Schule des Rades
Dago Vlasits
Wissenschaft vom Ursprung ist der Ursprung von Wissenschaft
Das reine Sein der Logik
Ein tiefes Vertrauen in die Kraft des Denkens eignet allen Vorsokratikern, Anaximander wird davon bis an den Rand des Denkbaren getragen. Dass es ihn soweit trägt, gibt ihm den Mut, das Unbestimmbare jenseits dieses Randes als wesenhaften, göttlichen Urgrund zu schauen. Für das Denken ist dies aber ein Nichts. Auch der Heraklitische Logos hat dieses Nichts zur Voraussetzung, denn alles Sein, das entsteht und vergeht, setzt ein Nicht-Sein voraus, dem es entspringt und in welches es entschwindet. Aber das Denkbare zu Ende gedacht zu haben — existentialistisch gesprochen das Scheitern des Denkens allein — kann uns die Gewissheit des göttlichen Urgrundes nicht erschließen. Hier angelangt, ist der Mensch in einer anderen Weise gefordert. Er muss einen weiteren Schritt wagen, den Schritt aus dem Denken ins Wollen. Der Urgrund kann nur gewollt werden, verbleibt der Mensch im bloßen Denken, wird ihm der Urgrund zum leeren Begriff, zu einer Chiffre, die eigentlich nichts bezeichnet. Entschließt sich aber der Mensch zu diesem Wagnis, hat er im Akt des Wollens an der Urkraft teil, denn das spontane Wollen selbst ist die Art und Weise, wie sich diese Kraft im Menschen bekundet.
Parmenides von Elea (ca. 500 − ?), der eigentliche Antipode des Heraklit und Schüler des Xenophanes, schlägt aber einen völlig anderen Weg ein. Sein Vertrauen in das Denken geht so weit, alles, was über das Denkbare hinausführt, zum Unsinn zu erklären und nur das logisch richtig Gedachte mit der eigentlichen Wirklichkeit zu identifizieren, denn, so behauptet er, dasselbe ist Denken und Sein.
Was er findet, ist keine Arché, kein Urprinzip und Uranfang, von dem sich die Erscheinungen ableiten und unterscheiden, sondern das eine, zeitlose, homogene, vollkommene Sein. Erste und letzte begriffliche Bestimmung des Wirklichen ist das Urteil, dass es ist. Alle bisherigen Denker setzten ein Nicht-Seiendes voraus, welches sie allerdings als Ur-Potentialität verstanden. Er aber bestritt die Denkbarkeit des Nicht-Seins, denn was immer gedacht wird, hat ein Vorhandenes, ein Etwas zum Gegenstand. Innerhalb der Grenzen des Denkens verbleibend, erschloss sich ihm im logischen Urteil die einzige und absolute Wahrheit und somit eine andere Art von transzendentem Urgrund, das ganz und gar gegenwärtige, ruhende Sein, welches dem Werden in der Zeit und der Bewegung im Raum entzogen ist. Nur was sich über die Kopula ist
im logischen Urteil der Seinsgewissheit versichern kann, hat Bestand. Gemäß diesem Maßstab ist das Urteil Das Nicht-Sein ist
natürlich ein Unsinn, das richtige Urteil über das Nicht-Sein kann nur lauten Das Nicht-Sein ist nicht
, einzig das Seiende ist. Dem Parmenides wird im Denken das Denken selbst zur Offenbarung. Der heutigen Logik als Formalwissenschaft sind diese einfachsten Sätze leere Tautologien, dem großen Eleaten sind sie aber erfüllt von dem einen ungewordenen, unteilbaren Sein, neben dem es kein Anderes gibt und welches ihn als Ganzen ergriffen hat.
Indem Parmenides den Sinn der Kopula ist
und die zwingenden Grundgesetze des Denkens erkennt, ist er noch vor Aristoteles der Vater der Logik und somit von einzigartiger historischer Bedeutung. Die Konsequenzen, welche sich aber aus seiner Seinslehre ergeben, haben ihn bereits zu Lebzeiten dem Spott seiner Mitmenschen ausgesetzt. Veränderung und Bewegung sind nämlich für ihn nicht denkbar, da sie immer nur als bereits Gewesenes oder noch nicht Daseiendes, nie aber als Seiendes vorstellbar sind. Wenn also das Urteil das Werden ist
ein Unsinn ist, kann dem Werden keine Wirklichkeit zukommen, und alle augenscheinliche Sinneserfahrung, die uns dauernd vom Gegenteil überzeugen möchte, ist als Trug und Illusion zu entlarven.