Nach dieser Exploration — sie kann in diesem Zusammenhang nur kurz sein — nun ein sehr enger Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema unseres Gesprächs. Es geht um Wissenschaft, um Evolution einerseits, um Religion, um Glaube andererseits. Das ist das Thema, das etwa Hoimar von Ditfurth in seinem Bestseller behandelt und das in Salzburg bei dem Symposium Evolution und Menschenbild abgehandelt wurde. Die Frage an Sie: Wie sehen Sie die Relation von Evolutionstheorie unter Berücksichtigung der modernsten Entwicklungen, insbesondere der Evolutionären Erkenntnistheorie, über den Kulturbereich des Christentums, der europäischen Gedankenwelt hinaus zur Weltkultur? Was hat die Weltkultur, was haben die östlichen Religionen mit dem Evolutionsgedanke zu tun? Ist er ihnen ursprünglich so fremd, wie er es ursprünglich doch der abendländischen, sowohl der griechischen wie der christlichen Religion war? Oder gibt es gemeinsame Wurzeln?
A. K.
Viele Interpreten der Evolutionstheorie sprechen von graduellen Übergängen der Entwicklung: Jede Mutation bringt Fortschritt. Nun sind aber fast alle Mutationen, die man beobachten kann, negativ: Sie sind Fehler, die die Ordnung stören. Also muss ein Element der Schöpfung, ein kreatives Element, dazukommen. Dies war auch die Vorstellung Teilhard de Chardins. Evolution in diesem Sinne ist absolut mit der Religion zu vereinbaren. Sie ist auch Teil der indischen Lehre, sie ist Teil der chinesischen, und sie ist natürlich Teil der Naturreligion, der Steinzeit-Religion.
F. K.
Hier müsste ich bemerken, dass die modernsten Tendenzen der Evolutionstheorie durchaus zu dem wissenschaftlich fundierten Schluss kommen, dass die Evolution aus kreativen Sprüngen besteht, wobei die wissenschaftsfundierte Evolutionstheorie hier nicht unbedingt vorerst zu mystischen oder übernatürlichen Ursachen Zuflucht nehmen muss, sondern Aufschlüsse zu finden glaubt, wie es auf durchaus physikalischer Basis zu kreativen Schüben kommt. Lorenz nennt das Fulguration, Riedl spricht von der Ordnung des Lebendigen, bei Popper ist es ein klar postulierter Kreativismus, bei Prigogine heißt es Bifurkation, bei EigenHyperzyklen. Hier ist ja durchaus eine Begegnung mit religiösen Überzeugungen denkbar.
A. K.
Das ist ein sehr wichtiger Aspekt — auch in Bezug auf die Haltung der römisch-katholischen Kirche. Ich bin nicht Christ, ich sehe die Sache von außen, aber es scheint mir: Wo sich die christliche Kirche mit Recht gegen die Evolutionstheorie gewehrt hat, ging es um eine liberalistische Evolution im Sinne des Sozialdarwinismus, also des stetigen Fortschritts. In dem Augenblick, in dem die magischen Sprünge akzeptiert werden, ist der Gegensatz überwindbar.
F. K.
Nun hat ja jede Religion evolutionäre Aspekte. Jede Religion hat Schöpfungs- und Entstehungsmythen.
A. K.
Es gibt keine einzige ohne solche Mythen.
F. K.
Die Welt muss entstanden sein, diesen Gedanken erlegt uns unser Geist auf…
A. K.
Und psychologisch ist noch ein Motiv im Spiel: Wenn ich meine eigene Existenz nicht bis zum Ursprung zurückverfolgen kann, kann ich kein Eigenbewusstsein haben…
F. K.
Das hat somit jede Religion mit der Evolutionstheorie gemeinsam. Jede Religion muss ja auch den Einzelmenschen, die Menschheit, die Welt irgendwo hinführen. Also das Herleiten aus einer Schöpfung, das Hinleiten zu einem jüngsten Tag, was immer das sein mag, ist jeder Religion eigen. Das, was die Evolutionstheorie auszeichnet und was sie so lange Zeit von der Religion getrennt hat, ist aber, dass sie die Mittelpunksituation des Menschen, die jeder naiven religiösen Überzeugung eigen ist, negieren muss, dass sie den Menschen mehrfach aus dem Mittelpunkt der Welt genommen hat; vorerst kopernikanisch im räumlichen Sinn, dann auch darwinistisch im zeitlichen Sinn. Dazu kommt, dass die moderne Naturwissenschaft menschliche Maße sprengt, denn die Evolutionstheorien der Religionen sind ja auf menschliche Raum- und Zeitbedingungen bezogen: Die Schöpfungstage liegen Generationen oder höchstens Jahrtausende zurück, der jüngste Tag wird entweder nächstes Jahr oder in hundert oder in tausend Jahren erwartet, sicherlich nicht in Jahrmillionen, Jahrmilliarden…
A. K.
Nicht bei den Indern! In Indien sind 42 Milliarden Jahre der Ausdehnung des Universums und 42 Milliarden Jahre der Zusammenziehung vorgesehen. Die Inder nennen das den Atem Brahmas.
F. K.
Und aus welcher Zeit stammt diese Pulsationtheorie?
A. K.
Sie ist vedisch. Also aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus.
F. K.
Sind Zahlen dieser Größenordnung in dieser Zeit überhaupt im Spiel gewesen?
A. K.
Ja, die Inder haben diese Zahlen immer gehabt.
F. K.
Bis zur Milliardengröße… Das ist verblüffend. Und die Meßzahl, die den Größenordnungen der neuesten Urknalltheorie entspricht, woher kommt sie?
A. K.
Das ist vielleicht etwas enttäuschend — die kommt aus der Zahlenmagie, weil die Zahl 84 sieben mal zwölf ist. Die Inder haben zum Beispiel hundertacht Upanischaden, weil das neun mal zwölf ist. 84 Jahrmilliarden für den Atem Brahmas — genau wie man 84 Millionen Inkarnationen in einem Leben durchmacht. Das sind Zahlen, die etwas anderes bedeuten als unsere Zahlen: Es sind sozusagen Strukturzahlen, mythische Zahlen mit einer übermathematischen Bedeutung.
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