Schule des Rades
Arnold Keyserling
Strahlen der Wahrheit
IV. Offenbarung der Erde
Zwillingsland - Uranus
Das fünfte Haus der Wassermannzeit bezieht sich auf die uranische Wissenschaft. Durch den Lebenskreis identifiziert sich das Wesen sprachlich mit einem Wissen, einem sprachlichen Gefüge, das persönliche oder natürliche Zusammenhänge oder Vorkommnisse versachlicht. Wenn man etwa in der Medizin eine Krankheit mit ihrem Entdecker identifiziert, oder die Relativitätstheorie mit Einstein, dann verlegt man die Entscheidungsebene von erfahren und erleben auf das Allgemeingültige einer Lebensweise. Bei den Mongolen führte diese weiträumige Vorstellung zum größten Reich der Geschichte; bei den Chinesen zu einer Ordnung, die die Gesellschaft in Einklang mit der Natur zu bringen suchte. Das Rad wurde als Raster für die Zeitrechnung verwendet in der Vereinigung von Zwölfer- und Zehnersystem, wie bei den Persern von Zwölfer- und Siebenerstruktur des Imanats als Verkörperung der geistigen Hierarchie.
Nun ist aber das Wissen der Ausgangspunkt der Wassermannzeit, und dieses Wissen wird entgiftet, indem es natürliche, also systemische anstatt systematische Zusammenhänge als entscheidend betrachtet. Die Zahlen werden emblematisch verstanden; was immer drei Komponenten hat, gehört als Klasse in die Dreifaltigkeit. Hierdurch wird das Entscheiden vereinfacht. Alle Zahlenprinzipien sind konkretisiert. 1 ist Holz, 2 Feuer, 3 Erde, 4 Metall und 5 Wasser. Diese Hsing
sind funktionell und nicht substantiell zu verstehen. Substantiell sind die Reifestufen: Gemeiner, Würdiger, Edler, Berufener, und Heiliger Weiser. In der Fischezeit wurden diese zur Staatsstruktur. Der Edle, der Mandarin als Beamter war für zehntausend Menschen verantwortlich, und stand unter dem Gesetz von Ehre und Würde und nicht von Lohn und Strafe wie der Gemeine.
Der Konfuzianismus fand sein Ende mit der Fischezeit; der neptunische Kommunismus führte zur Auflösung der alten Formen, vor allem in der Kulturrevolution, die bewusst von der Hierarchie zur Arbeit als Kriterium des Staates überführt wurde. Uns geht es aber nicht um chinesische oder mongolische Geschichte, sondern darum, was das Thema der Meisterung in der globalen Zivilisation bedeutet und was sein metaphysischer Hintergrund ist.
Ausgangspunkt ist Chi, die Selbstorganisation als Vereinigung von Licht und Kraft, im Sinne des Qigong mit seinen Subjekten, den Tandiens im Körper,
- Ich im Kopf als Kontakt zum Himmel;
- Wesen im Herzen als Kommunion mit den Mitmenschen und
- Selbst im Unterbauch in Zusammenhang mit der Erdmitte.
Man unterscheidet verschiedene Ströme dieser Energie: für das Selbst die ancestral energy mit der Sexualität, die Lebensenergie aus Essen und Atem für den Rumpf und das Wesen und die himmlische Energie, die den Kopf vergeistigt, Shen. Leere und Fülle, Wu Chi und Tai Chi sind der Ansatz.
Wu Chi ist die Leere der Meditation. Sie muss jeder finden und dann aus Yang und Yin als komplementäre Prinzipien im Gewebe der Wirklichkeit, im Strom des Geschehens entweder aktiv, passiv oder katalytisch mitzuwirken.
Die traditionelle Form ist zerstört, die neue — chinesisch als Änderung der Etikette als Ergänzung der Natursymbolik betrachtet — ist dabei, sich aus dem Gegensatz zwischen Einzelinitiative und kollektiver Sicherung, aus Kapitalismus und Sozialismus zu klären. Doch die Grundlage der Meisterung ist die Vernetzung durch die Computer, im Ursprung das Internet, welches jegliche Information denen zur Verfügung stellt, deren Reifestufe ihnen erlaubt, selbst zu entscheiden.
