Schule des Rades
Arnold Keyserling
Strahlen der Wahrheit
IV. Offenbarung der Erde
Fischeland - Jupiter
Die Offenbarung des Fischelands war die Christliche, die Nachfolge eines Heiligen, und die Einheit von Christus als Menschensohn mit dem Mensch im All. Jeder hatte in seinem Vornamen einen Heiligen, dem er religiös nachfolgte. Die Mystiker des Christentums wie Meister Eckhart oder Jakob Böhme waren oberhalb der Kulturmonade, sie könnten genauso in China oder Indien gewirkt haben.
Der Schwerpunkt liegt auf Heilung und Erlösung, auf Mitmenschlichkeit, Caritas und Sozialsinn. Der Fischebereich verläuft von Mitteleuropa bis Arabien, Israel, Ägypten bis Südafrika, und im Norden bis zum Polarkreis; die größte Landmasse der Erde. Slawen, Germanen, Römer, Kelten und finnisch-ugrische Stämme haben die gleiche Mythologie, die den Untergrund und Gegensatz zu den Kirchen gebildet hat. Die Vorstellung der Missionierung wandelt sich heute in das Verständnis des Wertes anderer Traditionen, und bedeutet Hilfe für all jene, die weder die Kraft noch die Umstände haben, um einen eigenen Weg gehen zu können.
Heute muss Besitz für Mitmenschen heilsam sein, es darf kein Vermögen geben, das nicht für andere eingesetzt wird. Krankenfürsorge und Rettung der Umwelt, ebenso Kampf gegen Ungerechtigkeit und Grausamkeit, für die Vermeidung von Kriegen prägt mit wenigen Ausnahmen die heutige Mentalität des Landstrichs.
Durch die Herrschaft des Geldes ist der Rahmen für jeden, der im Bestehenden wirkt, eng gesteckt, wie sich in den Sparpaketen zeigt, wo alles bis ins letzte geregelt wird und Reichtum nur dann möglich ist, wenn der Mensch seine Inspiration, etwa eine künstlerische Vision zum Ansatz gleichsam unvernünftiger Entschlüsse nimmt, die nicht aus Ökonischen getragen werden, sondern aus einer persönlichen Vereinigung von Motivation und Intention.
Das saturnische Sparen setzt den Rahmen, aber die Computerzivilisation erlaubt jeder Phantasie sich zu verwirklichen, sobald das Vertrauen von ideologischer Meinung in das Körpergewahrsein überwechselt. Der Körper und die rechte Großhirnhemisphäre — in indianischer Formulierung bodymind im Unterschied zu brainmind — wie es vor allem die Kinesiologie lehrt, ermöglicht durch Hören auf die Körperlichkeit sowohl in Krankheiten als auch in äußerlichen Ereignissen die Überlegungen von Fügungen zu unterscheiden, und langsam die Lebensmelodie auf erstere zu gründen.
Der Fischebereich war der Schwerpunkt des historischen Denkens und auch der Ideologien, die die wissenschaftlichen Wahrheiten durch Utopien und nicht durch Jenseitserfahrung ergänzen. Aber andererseits ist jeder Angehörige dieses Gebiets von den griechischen Wurzeln bis zur keltisch-germanischen Abenteuerlust imstande, sich nicht mit dem bloßen Überleben zufrieden zu geben, sondern nach der Verwirklichung seiner Vision zum Nutzen aller zu streben.
Europa ist nicht nur politisch seit dem 19. Jahrhundert, sondern auch substantiell der Ort der Neugier, wo immer neue Wege gegangen wurden und der Pionier oder Revolutionär, der einen neuen Heilsweg brachte, Anerkennung fand, wenn er nicht am Scheiterhaufen landete. Der Schwerpunkt in der Wassermannzeit ist im charismatischen künstlerischen Bereich. Zwar ist heute sowohl politisch wie administrativ das Zentrum Europas im Wassermannland, aber in der Suche nach der Lebensqualität offenbaren die vielen Völker und Kulturmonaden und Sprachen immer neue Aspekte der Menschwerdung. So wird auch historisch der ganze europäische Subkontinent zum Wirkungsort für all jene, die ihren persönlichen Sinn in einem künstlerischen Gebiet verwirklichen.
Hier wurden seit Ende der Macht der Kirchen alle Wissensschätze der Erde und viele fremde Kulturen in ihrem Wesen erforscht. Damit wird Europa in Zukunft für die übrige Welt eine vorbildliche Rolle im Gestalten haben, und im praktischen Leben die Brücke zwischen Diesseits und Jenseits überall ansetzen können. Allerdings muss jeder für sich nach einer Verantwortung streben, die im Mittelalter nur Kaiser und Papst zugestanden wurden; die eigene Rückbindung zu Gott muss jedem seine Aufgabe und Berufung eröffnen.
