Schule des Rades

Arnold Keyserling

Gott, Zahl und Wirklichkeit

Drei

D r e iDas Prinzip der Zweiheit trennt das Scheidbare: was nicht den Weg zurückfinden kann, muss durch die Auflösung hindurch. Doch auch in der Auflösung, in dem Erleben der Sündhaftigkeit und Verfallenheit, kann der Mensch den Zugang zum Ursprung gewinnen: hier aber allein über den dreifaltigen Gott des Christentums. Auch der Hinduismus kennt den dreifaltigen Gott als die Trimurti, die Dreiheit von Brahma dem Schöpfer, Shiva dem Zerstörer und Vishnu dem Erhalter. Doch hier hat sich die Dreifaltigkeit nicht auf gleicher Ebene konstituiert, sondern in Wirklichkeit wird die Zweiheit von Vishnu und Shiva als das Ideal der beiden indischen Religionsgemeinschaften, der Vishnavas und der Shivaiten, verehrt, wobei Vishnu den Charakter der Einheit, und Shiva immer mehr den Charakter des meditativen siebenfältigen Gottes annahm, während Brahma, der Schöpfer, in den Hintergrund trat. Im Christentum hingegen sind die Personen auf gleicher Ebene: der Vater, zu dem man Zugang im Gebet gewinnt, um mit seinem Willen eins zu werden; der Sohn, welcher in seiner Ganzheit dem Menschen die eigene Vollendung vorgibt und das Richtmaß seines Strebens darstellt; und drittens der heilige Geist, der dem Menschen die Richtung auf Ursprung und Vollendung weist und ihn auf seinem Wege lenkt.

Gerade in der Zerrissenheit, oder christlich ausgedrückt in der Verzweiflung über die eigene Sündhaftigkeit, erfährt der Mensch die aufwärtsführende Gnade, welche ihm die Kraft gibt, stets wieder auf seinen Weg zurückzukommen; und dies in noch höherem Maße als im Eingott des Islam, welcher das Heil fest ein für allemal statuiert hat. Gott wird als die Kraft der Liebe in jeder Situation verstanden, und der Mensch braucht nur den Mut oder die Begnadung der Umkehr, der Rückkehr zur wahren Richtung zu finden, um aus jeglicher Situation und auch in jeglichen Umständen wieder an seine Bestimmung angejocht zu werden.

Doch da das Ziel der Vollendung im Christus offenbar ist, ergibt es auch das gegensätzliche Prinzip im Versucher, der den Menschen an die Zerfahrenheit und Zerklüftetheit seiner Triebe binden will. So lebt der Christ in der inneren Auseinandersetzung zwischen der Verhaftung an die Triebhaftigkeit und der Begnadung in der wahren Richtung. Der Versucher wird auf zwei verschiedene Weisen vorgestellt:

  • als Satan, der den Menschen an die Macht der Triebe verkettet,
  • oder als Luzifer, der sich im Spiegel einer falschen Selbstherrlichkeit verliert und dadurch mit der vielfältigen Welt identifiziert ist.
Arnold Keyserling
Gott, Zahl und Wirklichkeit · 1965
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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