Schule des Rades

Arnold Keyserling

Spirituelle Ästhetik als Weg der Erkenntnis

Gespräch Teil 2

A. K.
Du bist zum Teil in Österreich, zum Teil in Amerika aufgewachsen. Wir leben heute im amerikanischen Zeitalter; aber was die Leute hier vom amerikanischen Geist wissen ist recht wenig. Kannst Du sagen, was die amerikanische Einstellung zum Leben und zur Technik anderes gebracht hat, als es bei uns nach dem Krieg der Fall war?
E. G.
Die Amerikaner haben den Begriff Freiheit, glaube ich von allen Völkern am besten verstanden, Freiheit verstanden als freedom of choice. Parallel dazu haben sie auch die Dinge so vereinfacht, wie zum Beispiel die Blue Jeans von Lévi-Strauss, dass sie eine allgemeingültige Aussage wurden über ein Kleidungsstück. Das ist auch eine Form der Freiheit. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren wurden sie geradezu zum Symbol der Freiheit. Ich habe mich dann sehr mit dieser Freiheit in der Kleidung und der ganzen Freizeitbekleidung beschäftigt, die damals entstanden ist und habe auch eine Firma gegründet, die solches erzeugte. Das war ein Aspekt der Befreiung des Menschen von dieser Unbeweglichkeit, die ja noch war. Vorher war das Ideal die starre Haltung, die sich auch in der Kleidung ausgedrückt hat. Die neue Kleidung vermittelte ein freieres, leichteres Gefühl des Daseins.
A. K.
Dieses freiere Gefühl des Daseins bedurfte wohl noch weiterer Schritte, und so bist Du nach Wien zurückgekehrt, in Kontakt getreten mit einer Gruppe von Künstlern und geistigen Menschen.
E. G.
Teilweise waren diese auch mit der Ästhetik beschäftigt; es waren bildende Künstler. Nach dem Krieg war ja nichts mehr da von der Tradition, den persönlichen Besitztümern, und es ging uns tatsächlich darum was ist der richtige Schuh, das richtige Sakko. Andererseits waren sie Künstler im Sinne, dass sie einen Lebensstil entdecken wollten, der ihnen Freiheit gibt. Es war damals fast ein Kampf mit der herrschenden Gesellschaft, weil wir doch außerhalb standen. Wir trafen uns im Kaffeehaus, haben die Literatur, die Kunst besprochen. Es war fast ein dauerhaftes Gespräch, das den Sinn gehabt hat, zu entdecken, wie werden die Dinge auf uns bezogen und wie beziehen wir uns auf die Dinge — wie macht man daraus einen Lebensstil.
A. K.
Wer waren die Leute und worüber habt Ihr sonst noch gesprochen? Es scheint mir das die Gespräche für viele in dieser Zeit der eigentliche Bildungsweg, sozusagen Seminare waren. Jeder, der etwas gelesen, gehört, erfahren hatte, versuchte die anderen anzuregen, von ihnen zu lernen, sie herauszufordern zu genauerer Definition und auch zum Weitermachen.
E. G.
In den Fünfzigerjahren waren die Gesprächspartner natürlich die Schulkollegen der Akademie, vor allem Walter Pichler und Max Peintner. Wir saßen nächtelang zusammen und haben uns zum Beispiel die Bibel vorgelesen, oder auch James Joyce, oder Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Es ging uns darum, selbst zu erkennen, was gut ist, was wertvoll, wo liegt die Qualität der Kunst? Es war alles noch sehr theoretisch; wir hatten wenig Geld und geringe Möglichkeit zum Tun, aber die Dichte der Nächte war einzigartig. Mein Standpunkt in den Gesprächen war immer, dass Schönheit, Einfachheit und Wahrheit miteinander zu tun haben. Mir schien der Weg, den Walter Pichler dann eingeschlagen hat zu frühzeitig; er hat nicht abgewartet bis er das alles durchschaut, sondern hat angefangen zu gestalten. Mich hat nicht allein die Kunst fasziniert, sondern ich habe gedacht, da gibt es noch viel mehr zu wissen. Ich habe lange gewartet bis ich eine Aussage gemacht habe, denn ich meinte, die Welt muss man zuerst erleben, komplett, und dann kann man etwas darüber sagen — im Wort oder in Gestalt.
A. K.
Solche Gespräche sind heute in den Hintergrund Getreten, da sie damals einen Aufbruch kennzeichneten. Die heutige Szene beschäftigt sich mit wenigen Ausnahmen nicht mehr mit solchen Fragen.
E. G.
Der Nachteil des Kunstbetriebs ist, dass man irgendeinmal hineinkommt, drinnen ist, und dann gelten die gleichen Regeln wie bei den bürgerlichen Leuten. Mich hatte es damals interessiert es weiter zu machen, denn die Ästhetik hört ja nicht auf bei den Dingen, bei der Gestaltung von Dingen. Wenn ich einmal ihre innere Struktur entdecke, habe ich diese verfolgt. Eine wesentliche Erscheinung bei allen Sachen ist ein mittlere Achse. Die mittlere Achse ist dass, was nichts hinzufügt, aber erst rechts und links, vorne und hinten unterscheidbar macht. Die mittlere Achse lässt sich auch im geistigen Bereich finden, ob im Yoga, im Tai Chi oder im abstrakten Denken. Sie ist ein ganz wesentlicher Faktor.
A. K.
Du hast eine ganze Reihe von Formen und Designs geschaffen, die anerkannt wurden und auch den Staatspreis erhielten. Wovon bist Du im Prozess Schaffen ausgegangen?
E. G.
Im Prinzip beginnt man immer mit der Vorstellung; es ist eine Art meditativer Prozess, in dem man sich einmal das Wort nimmt, Stuhl oder Schale — dann kommen ganz von selbst verschiedenen Schalen, die es je gegeben hat zu Bewusstsein. Darauf fügt man das Material ein: Holz, Stein, Metall, dann scheidet man alles aus, was nicht mit dem gewählten Material machbar ist. Dieser Forschungsprozess ist wesentlich, denn da wird eine Auswahl getroffen in bezug auf das Mögliche. Der zweite Schritt ist, dass zum Papier geht, auf dem weißen Papier die Achse sucht und von der Achse aus das Produkt entwickelt. Dann entsteht vielleicht etwas, aus der Synthese von Situation und Zeitgeist, der Menschen die mit dem Gegenstand umgehen werden, der Vorstellung, dem Material und der Entfaltung aus der Achse, was für den Schaffenden so überraschend und gleichzeitig so selbstverständlich ist wie für den künftigen Betrachter.
A. K.
Glaubst Du, dass ein künstlerischer Mensch eine fleischgewordene Gestaltungsfähigkeit ist? Wenn Du etwas angehst, sind Deine Schritte immer sehr sicher. Ist das Begabung oder erlernbar?
E. G.
Eine Begabung. Es war seit meiner Kindheit fast ein Gestaltungszwang. Alles, was ich angerührt habe, ist gestaltet worden.
Arnold Keyserling
Spirituelle Ästhetik als Weg der Erkenntnis · 1996
im Gespräch mit Ernst Graf
© 1998- Schule des Rades
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