Geschichte, Mythen, Märchen und Wissenschaft sind die Koordinaten einer Bildung, deren Ziel nicht das tierische Überleben, der Profit oder die Sicherheit sind, sondern das persönliche Wagnis im vollen Bewusstsein der Gefahr.
Sobald Wissenschaft und Mathematik zum echten Gegenpol der Transzendenz und des Weges der Vollendung geworden sind, schwinden die falschen Gegensätze, die sich im mittelalterlichen Universalienstreit zwischen Nominalisten und Realisten herausgebildet hatten und deren letzter zwischen dem nominalistischen Amerika und dem realistischen Russland, auf europäischem Boden im II. Weltkrieg sein Ende fand. Durch den seltsamen Attraktor und die Computerisierung erkennt jeder, dass er nur in Wahl und Entscheidung einen Sinn im Leben schafft, und kann damit persönlich, aber auch in gemeinsamen Riten die Fesseln der saturnischen Moral und Bedrängnis überwinden. Der geistige Quell des Chaos mit seinen vier Attraktoren ist unendlich; ebenso das Erleben jedes einzelnen, der sich den Fügungen anvertraut und erkannt hat, dass alle Wesen des Universums ihm wohl wollen. Keine Vergangenheit determiniert das geistige Wesen bei jenem, der seinen Quell im höheren Selbst und sein Arbeitsfeld im Werk der Erde gefunden hat.
Und doch gibt es eine Vergangenheit, an der die neue Zeit anknüpft: es ist die Esoterik, die Welt jener einzelner, die in der Fischezeit die Wassermannzeit vorbereiteten und auch der Motor der Weiterentwicklung waren. In England, Frankreich und den Niederlanden herrschte die Vorstellung, dass nur Intuition und Inspiration die Stellung des Menschen im Kosmos verstehen könnte. Daher war es auch kein Wunder, dass Gurdjieff das zentralasiatische Wissen des Enneagramms in Paris lehren konnte, und dass die Rosenkreuzer in der Fama Fraternitatis
1620 die Zukunft vorwegnahmen. Leibniz bekannte sich als Rosenkreuzer. Die gleiche Brückenfunktion wie die Wissensträger — wie Newton die Physik aus der Alchemie entwickelt hat, und Bacon die Astronomie als Vorstufe der Astrologie betrachtete, und Shakespeare die antike Phantasie als Schlüssel zum Weltverständnis einbezog — ist im Fischebereich die Kultur und der künstlerische Reichtum zum Tor geworden, zu verstehen, wie der Mensch seine geistige Wiedergeburt im künstlerischen Werk, dem Theater und der Polyphonie der Musik findet. So wird auch in Zukunft jeder Mensch, der die wissenschaftliche Forschung und künstlerische Gestaltung als Streben zur Vollendung als Weg hat, von der Menschlichkeit der britischen Naturphilosophen lernen, von den Barden die irisch-keltische Unbekümmertheit, so weit sie sich nicht durch die katholische Missionierung in einen banalen Untergrund zurückzog, und der Deutsche seinen Weg im Sinne von Goethe und Kant.
Diese Pioniere, die allesamt Esoteriker waren, indem sie nicht im Staat und in der Gesellschaft ihre Erfüllung fanden sondern im künstlerischen Streben, sind auch heute für alle Menschen Leitbild, die die Kultur höher stellen als die moralische Orthodoxie und den wirtschaftlichen Erfolg. So ist es im Namen Gottes nicht mehr möglich, die offizielle Welt als religiöse Gemeinschaft zu betrachten, sondern nur die freie Gruppe der Freunde, die in jeder Blüte der Geschichte wie etwa in der florentinischen Renaissance bereit war, die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens naiv neu zu stellen.
Esoterik als Wort stammt vom Pythagoras, der damit jene Menschen meinte, die den Spruch von Delphi erkenne dich selbst
in einen neuen verwandelten: erlerne dich selbst
durch die Zahl. So schließt jede Zeit an das Wissen der vorigen Mentalität an, so wie wir in der Wassermannzeit die Weisheit der Widderzeit, den I Ging, den Yoga, die Alchemie, die Astrologie und die Kabbala als Grundlage unserer Forschung nehmen. Je straffer die wirtschaftlich finanzielle Umwelt durchorganisiert ist, desto mehr bedarf der Mensch der Intuition. Alle traditionelle patriarchalische Autorität, von der religiösen bis zur akademischen, hindert den einzelnen seinen Weg zu machen. Aber wer sich der Intuition des Traumes und des Chaos öffnet, findet in der Epoche des Internet und der Computerzivilisation die Möglichkeit, direkt Weltbürger zu werden — ohne in die unkritische Eklektik zu verfallen — und sich das aus den esoterischen Methoden herauszusuchen, was mittels des Rasters des Rades für ihn sinnvoll werden kann. Dies wird besonders deutlich im dritten Abschnitt, dem Weltbereich des Widders.