Ästhetik ist die Struktur der Schönheit, und diese verlangt ein Studium, eine Theorie der Schönheit und ihrer psychologischen Wirkung. Ästhetik ist das, was die Schönheit erkennbar macht; in weiterem ist sie ein Gebiet, ein Feld, an dem ich die Aktualität der Wirklichkeit erkennen kann. Es hat damit zu tun, dass es eine Art Lesen der Welt gibt.
A. K.
Damit verstehst Du Ästhetik ganz anders als die zeitgenössische Kunstkritik, die sie entweder dem Konsum zuordnet, oder dem Engagement, und die die alte Rolle der Ästhetik, wie Kant sie mit der Sinnlichkeit verbindet, ganz verlassen hat.
E. G.
Ja, auf jeden Fall. Für mich ist, wie gesagt, Ästhetik ein Gebiet, und es kommt letztlich darauf an, dass das Objektive, das Wahre sichtbar wird.
A. K.
Worin äußert sich Ästhetik? Sind es Gegenstände, ist es eine Einstellung, die ästhetisch ist, wie kann man das genau bestimmen?
E. G.
Es fängt mit den Dingen an. Ein schönes Ding ist auch ein richtiges oder brauchbares Ding. In weiterem kann es dem Abstrakten dienen; ich kann mit dem Ding auch das Abstrakte vermitteln.
A. K.
Was meinst Du mit abstrakt?
E. G.
Das Ding ist das konkret Geformte, dem das Abstrakte, das Denkbare — aber nicht sichtbar — innewohnt. Es ist das Gedankengerüst, das zum Beispiel in den Kathedralen nicht äußerlich meßbar ist, weil es innerhalb der Konstruktion verläuft. Im Innenbau von Zahl und Maß, also der Geometrie, kommen wir an das Konstante heran — zum Beispiel, dass jeder Winkel im Halbkreis ein rechter Winkel ist — die Grundprinzipien unserer Welt und damit an die Schwelle des Göttlichen, der Schöpfung.
A. K.
Wo liegt der kreative Augenblick, wann kann man sagen, ein Gegenstand, ein Leben wird ästhetisch?
E. G.
Die Ästhetik beginnt dort, wo Es sich selbst ist. Beim Entwurfsprozess ist der erste Schritt die Vorstellung eines Gegenstands, den man auf Papier bringt, und im Laufe der Bearbeitung dieses Entwurfs stellt sich heraus, dass das Ding an sich eine innere Ordnung besitzt; die muss man finden.
A. K.
Viele Menschen behaupten heute, dass die Technik, Technologie und Maschinenwelt in absolutem Gegensatz zur Ästhetik stehen, so wie ein Kükelhaus oder manche Vertreter des Bauhauses. Kann die technologische Welt nicht genauso durch die Ästhetik vermenschlicht werden wie es frühere Künste in Bezug zu ihrer Umwelt vermochten?
E. G.
Ja, gewiss. Ich habe nach dem Krieg immer auf eine Renaissance gewartet, die in neuer Form die Verbindung zwischen der dinglichen und der geistigen Welt herstellt, was ja vielleicht im Laufe der Zeiten passieren wird. Die Technik steht in keiner Weise im Gegensatz zur Natur; die heutige Computertechnik ist ja dabei, die Natur in ihrer Basis zu entdecken und damit Werkzeuge zu machen, die dem Menschen dienen. Für mich wird auch in Zukunft die Beziehung zwischen Technik und Natur eine harmonische sein, und das herbeizuführen ist eine ganz wichtige Aufgabe des Menschen.
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