Schule des Rades

Wilhelmine Keyserling

Mensch zwischen Himmel und Erde

IV. Über die Chakren - Betrachtung und Erfahrung

Betrachtung und Erfahrung

Im Jahre 1966, als ich begann, mich mit dem Yoga zu beschäftigen, und die Yogawelle in Europa gerade eine größere Anzahl von Suchenden erfasste, waren die Chakren noch äußerst mysteriös und tabu. Ich wurde öfters gefragt, ist es nicht gefährlich die Kundalini zu wecken? Es wurden Schaudergeschichten erzählt von Adepten, die mit solchen Übungen in schlimme Zustände geraten waren. Es gab auch Schriften namhafter Yogis, die ihre Engpässe und Durchbrüche zum Licht, ihre Kämpfe zwischen Verhaftung und Befreiung im Rahmen der Chakrenordnung durchspielten, wie die Heiligen der christlichen Welt sie als Versuchungen der Teufel personifizierten, oder die Indianer ihre Wesenskraft in der Konfrontation mit dem Ally entfalteten. Die Identifikation meiner Probleme mit den Chakren ist mir nicht gegeben, obwohl ich oft ins dunkle Loch falle und mein Vertrauen verliere, und sich gewisse Blockaden manchmal auch körperlich an bestimmten Stellen schmerzhaft, oder zumindest als Unbehagen wahrnehmen lassen.

Für mich sind die sieben Chakren Umschaltplätze, über die die feinere Energie, die den Lichtleib, die Bewusstseinsganzheit aufbaut, mit dem Körper in Berührung ist. Sie sind Orte, über die die Urkraft siebenfältig in uns einströmt, um sich in unserer Verkörperung zu verwirklichen.
Zehnfältig ist die energetische Anteilnahme unseres Lichtleibes an den Schwingungen des Ganzen, des Pleroma, des Göttlichen als Fülle. Sich dieses Zusammenhangs bewusst zu werden, ist für mich eine große Freude, und kann nichts anderes sein: Der Atem Gottes strömt auch durch mich, und ich kann ihn siebenfältig bergen, um ihn zwölffältig im Lebenskreis zur Verwirklichung zu bringen.

Die Völker Indiens, dieses Stier-Kontinents, waren die Ersten, die mit ihren konkreten Beschreibungen und praktischen Anweisungen der Meditation, unsere Aufmerksamkeit auf die Chakren gelenkt haben. Heute brauchen wir nur eine Zeitschrift alternativer Methoden der Psychologie, Massage, Heilkunst etc. aufzuschlagen und finden das Thema ausführlich behandelt.

Sicher kann ein stures Meditieren schädlich sein, wie jede Einseitigkeit. Wesentlich scheint mir als Grundlage der Besinnung auf das Unsichtbare im Körper, die Beschäftigung mit dem Greifbaren, dem Körper selbst. Einerseits sind viele Betätigungen und Lebensumstände unserer Zeit so körperfremd, dass es eines bewussten Ausgleichs bedarf — andererseits wird die Zuwendung zum Körper in der Wassermannzeit, der Zeit des Körper-Denkens, immer selbstverständlicher. Methoden vergangener Epochen, die den Körper als Gefäß des Bewusstseins entfalten wollten, werden wiederentdeckt, und den heutigen Verhältnissen angepasst gelehrt. Neue werden entwickelt, wie die von Moshé Feldenkrais, der mit seinen genialen Übungen in die Spontaneität der Bewegung zurückführt. Jeder Teil des Körpers, der nicht von mir bewohnt ist, ist von anderen bewohnt — heißt es; und jeder Bewegungsablauf entspricht einer Denkgewohnheit, einer Neuronenverknüpfung im Gehirn, und jedes Denken und Fühlen hat wiederum im Körper seinen Niederschlag. Das innere spontane Ich ist von einer ganzen Bevölkerung von kleinen Ichs bedrängt. So sitzt vielleicht im Nacken das häßliche-Entlein-Ich, in den Schultern das beschimpfte, besorgte, in den Hüften das vereinsamte, und in den Füßen das seinen Stand suchende. So schleppen wir die jüngste Vergangenheit der letzten Stunden und die früheste der Jugend im Körper mit uns herum. Diese Fixierungen zu lösen, ist das Anliegen aller Methoden des Körpergewahrseins.

Im Yoga sind es die Asanas, bestimmte Haltungen, über die wir versuchen, das Gewahrsein dieser Körperganzheit zu erlangen. Es geschieht letztlich durch den Ausgleich von halten — aufwärtsstreben, aufrichten, dem Himmel zu — und lassen: entspannen, loslassen, sich der Erde anvertrauen. Durch diese Körperarbeit stellt sich ein ruhiges Atmen ein, das noch durch Pranayama, Atemgewahrseinsübungen gefördert wird, bis der Atemstrom in seiner Kontinuität das Gefährt des Bewusstseins in bestimmter Richtung trägt. Dann kann die Meditation beginnen.

Wer die Chakren (im Sanskrit Räder — Energiewirbel) meditiert, wird sich gewiss schon mit ihrer Lokalisierung im Körper vertraut gemacht haben. Die folgende Reihenfolge ist von unten nach oben zu lesen.

C h a k r a s

7 und 1 sind der Wirbelsäule vorgelagert. Alle Sieben können trotzdem als Senkrechte erfahren werden.

Die Schwingungsfelder dieser Chakren sind mit dem Pendel ca. 20 bis 30 cm vom Körper entfernt sowohl vorne wie auch rückwärts genau festzustellen.

Wilhelmine Keyserling
Mensch zwischen Himmel und Erde · 1985
IV. Über die Chakren - Betrachtung und Erfahrung
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