Schule des Rades

Arnold Keyserling

Zeitgeist des Rades

Götterdämmerung

Gott hat vier Aspekte: die Leere der Mystik, buddhistisch Sunya; der Schöpfer und das Subjekt des All, wie er physikalisch als Große Singularität umschrieben wird; die historisch-prophetische Manifestation in Christus, Mohammed und den Heiligen, und schließlich die phänomenologische Manifestation des Tierkreises, des immanenten Menschen im All als Potentialität des Körpers, wie sie seit Beginn der Weltgeschichte überliefert wird.

Jede religiöse Wandlung fasst zwei Weltenmonate zusammen: so das Gilgamesch Epos die Zwillingszeit und Stierzeit, das Ägyptische Totenbuch Stierzeit und Widderzeit, und die Bibel Widderzeit und Fischezeit. Der heutige Übergang von der Fischezeit zur Wassermannzeit beruht auf dem Denken. Der Ansatz beginnt bei den Vorsokratikern und Pionieren der Achsenzeit im siebten Jahrhundert vor der Zeitenwende und vollendet sich in der Gegenwart, der technologischen globalen Zivilisation. Für mich ist der Ausgangspunkt in der jungsteinzeitlichen Revolution vor elftausend Jahren, und die Menschheit wird ihre Vollendung in sechzehntausend Jahren in der Löwezeit finden. Die 25.920 Jahre des Weltenjahres entsprechen den täglichen Atemzügen des Durchschnittsmenschen.

W e l t e n j a h r

Mit der Wassermannzeit ist der ganze Ablauf im Rad einsichtig geworden, aber nur jenen zugänglich, die den Schritt aus der Ideologie ins analoge Denken wagen. Durch die Computer, die alle wiederholbaren Denkabläufe maschinell vollziehen, kann fortan nur der kreative Mensch seinen Sinn verwirklichen.

Gleichzeitig mit meiner Geschichte und der antiakademischen Revolution veröffentlichte Giorgio de Santillana mit Hertha von Dechend den gleichen Zusammenhang, den ich philosophisch umrissen habe, aus astronomischer Sicht. Ersterer brachte den wissenschaftlichen Beweis in Die Mühle des Hamlet, dass der Mythos als Verdeutlichung der wissenschaftlichen Entdeckung der Parameter von Raum, Zeit und Zahl entstanden ist. Santillana war Professor für Wissenschaftsgeschichte an der wohl berühmtesten naturwissenschaftlichen Universität, dem M.I.T. Seine wichtigste Entdeckung war, dass es alle 2.160 Jahre zum Beginn eines neuen Weltenmonats zu einer katastrophalen Götterdämmerung kommt, und die Mythen, die auf der ganzen Erde die gleiche Thematik zeigen, versuchen diese Endzeit erträglich zu machen.

Wir erleben die fünfte Götterdämmerung. Ihr Höhepunkt waren die letzten sechzig Jahre 1934 bis 1994, die wohl grausamste und schrecklichste Epoche der bisherigen Geschichte mit dem Holocaust, den GULAGs, dem zweiten Weltkrieg, der Atombombe, der chinesischen Kulturrevolution, zusammen mit einer ökologischen Katastrophe, deren Folgen noch nicht abzusehen sind.

Die Chinesen und Japaner feierten am 10. Februar 1994 den Beginn des ersten aufbauenden Zyklus der Wassermannzeit im Zeichen des Holzhundes. In Wien vollzogen tibetische Mönche die Ablösung: Der Ertrag des letzten Zeitalters wurde in einem Sandmandala des Hahnes dargestellt, anschließend zerstört und in der Donau versenkt. Die Vergangenheit hat keine kausale Wirkung mehr, sie wurde von der Zeit in den Raum übertragen. Nun hat also offiziell der Aufbau der neuen Epoche begonnen. Der astrologische Beginn der Wassermannzeit war am 4. Februar 1962, und die Zerstörung des feudal-hierarchischen Weltbildes durch die Sowjetunion dauerte genau einen Tag des Weltenjahres, zweiundsiebzig Jahre, von 1917 bis 1989.

Die Gefahr jeder Götterdämmerung ist die totale Verwerfung der vergangenen Zeit, wie der Kampf des Widdervolks der Juden gegen das ägyptische goldene Kalb der Stierzeit oder der Kampf der Christen gegen das sogenannte Heidentum, die kosmische Religion. Die Auffassung der Geistesgeschichte als Entfaltung der Denkstile soll jener Gefahr entgegenwirken. Um diesen Ansatz zu verdeutlichen, möchte ich im Nachwort auf einige Entwicklungen hinweisen, die nach der Veröffentlichung des Buchs geschahen und das New Age eingeführt haben.

Arnold Keyserling
Zeitgeist des Rades · 1998
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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