Die Grundlage des chinesischen Denkens ist der I Ging, analog zum genetischen Code, der auch strukturell mit ihm identisch ist. Kenne ich meine Situation, kann ich entweder durch das Orakel — also mit Hilfe der jenseitigen Mächte oder durch ganzheitliche Analyse und Synthese eine Wahl treffen, die in Einklang mit Te und Tao, Motivation und Intention ist. Hierbei sind auch die Zahlen emblematisch der Raster des Denkens:
- wandelt Yin in Yang, als Veränderung,
- Yang in Yin als Umgestaltung,
- ist Beharren in der Bewegung,
- in Ruhe.
Alle zeitlichen Wandlungen lassen sich durch diese Vier erklären.
Das chinesische Denken, das das Gewahrsein durch das logische Bewusstsein ergänzt, genau in Gegensatz zum europäischen, wäre die Voraussetzung eines ganzheitlichen Lebens. Es bildet den kürzesten Weg, um das plutonische Gefängnis der Routine, des Hades zu überwinden. Schon durch den Ersatz der mathematischen Exaktheit der klassischen Epoche durch den Calculus und der Wahrscheinlichkeitsrechnung muss heute jeder Forscher in gewissem Maß chinesisch denken, ebenso indisch durch Anerkennung des physisch-mentalen Organismus im Yoga, oder der Reinigung des Wollens im schiitischen Islam des Widderlandes, also der Menschwerdung.
Dank Rückgriff auf diese Denkstrukturen wird der nationalistische Fehler der einseitigen Aufklärung wieder in die Ganzheit überführt. Aber es wird wohl Jahrhunderte dauern, bis der Prozess vollzogen ist und die chinesischen Grundbegriffe von Raum, Zeit und Zahl von der heutigen Meinungsbildung auf Einsichtsvermittlung übergehen. Das könnte nur durch die sokratische Maieutik geschehen, durch Verwendung von Lehren und Lernen, zur Menschwerdung, zur Vereinigung von Selbst und Ich im Wesen, das zusammen mit anderen Meistern eine Gesellschaft der Freunde aufbaut, die nicht durch äußeren Zwang geschaffen wird, sondern durch Aufdeckung der inneren Natur, in der Gesellschaft der Menschen in Freiheit, Tung Jen, die das dreizehnte Zeichen des I Ging beschreibt. Himmel und Hölle, die Liebesgemeinschaften und der Hades mit seiner ewigen Wiederholung und Grausamkeit sind heute nicht mehr im Jenseits, sondern auf der Erde. Es gibt kein zurück mehr in vergangene Formen; was immer hierarchisch und traditionell wertvoll war, muss durch Wahrheit und Weisheit neu artikuliert werden. Sicher werden schöne Lebensformen dadurch zerstört, was genauso traurig ist wie der Tod lieber Menschen. Aber da Tod nicht nur Ende, sondern auch Neuanfang bedeutet, wird die weltweite Rezeption der chinesischen Zivilisation und ihrer Kriterien bald dem einzelnen ermöglichen, als Subjekt den Einklang mit Tao, Te und Chi zu finden.
Wie in China in der nördlichen Hemisphäre die Zeit als Qualität zusammen mit der Zahl das Bewusstsein trägt und zum Gewahrsein überführt, ist in Indonesien der Einklang mit dem Raum durch die Himmelsrichtungen der Ausgangspunkt. Hier besteht Vertrauen in die Erde, und selbst der Islam wird animistisch. Jemand mag etwa sagen, in einem Geschäft, sie finden einen Hut ihrer Größe im Nordosten, und indonesische Gärtner wissen durch Wahrnehmung, welche Samen keimen und welche nicht, also Verstehen der Pflanze, nicht ihre Lenkung wie in der japanischen Gartenkunst.
In der Wassermannzeit muss jeder das Wissensgebiet finden, durch welches er als sprachlich-geistiges Wesen die Mechanik der Abläufe überwindet. Im I Ging heißt es: Der Edle lebt nur in den Anfängen, und sein Ziel ist, durch beharrliches Fördern jeden zu seiner richtigen Stellung im Kosmos zu führen. So könnte die chinesische Esoterik, vom I Ging über die Goldene Blüte und dem Qigong jeden Weltbürger dazu bringen, immer wieder den Durchbruch zur Kreativität, zur Verlagerung des Schwerpunktes auf das Wollen und Gewahrsein, also auf den seltsamen Attraktor zu erreichen.