Schule des Rades

Arnold Keyserling

Bewusstsein und Evolution

Mikrokosmos - Mesokosmos - Makrokosmos

Wir leben in drei Welten: Mikrokosmos, Mesokosmos und Makrokosmos. Veranschaulichen wir uns ihren Zusammenhang:

K o s m o s

Galilei hatte den Menschen aus der Mitte des Kosmos vertrieben und in eine Randerscheinung verwandelt, ein Stäubchen auf einem mittleren Planeten einer zweitklassigen Sonne auf einem Arm der Milchstraße, von denen es Billionen gibt. Heute dagegen hat sich herausgestellt, dass der Mensch in seiner Größe geometrisch genau die Mitte zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos bildet — also zwischen Molekül und Mond, Atom und Erde, Elektron und Sonne, Photon und Galaxis und natürlich virtuell zwischen Quant und All. Anstatt also den Mesokosmos auf die Kernbestandteile des Mikrokosmos oder auf Gesetze des Makrokosmos zu reduzieren, ist es besser, Makrokosmos und Mikrokosmos als notwendige Parameter unseres Mesokosmos des Lebens zu betrachten; der Mensch ist in die Mitte der Schöpfung zurückgekehrt. Doch diese kennt in allen drei Kosmen — nach Young — einen Schichtenbau.

Betrachten wir zuerst den Mikrokosmos. Unser All begann mit der Urexplosion, dem Big Bang, in der nullten geometrischen Dimension. Das All war gleichsam in einem einzigen Punkt versammelt, der überall und nirgends war. Bei dieser Schöpfung teilte sich nun die ursprüngliche Singularität — der physikalische Name für das Allsubjekt GOTT — in Myriaden von Einzelwesen, Quanten, welche die Zahl einer Vielfalt bestimmen; jede Erscheinung lässt sich auf eine ganzzahlige Vielfalt von Wirkungsquanten zurückführen. Der Schritt also, mathematisch gesehen, vom Wirkungsquant in die erste Dimension der Kosmogonie, lässt sich mathematisch als Sprung von den natürlichen Zahlen zu den ganzen Zahlen betrachten. Natürlich sind die Ziffern, bei denen Quantität und Qualität gleich sind. Die Zahl Eins ist ein Mysterium: 1 × 1 = 1, 1 ÷ 1 = 1, W u r z e l 1 = 1 und so fort. Die nullte Dimension ist Chaos, nicht Kosmos, Leere, aber gleichzeitig Potentialität.

Der physikalische Zusammenhang des Urknalls wurde kabbalistisch als die Zerteilung des Urmenschen, Adam Kadmon, Mahapurusha auf indisch, Ymir auf germanisch interpretiert; und in Sibirien müssen die Schamanen als Einweihung ihre Zerstückelung im Traum erleben. Früher betrachtete man diese Vision als Schizophrenie, heute weiß man durch die transpersonale Psychologie, dass sie ein wichtiger Schritt in der Integration vom durchschnittlichen Bewusstsein zum kosmischen Gewahrsein sein kann. Das All dehnt sich auf Grund des Urknalls aus; es wechselt zwischen Expansion und Kontraktion. Beide Phasen benötigen nach augenblicklicher Berechnung etwa 42 Milliarden Jahre: die selbe Zahl, die die Inder für den Atem Brahmas angaben. Der Urknall war vor 14 Milliarden Jahren, wir sind also noch lange in der Periode der Expansion. Wenn wir mit den stärksten Teleskopen in das Weltall blicken, sehen wir die letzten Galaxien 14 Milliarden Lichtjahre entfernt: wir blicken, also in die Vergangenheit. Das Wirkungsquant, von Planck bei Strahlung schwarzer Körper 1900 entdeckt, hat unendliche Energie, keine Masse und weder Raum noch Zeit. Es ist nicht zu beobachten, sondern nur in seiner ersten Manifestation als Photon, in der ersten Dimension zu bestimmen. Die Ausdehnung geschieht in schwarzen Raumkugeln; wo jene aufeinander treffen, bilden sich die Galaxien.

Der Wechsel zwischen Kontraktion und Expansion lässt sich entweder durch das Wechselverhältnis von Materie und Antimaterie oder durch das Verhältnis von Elektromagnetismus und Gravitation verstehen. Elektromagnetismus ist arithmetisch, folgt der Reihe 1, 2, 3, 4…; die Gravitation ist geometrisch, folgt der Reihe 1, 2, 4, 8, 16… Zu Anfang ist die elektromagnetische Energie um vieles stärker als die gravitationelle, aber ab eines gewissen Zeitpunktes kehrt sich das Verhältnis um. Auch im Kleinen: Wir sehen das am Phänomen der schwarzen Löcher, die das Licht verschlucken, eines von denen ist das Zentrum unserer Milchstraße, es befindet sich heute von der Erde aus gesehen in der Konstellation Schütze auf 26°.

Vom Mikrokosmos lässt sich die dimensionale Folge als Verringerung der Energie des Quants betrachten, vom Makrokosmos als Vermehrung der Faktoren der Abhängigkeit. Beide lassen sich durch die Mathematik, das heißt die dimensionale Raumstruktur begreifen.

