Schule des Rades
Arnold Keyserling
Chakrale Musik
Aufstieg - Abstieg
Diese Zusammenfügung kann nur vom Menschen selbst, aus freien Stücken, also aus dem Willen heraus geschehen. Hierzu verwandeln sich die Schichten in Stufen; es gilt die Vereinigung bewusst zu vollziehen. Die verschiedenen Traditionen haben immer andere Formen gewählt, die letztlich aber auf das gleiche herauskommen: nämlich, dass die sieben Schwerpunkte in Harmonie (nicht Konsonanz) gebracht werden. Ein Beispiel ist der Raja-Yogaweg, der die Stufen eine nach der anderen bewusst anjocht:
Chakras
Aufstieg Geist
Seele
Körper
Wollen
Fühlen
Denken
Empfinden Sahasrara
Ajna
Vishuddha
Anahata
Manipura
Swaddhistana
Muladhara überbewusst
bewusst
unterbewusst
unbewusst
unterbewusst
bewusst
überbewusst Schlafen
Träumen
Reflektieren
Wachen
Der Weg geht von unten nach oben. Die sinnliche Wahrnehmung scheint bewusst: in Wirklichkeit muss sie durch entsprechende Übungen erarbeitet werden. Die zweite Stufe ist bewusst, kennzeichnet zusammen mit der sechsten die Gefahr des falschen Ichs: sie wird durch Beobachtung überstiegen.
Sind die Gedanken geklärt, dann können die Gefühle durch Traumanalyse bzw. Vertiefung der Einbildungskraft, Bestandsaufnahme ihrer Phänomenologie, Erschöpfung der Vasanas, einbezogen werden, und damit wird das Tor zum Tiefschlaf, welches gleichzeitig das Tor zur Überwindung des Todes, Eingang in das wahre Bewusstsein ist, überwunden; die innere Ruhe ist gleichzeitig Seligkeit, Stille, Freude — Sat-Chit-Ananda.
Aber der Zustand hat auch einen eigenen Inhalt, der jetzt erst frei wird: der Körper verlangt aus seinem Genom eine bestimmte Verwirklichung, die sich gleichsam historisch in die natürliche Evolution einordnen muss: es gilt das eigene Wollen mit dem Wollen Gottes, oder der Natur zu vereinen; der Wesenskern leuchtet nur auf, wenn der Weltengrund und die Kommunion gleichzeitig bewusst werden.
Ist dieser Schritt vollzogen, so gilt es die seelischen Verhältnisse von der Statik in die Dynamik zu überführen, dass man jene aufsucht, und jenen anhängt, die auf dem Weg der Integration weitergegangen sind — dass man also die realisierten Menschen jedweder Religion und Tradition als die eigentlichen Führer betrachtet (Ajna — Gehorsamszentrum).
Der letzte Schritt ist das Erleben der Alleinheit des Kosmos, sei es als Vision, sei es als Auftrag, sei es als Erleben der Vollendung — sowohl im Zustand (Samadhi oder Satori), als auch in der Kommunikation bzw. der Kommunion, dem kosmischen Bewusstsein.
Dieser Weg ist voll von Gefahren, weil die Vertiefung in die unteren Zentren Identifikation mit deren Inhalten zeitigen kann — statt des begrenzten Ichs entsteht unbegrenzter Sinnestaumel (1), Neugier (2), Machthunger (3), ja selbst Pseudoführung (4), wenn der Kontakt zu einem Guru, der aus dem obersten Zentrum her lebt, nicht aufrechterhalten bleibt. Aber auch diese letztere Form kann eine Gefahr bedeuten: wenn da Aussteigen aus der Wirklichkeit, das Einswerden mit der Urschwingung, die als OM symbolisiert wird, erklärtes Ziel ist. Zwar warnen die alten Traditionen davor: der Mensch solle nach Erreichen des obersten Zentrums wieder zurück in die Welt, und den Rajayoga des Wollens durch den Karmayoga des selbstlosen Handelns, den Shaktiyoga des liebenden Fühlens, und den Jnanayoga der Überwindung des diskursiven Denkens ergänzen, oder er müsse — so im buddhistischen Weg — auf sein eigenes Heil der persönlichen Erlösung als Bodhisattva verzichten, bis auch das letzte Wesen den Weg ins Nirvana erreicht habe.
Eine gegensätzliche Ordnung findet sich im christlichen Vater-Unser:
Abstieg | Geist | 7 | Vater unser im Himmel |
Seele | 6 | Dein Name sei geheiligt | |
Körper | 5 | Dein Reich komme | |
wollen | 4 | Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden | |
fühlen | 3 | Unser täglich Brot gib uns heute (oder immer dar) | |
denken | 2 | Vergib uns unsre Schuld wie wir vergeben unseren Schuldigern | |
empfinden | 1 | Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel (Sünde, Bösen). |
Hier wird über den Rajayogaweg hinaus, die Vereinigung aller sieben Komponenten als Einstellungsziel erstrebt, wobei der Angelpunkt in der mittleren Stufe des Wollens liegt. Die drei oberen sind auf den Himmel, das heißt auf das Bewusstsein geeicht, die unteren werden dialektisch am Willen angejocht, womit der Widerspruch zwischen geistigem Aufstieg und Leben in der Welt überwunden wurde.
Es ist aber nicht der Wortlaut, welcher diese Überwindung gewährleistet, sondern die Tatsache, dass die Funktionen und Bereiche angejocht werden und das Ich (im Gebot der Nächstenliebe) in seiner Letztinstanzlichkeit gesprengt wird. Das Gebet bedeutet nun eine bestimmte historische und damit auch in ihrem Wirkungsfeld begrenzte Form; das personale Gotteserleben ist nur einem Teil der Menschheit zugänglich.
Andere Wege, wie die Vertiefung in das dunkle Wollen der Urkraft bei Scottus Eriugena, das donnernde Schweigen des Bodhidharma, oder die Arbeit an sich selbst der Moslembruderschaften scheinen zum gleichen Ergebnis zu führen.
Damit stellt sich die Frage, ob dieser Zustand nicht auch unmittelbar über das Verständnis der zugrundeliegenden Schwingungsgesetze zu erzielen wäre, womit wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Untersuchung angekommen sind:
der möglichen Rolle einer neuen Musik, die den Menschen nicht von außen her erfreut, sondern innerlich umstimmt und auf den Urton der nicht nur den Menschen, sondern alle Warmblüter, wie neueste Forschungen gezeigt haben, als Mikrovibration beseelt — abstimmt.
Dass es eine solche Musik einmal gegeben hat, darüber berichten alle Traditionen, zuletzt jene der Moslembruderschaften. Doch auch diese stießen nicht bis zur mathematischen Klarheit vor: erst die Erkenntnisse der Gegenwart ermöglichen ihre genaue Bestimmung, und damit die Konstruktion entsprechender Instrumente.
Für die wissenschaftliche Auffassung sind Qualitäten Begleiterscheinung mathematischer Gesetze; für das Bewusstsein sind sie unmittelbare Gegebenheit, die Gesetze werden von ihnen abgeleitet: Maß und Schwingung sind etwa Bestimmungen von vernehmbaren Tonwerten. Hier wird die Oktave als Gleichklang vernommen, als Ursprung aller Konsonanz und damit auch Harmonie.
Ab der Geburt des Menschen ist das unterste Schwingungszentrum der Ausgangspunkt, auch wenn sich später der Schwerpunkt nach oben verlagert. Die Gattung überwiegt das persönliche Schicksal, wenn nicht das bewusste Sein erarbeitet wird.