Schule des Rades
Arnold Keyserling
Konkretes und abstraktes Denken bei Lévi-Strauss
Autonomie des Menschen
Für die auf Abaelard folgenden Scholastiker erfasste der Konzeptualismus nicht die metaphysische Tiefe des Problems. Erst Lévi-Strauss hat im Einklang mit der modernen Genetik hier die Antwort enthüllt: die Träger von Sinn und Bedeutung, die Kriterien, haben einen eigenen Urgrund, der weder mit jenem energetischen Prinzip der Realisten, noch mit der Beschreibung äußerer Tatbestände im Sinne des induktiven Nominalismus identisch ist. Er bildet das Unbewusste jenseits der Sphären von sozialem Gedächtnis, nominalistischer Beschreibung und unterbewusster entelechetischer Triebrichtung.
Kriterien
Schlaf
unbewusstäußere Wirklichkeit
wachen
bewusst
Triebwirklichkeit
Traum
unterbewusstsoziale Wirklichkeit
Gedächtnis
potentiell bewusst
- Die erste Gegebenheit ist die dem Wachen zugängliche äußere Wirklichkeit, wie sie über die Sinne bewusst wird: die Welt des Empfindens, der Farben, Töne, Gerüche, Geschmäcker und Tastbarkeiten. Sie bildet das eigentliche Feld der Wissenschaft; denn das letzte Bindeglied zur Erfahrung kann immer nur eine wahrnehmbare Gegebenheit der Sinne sein.
- Die zweite Sphäre ist jene des Gedächtnisses, die ihren Schwerpunkt in der Verbalisierung hat. Sie gliedert sich einerseits in die Sprache als Grundlage der Kommunikation, andrerseits in die persönlichen und kollektiven Erinnerungen, soweit sie sich ins Bewusstsein rufen lassen. Diese Sphäre ist von jener des wachen Bewusstseins verschieden; obwohl bereits Scholastiker auf diese Verschiedenheit aufmerksam gemacht hatten, ist die mangelnde Berücksichtigung dieser Tatsache für den Universalienstreit verantwortlich. Ihr Träger ist die Funktion des Denkens: des Begreifens von Einzelheiten und Bedeutungen im Wort, des Verstehens von Sinneszusammenhängen im Satz, und des Urteilens nach wahr und falsch gemäß den Gesetzen der Logik. Der Denkende befindet sich zwischen Kommunikation und Gedächtnis, beide nehmen gleichermaßen am Denkprozess teil, während das unassoziative Empfinden eine andere Bewusstseinslage erfordert: denn nicht nur durch die Sinne, sondern auch durch die Sprache werden Vorstellungsbilder gleicher Intensität vermittelt.
- Als dritte Sphäre tritt die eigenmächtige Einbildungskraft des Traumes hinzu, die unterbewusst ist. Ihren Ursprung bildet die Triebwelt, die dem Fühlen zugrundeliegt. Fast alle Träume sind Wunscherfüllungen. Doch die Triebwurzeln greifen auch in das Wachleben über, wenn zwischen Wünschen und Realität nicht reinlich unterschieden wird. Nicht nur die Vermischung von Denken und Empfinden führt zu Irrtümern — auch jene von Fühlen und Empfinden, von Wachen und Träumen; sie ist sogar die häufigste. Beim Tier sind Wachen und Träumen, Wahrnehmung und Instinkt in enger Beziehung, durch Reflexbahnen miteinander verknüpft, die teils eingeboren sind, teils aus der Erfahrung stammen und das Verhalten bestimmen.
Auch beim Menschen kann dies der Fall sein, wenn er nur das wahrnimmt, was ihn sinnlich oder triebhaft affiziert. So sehen wir hier die Berechtigung des Radkreuzes als Schema der Veranschaulichung, welches uns zu einem Schluss bringt, der den alten Kulturen selbstverständlich war, der Neuzeit aber fremd geworden ist: dass nämlich das wahre Bewusstsein im Sinne einer Autonomie des Menschen sich nicht von selbst versteht, sondern als Mitte des Kreises erst errungen werden muss als bewusste Trennung der Welt der Triebe und der Sinne, der Traumvorstellung und der Wirklichkeit.