Schule des Rades

Wilhelmine Keyserling

Wassermannzeit

X. Riten der Wassermannzeit

Die acht Feste der Wassermannzeit

Die acht Feste sind die acht Raumzeitpunkte im Jahr, wo das Unwandelbare des Raumes (Ost bleibt immer Ost) im Jahreskreis erreicht und erfahren wird. Es sind die Schnittpunkte der acht Richtungen im Jahreskreis. Wir feiern sie im Erdheiligtum, in unserer Kirche ohne Mauern. Der Ort liegt zwischen Dorf und Wald, eigentlich am Waldrand, ist noch von Bäumen umgeben, langgestreckt wie eine Scheide. Wo man eintritt ist der Feuerplatz, um den wir uns versammeln, begrüßen, plaudern und nach dem Ritus oft noch stundenlang trommeln und tanzen. Auch eine kleine Hütte ist da, in der sogar schlafen kann, wer die Nacht an diesem Ort verbringen will.

S T E I N K R E I S

Der Zeitpunkt des Festes ist am RAD abzulesen. Das O-Fest ist der astronomische Beginn des Jahres, der Frühlingspunkt auf 0° Widder, also gegen 22. März. Das NO-Fest ist auf 15° Stier, das N-Fest ist die Sommersonnenwende, auf 0° Krebs, NW auf 15° Löwe und sofort. Wir feiern zur genauen Uhrzeit des Geschehens, das heißt in den Augenblicken, da Raum und Zeit der uns Menschen naheliegenden Größenordnung als Himmelsrichtungen und Jahreskreis ineinander einrasten. Sie sind die Lebensträger unserer Welt.
Vom Geist der Zeit aus gesehen ist das SO-Fest, um den 5. Februar, das Neujahr der Wassermannzeit.
Am 5. Februar 1962, um 04:41 Uhr morgens, als sechs Planeten sich im Wassermann um die Sonne scharten, und Sonnenfinsternis über Neuguinea ihren Höhepunkt erreicht hatte, begingen wir das Fest in Kalkutta zum ersten Mal. Es war der Übergang in das Zeitalter des Menschen, den Weltenmonat Wassermann, der sich von da an über 2160 Jahre erstreckt. Die Menschheit hat die Reife des Alters von fünfunddreißig Jahren, in unserer Lebenszeit gemessen, erreicht. Sie ist zu neuen Aufgaben, zu einer neuen Einstellung erwachsen, zu einer mündigen Stellungnahme dem Himmel und der Erde gegenüber berufen, die sie nur allmählich erkennt. Die Hindus trommelten und beteten die halbe Nacht, denn auch in ihren Schriften war dies als Wendepunkt der Menschheitsgeschichte vorgesehen.

Wassermannzeit: Zeitalter des Körper-Denkens; des Denkens das sich all zu schnell verkörpert in Technik, Planung, Strukturierung aller Art. Noch nie war seine Unzulänglichkeit so drohende Gefahr. Denn denken schafft Zusammenhang, und wenn in diesem etwas ausgelassen wird, rächt sich die Natur. Der ganzheitliche Raster aller Denkbarkeiten ist in der Struktur von Raum und Zeit gegeben — wie sie im Rad dargestellt ist — kann nicht erfunden, sondern muss erkannt werden. Im Rahmen dieses Rasters kann sich dann das Denken frei bewegen, das Denken, das auch die Materie durchdringt, bis in die Wirkursachen: Masse-Energie, die wieder Raum und Zeit vertreten. Wir erfahren unsere Welt grundsätzlich über diese. Was nicht raumzeitlich wirkt, ist für uns überhaupt nicht wahrnehmbar.
Ja selbst das Göttliche können wir nur als Nichtraum: als das Unendliche, als absolute Leere überall denken, und als Nichtzeit: als Ewigkeit des Augenblicks, als unerschöpflichen Beginn erkennen — oder als das Einende Eine, das beide enthält.

Die Gegenwart des Absoluten sei in der Liebe zu erfahren, als Medium des Einenden; sie sei in jeder Blume, jedem Stein, in aller Schöpfung zu erkennen. Gewiss. Doch diese Schöpfung wird dem Denken über Raum und Zeit zugänglich; die kleinste Wirkeinheit des Mikrokosmos enthält bereits die Beiden. So wird das unmittelbare Verständnis von Raum und Zeit zum denkerischen Zugang sowohl zu unserer Welt als auch zur Unendlich-Ewigkeit. Sie sind die Brücke zwischen Mensch und Erde (Materie), Mensch und Gott.
Und über diese Beiden, dem Yin und Yang, lässt sich auch ursprüngliche Ordnung — Ortung — der Zusammenhang des Zueinander mit dem Nacheinander erkennen, die sich in unserer Größenordnung in der Beziehung der Raumrichtungen zum Zeitkreis (Jahreskreis, Tierkreis) ausdrücken.

Das ist es warum wir uns bemühen, die Richtungen des Raumes und die Qualitäten der Zeit aufs neue zu erforschen. Die Menschheit hat sich schon oft auf ihrem Zivilisationsniveau damit befasst; aber in unserem Aion werden sie zur Grundlage der Re-ligion, der Rückbindung zum Ganzen.

Das Verständnis muss allerdings allmählich erarbeitet werden. Alles was wir schreiben und lehren in der Schule des Rades, dem Studienkreis Kriterion, zielt darauf hin. Das Wort Arbeit ist für manchen mit Mühe verbunden. Doch die Arbeitszeiten, die das Überleben garantieren, werden vielerorts geringer. Mögen sie der Arbeit am Verstehen Platz machen. Und vieles, was von uns das Lassen alter Denkgeleise verlangt, wird weiteren Generationen selbstverständlich sein.

Wer erstmals an den Festen ganz naiv teilnimmt, wird mitgetragen von der Kraft der Wissenden im Kreis der Anrufung. Wer die Bedeutung, die Wesenheit der Richtungen erkennt, wird selbst zum Empfänger und Träger der Kraft, erlebt das Eingebundensein im All.

Ich kann die Wesenheit der Himmelsrichtungen hier nicht schildern; ich habe es am Ende der neuen Auflage von Anlage als Weg und in meinem Buch Mensch zwischen Himmel und Erde versucht. Arnold weist fast in all seinen Büchern darauf hin. Hier kann ich nur die Basis unserer Einstellung, den Sinn und Zweck der Feste kurz beleuchten. Das jährliche Herbstseminar Der Heilige Raum ist der beste Einstieg, um sie in gemeinsamer Bemühung zu erfahren.

Jedes Jahr ist im kosmischen Ablauf von einem weiteren der zehn Schöpfungsprinzipien bestimmt, in ihrer Wesenheit als Sonnenkraft und neun Planeten. So tritt zur Wiederholung (des Jahreslaufs) die Möglichkeit bewussten Fortschritts, der auch die Raumzeitfeste zur Spirale der Entfaltung werden lässt. Das Gleichbleibende trägt den Wandel. Es geht bei jedem Fest darum, und das für jeden, einen ganz bestimmten Schritt zu tun in seinem Leben.

Wilhelmine Keyserling
Wassermannzeit · 1988
Visionen der Hoffnung
© 1998- Schule des Rades
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