Die erste Dimension ist räumlich die Linie, zeitlich die Bahn.

Ein Photon ist der Lichtgeschwindigkeit unterworfen, es ist ein Lichtquant. Es ist nicht identisch mit dem reinen punkthaften Quant, sondern in ewig linearer Bewegung. Laut Young beträgt seine energetische Ladung 37 Milliarden Elektronen Volt.

Licht erleben wir im Weltenraum nur von den Sternen, die alle zu den Galaxien gehören und räumlich statisch sind, mit Ausnahme der Planeten, den Wandelsternen. Sie sind für unsere Beobachtung linear auf die Erde bezogen, hängen aber von der Galaxie ab, die um ein schwarzes Loch in Spiralform kreist.

Photonen vereinigen sich zu Elektronen, die paarweise existieren, also zweidimensional zu verstehen sind. Deren subjekthafter Zusammenhang ist nicht der Lichtgeschwindigkeit unterworfen, sondern im All gleichzeitig, also in der nullten Dimension. Das Bell’sche Theorem besagt, dass wenn ein Glied eines Paares — Negatron und Positron — auf der Erde seinen zum anderen gegensätzlichen Spin, seine Eigendrehung umkehrt, dann muss das andere am Sirius das gleiche tun. So ist die nullte Dimension allgegenwärtig.

Die zweite Dimension des Makrokosmos ist die Sonne, mit der wir in energetischer Beziehung sind, da sie das Leben auf der Erde erhält. Ihre Energie der Fusion — Wasserstoff verwandelt sich dauernd in Helium, das weniger wiegt als das Wasserstoffproton und durch den Packungseffekt wird ein Teil der Masse zu Energie — ist die Sonne der Kraftträger des Planetensystems, nicht nur deren Schwerkraftszentrum.

Die dritte Dimension des Mikrokosmos ist das Atom, bestehend aus Elektronen und Protonen, und dazu den Neutronen. Es lässt sich als dreidimensionale Einheit verstehen, die Elektronen kreisen nicht zweidimensional flächig um den Zentralstern wie die Planeten im Tierkreis, sondern dreidimensional in gequantelten sieben Schalen mit der Entfernung 1, 4, 9, 16, 25, 36, 49 um den Kern. Auch die Erde, der symmetrische Partner, ist dreidimensional als sich drehender Körper zu verstehen. Die Atome gliedern sich nach 92 Elementen, in 9 + 1 Gruppen, wobei die neunte Gruppe der gesättigten Edelgase als nullte bezeichnet wird. Die vierte Dimension ist das Molekül, welches Atome miteinander verbindet nach dem Gesetz der Acht; wenn die äußere Schale mit acht Elektronen gefüllt ist, dann entspricht das Molekül einem Edelgas, es ist nicht mehr imstande, sich mit anderen zu verbinden und wird zum Durchgangsort von Kraft und Licht, von Raum und Zeit, wobei seine Zahl als Quantität gleichzeitig invariante Qualität ist. So hat Wasser die Zahl und ist das erste gesättigte Molekül, denn 2 Helium ist atomar.

Die Moleküle unterliegen dem Wechsel innerhalb der vier Naturelemente: Erde, Wasser, Luft und senkrecht dazu Feuer, das sie ineinander überführt.

Von der Nacht aus gesehen — die Nacht unterscheidet nur zwischen Licht und Dunkel — ist der einzige Himmelskörper, der zwischen Fülle und Leere wechselt, der Mond. Er ist zufolge der Mythen aller Traditionen für die Entstehung des Lebens und auch des Wetters verantwortlich. Daher hat die alte Medizin die Gesundheit vom Gleichgewicht der vier Säfte abhängig gemacht, die den Elementen entsprachen: Feuer — cholerisch, Wasser — phlegmatisch, Luft — sanguinisch und Erde — melancholisch.

Die Emanation können wir als Schöpfung bezeichnen, sobald wir alle fünf Stufen als Einheit sehen. Jede der Stufen ist durch eine andere Zahlenart zu begreifen:

  • die nullte durch die natürlichen Zahlen,
  • die erste durch die ganzen Zahlen,
  • die zweite durch die rationalen Zahlen,
  • die dritte durch die reellen Zahlen und
  • die vierte durch die komplexen oder imaginären Zahlen.

Jede bestimmt zwei Rechnungsarten nach Anzahl ihrer Komponenten. Die Erklärung habe ich in meiner Geschichte der Denkstile geschildert, es würde zu weit führen, sie in ihrer ganzen Komplexität darzustellen. Wichtig aber ist, dass die vierte Dimension des Moleküls und des Mondes als der sublunaren Welt, unsere Lebenswirklichkeit als Aktualität ist. Moleküle entstehen dank der Erdtemperatur von durchschnittlich 18° in drei Formen: Salze, Metalle und Kristalle. Kristalle sind Materie gewordene, geometrisch zu begreifende Zahlen.

Arnold Keyserling
Bewusstsein und Evolution · 1998
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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