Schule des Rades
Dago Vlasits
Wissenschaft und Weisheit
Fixpunkt – Attraktor − − −
Die Topologie der Attraktoren geht also von den 3 Raumdimensionen aus, und als Viertes von deren Möglichkeit der Zusammenziehung und Ausdehnung. Schrumpfen alle drei Dimensionen, so endet die Dynamik in einem Punkt. Die übliche Darstellung davon ist eine immer enger werdende Spirale. Ein schwingendes Pendel, das durch Reibung zur Ruhe kommt, ein Feuer, das erlischt oder das Universum, welches durch Vermehrung seiner Entropie dem Tod im thermodynamischen Gleichgewicht zustrebt — alle unterliegen dem Fixpunktattraktor. Der eindeutig auf einen Punkt gerichtete Fluss ist also die einfachste Dynamik. Es wird aber auch ein anderer Fixpunkt unterschieden, welcher als Repulsor und nicht als Attraktor bezeichnet wird, wenn nämlich alle Dimensionen von einem Punkt aus expandieren. Der Punkt ist hier nicht die tiefste Senke, sondern eine Quelle der Kraft und Existenz des Systems. Seine größte Entsprechung hat diese Dynamik im Universum, welches aus dem Urknall expandiert. Hier sehen wir auch, wie Repulsor und Attraktor zusammenwirken und einander bedingen. Der Repulsor des Urknalls, also die Ausdehnung des Raumes, ist Voraussetzung für das Wirksamwerden des Fixpunktattraktors des thermodynamischen Gleichgewichts, da die Ausdehnung die Abkühlung bedingt. Noch deutlicher wird die Symmetrie und gegenseitige Kompensation von Repulsor und Attraktor, wenn wir in Betracht ziehen, dass unser Universum nach einer langen Ausdehnungsphase wieder schrumpfen wird, wobei also der Repulsionspunkt wieder zum Attraktionspunkt wird, was allerdings wissenschaftlich noch nicht gesichert ist und von der tatsächlichen Masse im Universum abhängt.
Doch mit dem Bild eines pulsierenden Systems, welches durch dauernde Wiederholung gekennzeichnet ist, sind wir bereits beim zweiten Attraktor angelangt, dem Grenz-Zyklus. Wenn auch die alten Inder vom Atem Brahmas sprechen, bei welchem Systole und Diastole 84 Milliarden Jahre dauern, und die somit modernen Schätzungen über die Dauer von Ausdehnung und Kontraktion des All nahekommen, ist die Betrachtung der zyklischen Dynamik in dieser Größenordnung nicht von besonderem Belang für uns Menschen. Die Dynamik des Kreisprozesses mit seinen Wiederholungen begegnet uns aber ständig in der Organisation der sich reproduzierenden Lebewesen, in den zirkulären Prozessen der Zelle und auf höherer Organisa-tionsebenen etwa in Atem, Kreislauf und Stoffwechsel. Zudem wird uns der Grenzzyklus weiter oben das Verständnis von Gedächtnis, Programmierung und ritualisiertem Verhalten ermöglichen.
Die Fixpunkt-Dynamik aber bedeutet Dissipation und Freisetzung von Energie. Diese wird beim Pendel nur unter dem Aspekt des Reibungsverlustes betrachtet, doch bei einem System wie der verbrennenden Sonne ist es offensichtlich, dass ihre dissipierte Energie von den Lebewesen auf der Erde verwendet wird. So ist der Fixpunktattraktor die energetische Voraussetzung aller Prozesse, er ist auch Urheber bzw. ständiger Erhalter und Erneuerer der Kreislaufdynamik des Grenzzyklus-Attraktors, welchen wir dann als Zweites betrachten werden.
Vorerst aber fragen wir nach der Entsprechung des Fixpunktattraktors auf menschlicher Ebene. Wenn der gerichtete Fluss der Fixpunkt-Dynamik Freisetzung jeglicher Form von Energie bedeutet, muss er auch in all unseren Antrieben und Strebungen wirksam sein. Wir erkennen ihn in den Trieben und Motiven des Fühlens und in den Intentionen des Geistes.
So ist jeder Wunsch, jedes Motiv gleichsam ein Loch
, ein Mangel, welcher nach Erfüllung und Sättigung strebt. Auf der tiefsten Ebene des Fühlens sehen wir im Verbrennen der Nahrung das Wirken des Fixpunktattraktors. Doch nicht nur die Energiegewinnung durch den Nahrungstrieb, ebenso gehören Sicherung, Aggression und Reproduktionstrieb zu den fundamentalen Beweggründen all unseres Handelns.
Aber genauso ist jedes geistige Ideal und jede Idee ein Fixpunktattraktor. Der Mensch erfährt die Energie, die ihn zur Verwirklichung geistiger Zielsetzungen drängt als Begeisterung und Inspiration. Daraus gewinnt er seine Richtung, und das Leben wird zum Weg.
Die triebhaften Motivationen und die geistigen Intentionen sind also die menschliche Domäne des Fixpunktattraktors. Beide können ins Verderben reißen, Triebverfallenheit genauso wie falscher Idealismus und ideologische Fixierung. Wegen dieser Gefahr muss aber weder unsere Triebhaftigkeit gegeißelt werden, noch muss jegliches geistige Streben als Fanatismus oder Träumerei kritisiert werden. Zum ersteren neigen die Religionen, zum anderen eine falsch verstandene Wissenschaftstheorie und Ideologiekritik, doch den Verbrechen im Namen Gottes stehen die durch technisch-wissenschaftliche Assistenz beim Völkermord um nichts nach.
Die sinnvolle Integration des Fixpunktattraktors gelingt dem Menschen nun einerseits durch die Bejahung der Triebhaftigkeit und der Motive des Fühlens als der eigentlichen Quelle seiner Kraft, andererseits durch Öffnung der Inspiration gegenüber dem Erregenden, wie der Geist in der chinesischen Philosophie bezeichnet wird.