Schule des Rades
Arnold Keyserling
Strahlen der Wahrheit
Einführung
Der Name Gottes
In jedem Zeitalter hat Gott einen neuen Namen, der eine neue Gemeinsamkeit und ein neues Weltbild prägt. Astrologisch, von der Qualität der Zeit her gesehen, sind wir 1962 aus der hierarchischen Fischezeit in die demokratische Wassermannzeit getreten, aus der Religion der Nachfolge, der Gebote des Koran oder der hinduistischen Gurus in die persönliche Suche nach dem Sinn. Die kapitalistische und kommunistische Ideologie haben ihr Zerstörungswerk der alten Formen beendet, und die Reaktion der Fundamentalisten ist nur noch eine Karikatur, ein Altweibersommer vergangener Lebensformen. Da ihre Welt keine Zukunft mehr kennt, ergehen sie sich in negativen Prophezeiungen des Weltuntergangs, des Jüngsten Gerichts, des Atomtodes und der endgültigen Weltzerstörung, ganz zu schweigen von den düsteren wirtschaftlichen und politischen Prognosen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden müssen. Am Ende der vergangenen Epoche lag der Sinn nur noch im materiellen Erfolg, den die heutige steigende Arbeitslosigkeit für viele unerreichbar macht. Durch die Computerisierung verschwinden viele ehemals gesicherte Karrieren; nur noch im Sport und in der Kunst werden überragende Leistungen anerkannt und prämiert.
Diese negativen Prophezeiungen sind gefährlich. Wenn einer seines Untergangs gewiss ist, möchte er möglichst viele andere mitreißen. Negative Wünsche verwirklichen sich oft, zum mindesten für ihre Vertreter. Die Naturwissenschaftler stellen heute selten die Frage nach dem Sinn ihrer Erkenntnisse; sie sind reduktionistisch oder konstruktivistisch, lehnen metaphysische Wahrheit ab. Max Weber hatte die Wertfrage aus der Wissenschaft verbannt, und Popper sah nur noch in der Falsifikationsmöglichkeit von Hypothesen das Kriterium ihrer möglichen Gültigkeit.
Nun hat aber gerade diese letzte Entwicklung eine geistige Gegenbewegung hervorgerufen. Anthropologen, Religionsphilosophen und Mythenforscher zeigten, dass die vorschriftlichen Kulturen über ein mathematisch-astronomisches Wissen verfügen, das auf der ganzen Erde gleich ist und sich über Riten, Visionen und Erfahrungen auch für den modernen Menschen verifizieren und nutzbringend einsetzen lässt.
Für die Hochreligionen ist wie für den Szientismus die Frage des Sinnes, des Todes, der nachtodlichen Erfahrung, der Reinkarnation und der imaginalen Welt ein undurchschaubares Mysterium. In den Kirchen hat die Eschatologie keinen Platz mehr. Man beschränkt sich auf soziale Hilfe, Seelsorge und auf traditionelle Moralvorstellungen und lehnt jede persönliche Suche ab. Doch die dreihundert Millionen Aborigines — wie die Dogons und die Dagaras, die sibirischen und tibetischen Schamanen — haben eine genau artikulierte und nachprüfbare Vorstellung über den Sinn des Todes, des Jenseits und der Befreiung zur geistigen Neugeburt, solange ihr Wissen nicht politisch durch Missionierung der prophetischen Religionen oder der Ideologien unterdrückt wurde. Desgleichen hat die neue Physik viele esoterische Überlieferungen und Behauptungen als möglich anerkannt; manche wurden seit 1962 im Human Potential Movement
als Psychotechnologien verfügbar gemacht.
So stellt sich heute die Frage, wie es aus all diesen Erkenntnissen und Entwicklungen möglich wird, für die entstandene globale technologische Informationsgesellschaft die Vision einer Weltkultur zu schaffen, die die gleiche Intensität und Wahrheit besäße, wie die großen Religionen zu ihrem Beginn, als sie mit dem Wissen der Zeit übereinstimmten und auf echte Fragen gültige Antworten gaben.