Schule des Rades

Dago Vlasits

Vom Sinn der Zahl - Teil I

Das Wollen – der Wandler in den Welten

Betrachten wir einmal das menschliche Handeln, etwa die in unserer Lebenswelt an sich banale Entscheidungssituation des Aufstehens oder Sitzenbleibens auf einem Sessel. Die Situation vor Realisierung einer dieser beiden Alternativen lässt sich prinzipiell auch quantenmechanisch beschreiben, würde aber einen ungeheuren Rechenaufwand erfordern, der praktisch niemals durchführbar ist. Die besten Mathematiker, ausgestattet mit allen Computern dieser Welt, würden in der Fülle von Wahrscheinlichkeitswellen ertrinken, die berechnet werden müssen, um eine Situation wie einen von seinem Sessel aufstehenden Menschen in ihrer Gesamtheit darzustellen. Doch nicht nur dieses Unterfangen, auch ein geglücktes Ergebnis wäre lächerlich. Was sollten wir auch mit der Aussage eines Wissenschaftlers tun, der uns am Ende erklärt, dass die Wahrscheinlichkeitswelle mit der Möglichkeit des Aufstehens kollabiert ist, und durch Zufall sich die Alternative Sitzenbleiben durchgesetzt hat. Wir wissen es besser: Wir stehen auf oder bleiben sitzen, weil wir es wollen.

Obwohl das eigentlich Revolutionäre an der Quantenphysik die Entdeckung war, dass es keine vom beobachtenden Subjekt unabhängige Wirklichkeit gibt, sondern die Wahl der Beobachtungsweise und die Energie des Beobachtungsaktes die erscheinende Wirklichkeit bestimmen, sind die heutigen Physiker in der Bewertung der philosophischen Relevanz dieses Tatbestandes mehr als vorsichtig. Die meisten Wissenschaftler sind nicht bereit, die Spontaneität des menschlichen Wollens mit der Spontaneität der Quantenwelt gleichzusetzen. Ausnahmen bilden Physiker wie Ken Wheeler, von Weizsäcker oder Penrose, welche an der ursprünglichen Erkenntnis von Niels Bohr festhalten. Auch wir wollen des weiteren die Spontaneität und Unbestimmtheit der Quantenwelt, die Schnittstelle Beobachter/Wirklichkeit als den Ort des subjekthaften Wollens anerkennen.

Worin besteht aber nun die Gleichheit des gewöhnlichen Handelns mit der Möglichkeit schamanischen Reisens? In Everetts Viele-Welten-Theorie sind vor der Entscheidung die Alternativen aufstehen oder sitzenbleiben in gleicher Weise als Wahrscheinlichkeitswellen vorhanden, wie es auch parallel dazu unendlich viele andere Welten gibt. Entscheide ich mich für die Alternative aufstehen, wird dies meine Wirklichkeit, und die Welt, in welcher ich sitzen geblieben bin, wird eine von den unendlich vielen Welten, die mir nicht zugänglich sind. Aber vor der Entscheidung war sie für mich offen. Ist aber vielleicht im Augenblick der Entscheidung jede Welt für mich offen, die Alternativen Sitzenbleiben und Aufstehen genauso wie Davonfliegen oder in eine andere Welt zu reisen um einem Engel zu begegnen? Die beiden banalen Alternativen mögen eine größere Wahrscheinlichkeit besitzen als etwa die des Davonfliegens, doch vielleicht ist dies nur die Folge unserer Trägheit und mangelnder Entwicklung des Wollens. Aber halten wir uns nicht zu sehr mit exquisiten magischen Kunststücken auf, wiewohl es Berichte über den magischen Flug und Levitation zuhauf gibt. Fragen wir uns nocheinmal, wieweit wir von anderen Welten Kenntnis nehmen können. Aufstehen oder sitzenbleiben brauche ich mir nicht quantenmechanisch ausrechnen. Vor der Entscheidung habe ich zu beiden einen Zugang, ich kann sie imaginieren. Ist dann aber nicht jede Imagination ein Blick in eine andere Welt? Sind vielleicht die vielen möglichen Welten gar nicht so unzugänglich, sondern ist etwa jede Vorstellung, jede harmlose Phantasie genauso wie die bizarrste Vision ein kurzer Blick in eine andere Welt? Die meisten dieser Welten sind für uns bedeutungslos, irgendeine Tagträumerei ist genauso uninteressant, wie die Erinnerung an die Möglichkeit des Sitzenbleibens, nachdem ich aufgestanden bin. Die vielen Welten bilden eine Art Hintergrundrauschen, ein unendlicher Pool an Möglichkeiten, die der Entscheidung offenstehen. Durch dieses unendliche Chaos ziehen meine getroffenen Entscheidungen einen roten Faden, den ich als meine Wirklichkeit betrachte. Es gibt aber da einen ziemlich dicken Strang, bestehend aus vielen nahe beieinander liegenden und miteinander verdrillten Fäden, nämlich die allen Menschen gemeinsame raumzeitliche Wirklichkeit, die wir die meiste Zeit miteinander teilen. Es ist die wahrscheinlichste aller Welten. Ob wir sie nun negativ als die Gewohnheit und Trägheit der Vielen betrachten, oder mehr sachlich von einschränkenden Bedingungen durch vergangene Entscheidungen sprechen, durch welche manche mögliche Zukünfte extrem unwahrscheinlich sind, steht uns frei. Wir können diese irdische Welt auch als etwas Kostbares betrachten, als gemeinsamer Ort vieler menschlichen Seelen, die am Großen Werk der Erde mitarbeiten.

Entscheiden wir uns für diese Bewertung, dann sind die bestehenden einschränkenden Bedingungen nicht bloß als Trägheit und Gewohnheiten zu verstehen, sondern als Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich unser Kosmos und das Leben organisiert. Wiederum ist die Vierzahl die Grundmatrix, das stabile Fundament, auf welchem unsere Raumzeit aufgebaut ist. Da sind einerseits die 4 Grundkräfte, starke Kraft, schwache Kraft, Elektromagnetismus und Gravitation, welche Identität, Stabilität und Zusammenhalt der Materieteilchen bestimmen. Doch von überragender Bedeutung sind die universellen, alle Größenbereiche der Wirklichkeit durchdringenden 4 Attraktoren des Chaos. Es sind die 4 grundlegenden Arten der Dynamik, deren Sinn noch zu erläutern ist.

Dago Vlasits
Vom Sinn der Zahl - Teil I · 1995
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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