Schule des Rades
Arnold Keyserling
Astrologie und Kriteriologie
Inbegriffe als Lebenskreis
Die dritte Komponente der Astrologie, die Aspekte, erhalten ihre logische Begründung aus den Intervallen im Rahmen der Toleranz.
- Konjunktion und Opposition, Oktave und Triton sind Willensbestimmungen;
- Trigon und Sextil, große Terz und große Sekund, sind Empfindungsbeziehungen und führen in die Verwirklichung.
- Quadrat, kleine Terz, ist ein triebhaft bestimmter Gefühlsintervall, der sich als Sehnsucht und Spannung äußert,
- und schließlich Quincunx und Halbsextil sind als kleine Sekund und als Quinte-Quarte Denkschritte, die von Thema zu Thema wechseln.
Die vierte Komponente der traditionellen Astrologie, der Häuserkreis im Äquatorialschema, wiederholt die Thematik der Inbegriffe als Lebenskreis der Einstellungen, die sich von Jahrsiebt zu Jahrsiebt wandeln, und bei jedem Menschen nach Maßgabe von Geburtsort und Geburtszeit in einem anderen Verhältnis zur Ekliptik stehen. Auch hier erweist sich die Tradition als Stichhaltig:
- das I. Jahrsiebt prägt das Ich,
- das II. die Beziehung zur Objektwelt,
- das III. — zwischen 14 und 21 Jahren — jenes zu Kameraden und zum Lernen im Sinne der entsprechenden Schulperiode;
- das IV. die Loslösung von den Eltern,
- das V. die Haltung zu Kindern und zum eigenen Wesen,
- und das VI. die Einstellung zur Arbeit.
Von der Lebensmitte mit 42 geht der Weg dann im Kreisbogen zurück:
- das VII. prägt die Haltung zur Gemeinschaft,
- im VIII. wird die Thematik des Todes einbezogen,
- damit der Mensch im IX. die eigene ideelle Richtung findet,
- die im X. Jahrsiebt zwischen 63 und 70 zur Berufung wird
- und sich im elften als Werk kristallisiert,
- bis dann im XII. Abschnitt der Einsamkeit der Organismus ganz zum Gefährt der Urkraft werden sollte, wie dies im Sinnbilder Heiligen und Weisen dargestellt wurde.
Für die traditionelle Astrologie, die sich als Lebenshilfe im Rahmen der gegebenen Heilswege verstand, glich die Abfolge dem Glücksrad, wie es auf zahlreichen Darstellungen in allen Kulturkreisen zu finden ist; und die Komponenten wurden als kausale Faktoren im Sinne eines Schicksals interpretiert. Denn sowohl die Religionen als auch die Kulturen der vergangenen Epoche hatten ihren Schwerpunkt in der senkrechten Achse des Radkreuzes zwischen asketischer Triebbeherrschung und praktischer Bewährung, während meditative Versenkung und denkerische Bemühung der waagrechten Achse das Anliegen weniger Einzelner blieb; der Weg der Gnosis wurde nicht nur im Christentum abgelehnt, auch im Hinduismus war Jnana dem Bhaktiweg der liebenden Devotion nachgeordnet. Hiermit ging die repräsentative Vorstellung Hand in Hand, der gemäß der Mensch seinen Lebenssinn durch Nachfolge eines Heiligen oder durch Finden seines Standes in einer offenbarten Ordnung erstrebt, der niemals ganz auf der Erde zu verwirklichen ist; der Einzelne fand Würde und Weihe durch seine Funktion in der vorgegebenen Ideologie, die sich fast immer als ausschließlichen Weg im Sinne eines Bekenntnisses betrachtete.
Strebt der Mensch nun heute nach Selbstbestimmung, so stellt sich die Frage in anderer Weise: es gilt die Komponenten des eigenen Charakters und Schicksals als Grundstimmung zu erfassen und als bewussten Rahmen im Sinne vorgegebener Möglichkeiten einzubeziehen, damit der Einzelne sein Wesen im Werk und in der Lebensmelodie verwirklichen kann. Dies verlangt aber zu allererst die Klärung des Problems, wieso der Augenblick der Geburt die raum-zeitliche Persönlichkeitsstruktur überhaupt zu bestimmen vermochte.