Schule des Rades

Arnold Keyserling

Gott, Zahl und Wirklichkeit

Sieben

S i e b e nDer Ansatz der Sieben ist der Tod; nur durch die Allgegenwärtigkeit des Todes, nur durch dessen bewusstes Erleben kann man das in sich ergreifen, was über den Tod hinaus Bestand hat. Das Siebnerprinzip führt damit zur Schaffung der vielen Wege, die alle mehr oder weniger den Charakter der Bemühung, der Yoga haben: es gilt, dem jenseits des Todes in der Erleuchtung erlebten Wesenskern die Weltpotenzen einzuverleiben, die ihren Ursprung in der mann-weiblichen Liebe irdisch offenbaren.
Manche Wege beginnen asketisch, gegen das Geschlecht, manche orgiastisch über das Geschlecht. Doch in allen ist das mysterium conjunctionis, das letzte Ziel der Alchemisten des fünften Gottesprinzips, der Ausgangspunkt: nur durch Anjochung des Männlichen und Weiblichen, des Zeugenden und Empfangenden, kann der Mensch im Schöpfungsstrom das Durchgangstor offen haben.

Nicht jeder Mensch ist hierzu berufen: das Urbild des siebten Weges ist der Kampf; der Kampf mit sich selbst, aber auch der Kampf mit feindlichen Mächten, die den Menschen mitreißen und von seinem Weg abbringen wollen. Der Sieger des Weges, vielleicht am reinsten verkörpert im Jaina, der indischen Religion des Selbstüberwinders, wird dadurch fähig, anderen Menschen Führer und Vorbild auf dem gleichen Weg zu sein; er hat im Leben die Unsterblichkeit erreicht, darin, dass er bewusst den Weg zum Tod in all seinen Formen gegangen ist, bis die Urkraft auch die letzte Schlacke seiner Persönlichkeit durchglüht hat und er ganz zum Kristall wurde, welches das Urlicht rein durchlässt und selbst noch gleich einem Brennspiegel tausendfach konzentriert. Der Heilige des siebten Weges auf der Erde gleicht in seinem Feuer einer versengenden Sonne, welche den Schüler zur wahren Läuterung im Ursinn dieses Wortes allein durch die Tatsache seiner Anwesenheit verhilft.

Die Sieben ist die große Scheide: Die Prinzipien von eins bis sechs sind dem Menschen in der Welt, wie er ist, erlebbar, und dienen ihm als Führung; das erste Prinzip als Symbol der Heiligung, das zweite zur Unterscheidung von Gut und Böse, das dritte als Erlebnis der Begnadung, das vierte als Finden des eigenen Grundes, das fünfte in der Arbeit am mysterium conjunctionis und das sechste in der Erreichung der wahren Gerechtigkeit. Alle sind dem Menschen so zugänglich, wie er ist, falls er sich ihnen öffnet. Doch die höheren Prinzipien, von sieben bis zehn, sind nur von dem Menschen zu verwirklichen, welcher bewusst den Weg der Überwindung des Todes beschreitet, der also das siebte Prinzip als Hüter der Schwelle im Kampf besiegt, wie Jakob den Engel.

Erst auf den Tod hin offenbart sich der tiefere Sinn des Zusammenwirkens von Mensch und Natur. In dem Gesetz des siebten Prinzips muss der Mensch sie zusammenschweißen, auf dass sie ihm nicht in den drei höheren Prinzipien zur Hölle werden: der achtfachen Übergeschichtlichkeit, der neunfachen Höllenschwelle und schließlich der zehnfältigen Fülle der ganzen Schöpfung.

Die Bedeutung der Sieben und Acht hat sich am klarsten in der deutschen Sprache erhalten: sieben ist gleich aussieben, das Prinzip der Selektion; und Achten, mit seinem Gegensatz des Verachtens, bedeutet das Wesentliche, das Zukunftsweisende zu erkennen und vom Verwesenden zu unterscheiden.

Arnold Keyserling
Gott, Zahl und Wirklichkeit · 1965
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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