Schule des Rades

Arnold Keyserling

Urreligion Astrologie

9. Neptun - Uranus

Systemik der Seinsvernunft

Astrologie ist das Urwissen. Es bestimmt die Qualität der Zeit als Matrize der Lebensgestaltung. So ist das uranische Horoskop kein Charakter oder Schicksal, sondern ein Fortschreiten im Wählen, geführt von der Vision des Menschen im All.

Verstandenes Wissen ist vorbewusst, und kann als Gedächtnis oder Erinnerung abgerufen werden. Es hat keinen Gegensatz. Die Sehnsucht des Fühlens nach dem Guten wird im sachlich wissenschaftlichen Denken erfüllt, denn die Basis allen Bösen ist die Vereinzelung der Ideologie. Wie im Neptun das geschaffene Recht als erweiterter Gesellschaftsrahmen immer wieder erneut als Ausdehnung der Verantwortung bestimmt werden muss, so gilt dies auch in der wissenschaftlichen Gemeinde, wo neidlos die Erkenntnisse anderer im Unterschied zum absoluten Wahrheitsanspruch der Bekenntnisse anerkannt werden und Theorien heuristisch und spielerisch sind — mit Ausnahme des plutonischen Rades, das heißt der Systemik der Seinsvernunft im Unterschied zur Vielfalt der Wissensvernunft, für die immer ein neuer Ansatz auftaucht, der perspektivisch andere ergänzt.

Uranus ist revolutionär; sein Impuls beflügelte die sozialen Revolutionen, die industrielle und schließlich die informative. Die Gefahr falschen uranischen Denkens — dessen Laster Ehrgeiz und Kompetition sind — zeigt sich im Vergessen der Subjekte, und damit der jupiterischen Zauberperle, dem himmlischen Mandat, das allein die Beziehung zum Göttlichen, zum Menschen im All eröffnet.

Der uranische Lebenskreis und das luziferische Weltenjahr werden durch den plutonischen Raster des Rades entgiftet. Diese Entgiftung kann keine Massenbewegung werden. Sie verwandelt das bisher Private, nämlich die Esoterik, in öffentliche Belange, die aus der Freiheit der Menschwerdung und der Selbstbestimmung durch Wandlung der Zivilisation in die Weltkultur einfließen werden.

Im Horoskop der Wassermannzeit sind die Zwillinge und der Uranus im V. Haus der Meisterung; die Meisterschaft bezieht sich auf Information. Uranus ist Lehren und lernen; daher wird die Catena Aurea zur Vermittlung der Weisheit, sodass jeder immer sucht, von wem er lernen will, und wem er es im Lehren weitergeben kann, wie wir es im Bild des Einatmens und Ausatmens erleben. Die neue Esoterik ist also keine Geheimgesellschaft, sondern durch geistige Freundschaft entsteht eine Gemeinde — XI. Haus im Schützen — in der Suche nach der erkennbaren Wahrheit, nach dem Verstehen des Sinnes der Welt bis in die letzten Verzweigungen.

Während sich die religiöse Bemühung in den letzten zweitausend Jahren auf moralische und ethische Läuterung richtete, ist nun Klarheit und Systemik ebenso wie die historische Ordnung der Wissensgebiete entscheidend für ein fruchtbares Zusammenleben. Zivilisation wird zur Kultur, wenn die Gemeinsamkeit in der Suche nach dem unbekannten Neuen gipfelt, nicht in der Vielfalt der Meinungen und der Diskussion. Wenn man durch die Sprache die Bedeutung der Atome, der Moleküle, des Mikrokosmos, des Makrokosmos und des Mesokosmos versteht — der linksläufige Lebenskreis und die Planetenzyklen, der rechtsläufige Tageskreis mit dem Weltenjahr — dann kann man alle Inspirationen, Entdeckungen und Erkenntnisse einfügen, ohne das bereits verifizierte Wissen zu zerstören. Es gibt in der Wassermannzeit keine Rechtgläubigkeit, keine Orthodoxie. Zwischen Wissenschaft und Mantik wie dem Orakel des Meisterspiels und des I Ging besteht kein wesentlicher Unterschied, denn die Informationen der Mächte des Jenseits und anderer Wesen ergänzen den Reichtum der Erfahrung.

Früher war es die Aufgabe der Könige, Begabungen zu fördern. Heute wird diese Forderung des Werdegangs das Anliegen aller. Die geistige Demokratie tritt zum Rechtsstaat hinzu. In der Information darf niemand ausgegrenzt werden, es darf keine Monopole geben. Durch die Vernetzung der Datenbanken wird künftig jedem alles Wissen zur Verfügung stehen. Das nicht rational Erklärbare wechselt in den Bereich von Dichtung und Kunst über, unter Einschluss von Religion und Tradition, und bei jeder Frage gilt es mittels des Computers alle möglichen Antworten und Modelle durchzuspielen, um dann erst zu wählen.

Sobald jeder den Zugang zu seinem ganzen Lebenskreis hat, sind die saturnischen Generationen nicht mehr absolute Grenzen. Freundschaft gibt es auch zwischen jung und alt. Stattdessen wird der Tod und das Wissen der nachtodlichen Existenz, und damit der Schritt vom Bewusstsein zum Gewahrsein zum Schwerpunkt des Lernens und Lehrens. Er ist in der Sprache zu vollziehen, die Kombinatorik erweist sich auf allen Ebenen der Wirklichkeit als das spielerische Grundgesetz des Daseins. Das neue Lehren ist nicht hierarchisch, sondern wie bei Sokrates die Zweiheit von Anamnese, angepasster Begriffswahl, und Maieutik, Erwecken der geistigen Selbständigkeit, der Übergang vom Blutwesen zum Geistwesen.

Arnold Keyserling
Urreligion Astrologie · 1996
Enneagramm und Himmelsleiter aus der Sicht des Rades
© 1998- Schule des Rades
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