Schule des Rades

Arnold Keyserling

Weisheit des Rades

4. Wortleib der Seele

Trigramme

Kiën, das Schöpferische, das Gewahrsein, ist die Welt des Lichts und des Feuers im Osten. Die biblische Tradition sagt, der Baum des Lebens sei im Paradies im äußersten Osten, und vor ihm stehe ein Engel mit dem flammenden Schwert, auf dass der Mensch nicht im unglücklichen Bewusstsein die Unsterblichkeit erreiche.
Feuer und Licht sind reine Schöpfungskraft; wer sie ergreift, kann damit auch anderen zu ihrer Vision verhelfen. Der Schöpfergott offenbarte sich Moses im Feuer im brennenden Dornbusch.
Kun, das Empfangende, das Wollen, ist die Erde im Westen: die Geister der Berge, Flüsse und Kristalle; die Kraft die das Licht für sich integriert und dadurch mehr wird, eine größere Hingabe und Verantwortung erreicht.
Im Kiën sind alle drei Linien Yang, im Kun alle drei Yin. Hier trägt, in den Worten des Buchs der Wandlungen, der Mensch weiträumigen Wesens geduldig die Welt.
Kan, das Abgründige, die Gefahr, der Fluss und die Seele im Süden: Yang zwischen zwei Yin. Hier ist die ursprüngliche Interpretation anders als die heutige, weil der I Ging auf eine bestimmte Zeitepoche verfasst wurde, die jetzt vorüber ist: die feudale, wo die Treue zum Fürsten das Wichtigste war. Die Seele entfaltet sich nur im lernen und lehren, sie hat als Urbild die ständig wachsenden Pflanzen und ihre Geister. Jeder Mensch hat nach indianischer Auffassung einen Pflanzenfreund, der ihn immer wieder heilen kann, weil er das Licht des Himmels unverfälscht aufnimmt und daher immer in Vertrauen und Unschuld verharrt. Dies kann die Seele nur, wenn sie immer bereit ist mehr zu lernen.
Li, das Denken im Norden, hat einen Yin-Strich zwischen zwei Yang-Strichen. Es ist die Welt der Tiere, der Strategien des Überlebens, wo der Mensch immer wieder zur Spontaneität des Nichts, zum Polarstern zurückkehren muss: hat man etwas verstanden, so ist man für ein neues Problem offen. Das Denken darf nicht über die Problemlösung hinausgehen, eine der hauptsächlichen menschlichen Gefahren. Deshalb nahmen die Chinesen das Bild des Holzes, das vom Feuer verbrannt wird, als Symbol für den Vorgang des Denkens.
Jeder Mensch erhält in seiner Motivation Hilfe von einem Tier, wenn er es einmal kennen gelernt hat einer Tiergattung, die mit seinem magischen Kind befreundet ist. Schamanen nehmen viele Tiergeister zuhilfe, weil sie verschiedenartigen Menschen helfen müssen. Doch jeder Mensch hat über die Geister des Nordens die Möglichkeit, immer wieder zu seiner Rolle im kosmischen Gefüge zurückzufinden.
Dschen, der Geist im Südosten, ist der Zugang zu den Ahnen und der Geschichte, zu den Lehrern der Vergangenheit. Man versteht sie in Furcht und Zittern, in Ehrfurcht, ihr Motiv ist das Erregende, das Erschüttern der Donner. Doch das Fürchten führt zum Staunen, man kann über die Erkenntnis lachen, denn sie gibt einem eine Regel des Verhaltens, die den Zusammenhang mit dem morphogenetischen Feld schafft und damit eine ungeheure Stärkung bedeutet. In der theosophischen Formulierung birgt die Akashachronik alles bisherige Wissen der Menschheit, von wo man es durch Konzentration auf den Südosten abrufen kann. Germanisch ist es die Welt der Zwerge, die einem immer wieder die Eingebung schenken, um mit einer Lage fertig zu werden.
Sun, das Sanfte, das Empfinden im Nordosten, ist der Zugang zu jenen Wesenheiten, die das Gleichgewicht der Bedingungen auf der Erde als Trolle lenken. Ihre Gestalt taucht in Träumen auf, sie weisen den Weg zur Teilnahme am Werk.
Die Mitte Mitgards ist der Mensch im All, der als Stimme zugänglich wird, sobald ein Anliegen die Menschheit als Ganzes betrifft, doch nur als Rat, nicht als Hilfe für eine persönliche Problematik wie die acht Wesenheiten im Viereck.
Dui, das Fühlen, das Heitere im Nordwesten, hat als Bild den See, als Motivation die Befriedigung der Bedürfnisse für sich und andere. Dahinter steht das Reich der Elfen, der Nachtwesen, aus denen alle Freude und Heiterkeit, alle Intensität stammt. Die Elfen sind nur heiteren und lachenden Menschen zugänglich, ernste und griesgrämige können sie nie erleben. Eine Irin sagte mir einmal auf meine Frage, warum wir sie nicht mehr sehen könnten: wenn sie auf einen griesgrämigen Menschen treffen, dann verschwinden sie gleich für hundert Jahre.
Bei den Indianern ist der Nordwesten der Schwerpunkt des Heiligen Achterrades: der Stamm kann nur dann glücklich werden, wenn er die Bedürfnisse jedes einzelnen achtet und aus dieser Einstellung die gemeinsame Intention beschließt.
Gen, der Körper, das Stillehalten im Südwesten hat als Bild den Berg, dessen wuchtige Größe den Leib zu seiner Ruhe bringt, in der allein die Wesenswünsche aufsteigen. Diese kommen aus dem Reich der Feen, die den Übergang von Leben und Traum, dem Werden und Vergehen wahren. Die Feen sind jene Geister, die uns die Möglichkeiten eröffnen, wenn wir sie ehren und einladen.

Alle acht Konstituenten des Khu können sowohl für die Zerstörung, die schwarze Magie, als auch für den Aufbau, die weiße, eingesetzt werden; das ist die Verantwortung und Entscheidung des Menschen selbst. Aber tatsächlich werden sie nur angejocht, wenn der Mensch den weisen Alten, den Engel jener der hinter dem Tor des Ostens als bestimmte Botschaft wartet, was die Bedeutung von Angelos ist — als seine Aufgabe erkennt und aus dem Nichts heraus dieser allein in Gewahrsein folgt.

  • Sahu verlangt glauben im Sinne des griechischen nomizein, anerkennen. Moses hieß auf ägyptisch der Geborene; Tothmoses jener, der von Toth geboren ist. Moses war also aus dem Nichts geboren, da er den Schöpfergott als jenen anerkannte, als der er sich zu erkennen gab. In Bubers und Luthers Übersetzung: ich werde dasein als der ich dasein werde — der ewig Zukünftige.

Das Wollen ist unbewusst, das Gewahrsein überbewusst: es tritt erst ein, wenn sich das magische Kind dem weisen Alten anschließt, seinen Akafaden knüpft und fortan nicht mehr auslässt. Nie ist Angelos ein inkarnierter Mensch. Daher war es eine falsche Interpretation, wenn in der Taufe auf den Namen eines Heiligen, dieser fortan der Engel sein sollte und zu dem Kind in Gegensatz trat, wie es die schwarze Erziehung forderte. Der weise Alte präexistiert als höheres Selbst genau wie das magische Kind, ist in jeder Inkarnation der gleiche, wird aber erst dann Teil des Wesens, wenn die Intention, die Aufgabe zum Ansatz des Lebenssinnes erwächst.

Arnold Keyserling
Weisheit des Rades · 1985
Orphische Gnosis
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD