persönlichkeit als Erfüller eines besonderen Stils, die Internationale der Individualitäten.
- Die Überwindung des Elitarismus durch die Erkenntnis, dass alle Menschen gleich begabt sind, es aber die verschiedensten Methoden, Psychologien, Körpertechniken gibt, die aus unnötigen Leiden befreien.
Wenn der Schwerpunkt des Menschen im Kopf ist, im Bewusstsein mit seinen vier wechselnden Zuständen Wachen, Träumen, Vorstellung und Schlaf, kann das Gewahrsein nicht erreicht werden. Das Wissen muss im Körper integriert sein, im Kopf, in den Chakras und in den Händen. Durch diese Dreiheit erreicht man Zugang zur Enstase über Verstehen und Übung.
Die sechste Schule nimmt das Rad als Raster der Seinsvernunft. Wenn es als Weltgrammatik, als Wissen hinter dem Wissen durch die Anamnese enthüllt wird, kann man jeden anderen achten und verstehen.
Der Feind der Wassermannzeit sind falsche Geister, die sich als Ganzes aufspielen: Ideologien, Bekenntnisse, Meinungen und Pseudoprobleme; solche, die im persönlichen Wirkungsbereich nicht lösbar sind.
Um das globale Bewusstsein an die Stelle des völkischen oder traditionellen zusetzen, bedarf es einer ganzheitlichen Pädagogik. Mit der Fertigstellung des Rades in all seinen Aspekten ist die Systemik gegeben, die Natur, Gesellschaft und Transzendenz gleichermaßen einschließt. So haben die neuen Schulen der Weisheit der sechsten Etappe drei Voraussetzungen:
- Der Mensch ist Teil des Kosmos, alle Wesen wollen ihm wohl.
- Geschichte kann nur als Heilsgeschichte verstanden werden, persönlich wie kollektiv, indem man sich fragt, welche positive Folgen ein Trauma oder eine Katastrophe gehabt hat. Der Geist ist das morphogenetische Feld der Menschheit.
- Jede Arbeit ist sinnvoll, sobald sie der Entfaltung des Wesens dient. Nichts geschieht einem, was nicht einen Sinn finden könnte, wenn das Subjekt, das Gewahrsein erwacht und sich die totale Verantwortung zuspricht.
Gott ist der Mensch im All, dessen immanentes Bild sich im Tierkreis erkennen lässt. Der Ostpunkt, die Stimme der Offenbarung, ist auf der Erde in Mekka, jeder Landstrich hat als Mythos eine andere Aufgabe, einen anderen Zugang zur Offenbarung.
Die Menschheit bildet die Noosphäre, das Gehirn der Erde.
- In der westlichen Hemisphäre trägt die Gemeinschaft den einzelnen,
- in der östlichen der einzelne die Gemeinschaft.
- In der nördlichen Halbkugel prägt das Bewusstsein das Unbewusste,
- in der südlichen das Unbewusste das Bewusste.
Die beiden Kriterien, um zum Gewahrsein über das Rad zu gelangen, sind Körpererfahrung und philosophische Astrologie. Die Grundlage der Wassermannzeit, Körper-denken, ist einerseits Technologie im Sinne der Computer, andererseits im sechsten Haus der Weltgeschichte mit einem mentalen Alter von 35 Jahren die Wirtschaft, die Anerkennung der Motivation jedes Menschen und die Richtung der Intentionen auf das gemeinsame Wohl. Kulturen sind sprachlicher Ausdruck eines bestimmten kollektiven Weges. Je mehr es davon gibt, desto reicher wird die Erde. Sie bildet gleichsam die geistige Fauna und Flora, von den Traditionen bis zu den Lebensstilen. Ihr Zusammenwirken mit den Altersstufen zeigt folgender Aspekt des Rades:
Die Jugend ist auf das Bestehen von Prüfungen abgestimmt. Das Ziel des zweiten Lebensabschnitts ist der Wohlstand. Im dritten ist es die Kultur, wo man durch Anknüpfen und Weitergeben seine öffentliche Stellung findet, und das letzte Viertel des Lebens ist dem Finden und Lehren des Sinnes gewidmet.
Die Wassermannzeit zeigt gemäß dem Weltenjahr folgenden Raster der globalen Gesellschaft.
Gott in der Wassermannzeit ist nicht mehr Herr sondern als der Mensch im All der Freund. So muss auch jeder Maieutiker Freund werden, der den anderen fördert, weil er anders ist. Aus dem Reichtum der Zivilisation entspringt ein immer weiterer Lebenssinn. Jeder sollte in dieser nomadischen Zeit die ganze Erde kennen lernen und zu den Orten fahren, die für seine Entwicklung förderlich sind.
Maieutiker sind Erdpriester. In tibetischer Fassung verkörpern sie die Religion des Menschen, die durch die Offenbarungen als Geschenke der Götter ergänzt wird. Ahimsa, Gewaltlosigkeit und Wu Wei, wirken ohne zu streiten, sind die Voraussetzung der maieutischen Arbeit. So stehen sie zu keiner Religion, keiner Kultur, keiner Wissenschaft und keiner Gesellschaft im Gegensatz.