Schule des Rades
Arnold Keyserling
Urreligion Astrologie
5. Mond - Venus
Schönheit
Der Mond lässt als Wunsch ein logisches Subjekt erscheinen. Es äußert sich grammatikalisch im Dingwort, das Singular und Plural, Name und Begriff in Gestalten vereinigt. So kommen wir zur Venus, mit einem Umlauf von 2/3 des Jahres. 2/3 und sein Gegenwert 3/2, Maß und Schwingung schaffen den Quintenzirkel. Die Zahl 2 bestimmt die Oktave, die Selbstähnlichkeit auf höherer oder niederer Eben. Auch in der Mitose entsteht das Kind aus der Oktavierung der Urzelle. Das gleiche gilt für jede künstlerische Gestaltung, die einer aus dem Traum kommenden mondhaften Idee eine neue Form und Gestalt verleiht.
Venus ist Morgen- oder Abendstern. Sie ahmt in Gestaltung oder Lebensstil entweder ein Vorbild nach, oder schafft ein eigenes Wesen. Ein wirkliches Kunstwerk hat eine höhere Lebendigkeit und Geistigkeit als die meisten seiner Genießer. Geht Venus von der Sonne aus oder auf sie hin?
Daher ist der Ausgangspunkt des Empfindens die Reinigung des eigenen Stils in Wirken und Verhalten von allen fremden Komponenten; sie ermöglicht die Stärkung und Gesundung des Stammes des Lebensbaumes.
Die Gruppe der Kalziumelemente enthält das Magnesium, Grundlage des Chlorophyllmoleküls der Pflanzen. Im Mars ist der Mensch Tier, in der Venus wird er zur Pflanze. Während das Tier flügge und geschlechtsreif werden muss, ist bei der Pflanze nach Maßgabe von Reife und Wachstum die volle Ausbildung der Gestalt die Voraussetzung des Eintritts in die Generationenfolge. Bei der Frau bedeutet dies den Beginn der Menstruation und damit der Gebärfähigkeit; in den jungsteinzeitlichen Kulturen der Eintritt aus der Familie und der Schulung in die Mitwirkung in Stamm und Klan.
Stier, Körper-denken, ist im Rad die Verbindung zwischen Subjekt und wacher Wirklichkeit. Die drei Erdhäuser des Empfindens garantieren das Überleben — II. Haus Unterhalt, VI. Haus Arbeit und X. Haus Beruf — aber auch den Ansatz der möglichen Kosmisierung. Körper-empfinden bestimmt den Torus-Attraktor, die Abstimmung vielfältiger Lebensrhythmen aufeinander.
Die Wirklichkeit ist nicht auf Gesetzen gegründet, sondern aus den Komponenten der Phänomenologie, die im Rad abgebildet sind — die Elemente des Hörens und der Töne, des Sehens und der Farben und Formen, des Tastsinnes und Bewegungssinnes, die den Gegenpol der energetischen Kraft des Feuers im Mars bilden.
Das Dingwort vereint Name und Begriff, Inhalt und Form, Singular und Plural als Grundlage allen Gestaltens. Vom Denken her ist das Werkzeug allen Dichtens der Wortschatz. Im Sprachunterricht lehrt man siebenhundert Worte, damit jemand in ein fremdes Land reisen kann, dreitausend um dort zu arbeiten, zehntausend um einen selbständigen Beruf auszuüben. Natürlich gibt es viele tausende Fachworte, aber der dichterische Wortschatz wird in einer Kultur von Poeten geprägt; Goethe, Shakespeare und auch Tagore verfügten über sechzigtausend Worte.
Dingwort kommt von denken, think, thing. Um eine Bedeutung zu haben, muss ein Wort zum Dingwort werden, damit es als Satzgegenstand
zu gebrauchen ist.
Man kann nun bestimmte Formen, Farbzusammenstellungen oder Gebärden auch als Worte bezeichnen. Das harmonische Ideal aller Formen ist der weibliche Körper, dessen Anlage auf die vollständige Integration ausgerichtet ist. Während Mars als Urbild des Kriegers die Kraft verkörpert, bedeutet Venus die vollendete Schönheit.
Jeder Körper hat seine höchste Möglichkeit, die nichts mit einem abstrakten Kanon zu tun hat, sondern die den Bezug auf die innere Einheit die dem Höheren Selbst entspricht, im Jupiter die Zauberperle als Verkörperung eines Geistes einleuchtet.
Der Torus-Attraktor des Empfindens im Stier fordert die Vollständigkeit und Resonanz aller Elemente, von einem Bild zu einer musikalischen Symphonie, aber auch zu einem Besitz, der ganz von einem Wesen beseelt wird. Ein mineralischer Schmuck von Juwelen, der die Eigenart der Person in ihrer Beziehung zum All betont und verdeutlicht.
Aphrodite war meergeboren, also aus dem Fühlen. Aber wenn sie einmal geboren ist, dann ist sie ein Wert an sich. Denn die Vollendung des Körpers führt in die Sehnsucht, seine Botschaft zu verstehen, wie denn auch die malerische Ausbildung mit dem Frauenakt beginnt.
Mädchen, Frau und Großmutter oder weise Alte entsprechen im männlichen Dasein der Reihe Lehrling, Geselle, Meister. Aber während beim Mann ein Fortschritt im Können und der Einstimmung verlangt wird — der Meister kann nicht mehr als der Geselle, aber hat fortuna — ist es bei der Frau das Sein, die Gestalt, die es seelisch und geistig zu erfüllen gilt.