Schule des Rades
Dago Vlasits
Vom Sinn der Zahl - Teil I
Natur
Alle griechischen Denker vor Sokrates haben sich auf ihrer Suche nach Weisheit der äußeren Natur zugewandt. Die ionischen Naturphilosophen suchten die Arché, das alldurchdringende Urprinzip, von welchem sich alle Erscheinungen deduktiv ableiten lassen. Mit Sokrates kam es zur subjektiven Wende, zum Erschließen der Weisheit aus dem Inneren des Menschen. Er lehnte sogar Spaziergänge in der Natur ab, da er meinte, von dieser nichts lernen zu können. Mehr als 2.000 Jahre später finden wir uns aber in einer Lebenswelt, in der uns eben jene Natur weniger zu Spaziergängen einlädt als zur Bedrängnis wird. Adam sitzt mittlerweilen schon auf Bergen von Äpfeln, die er geerntet hat, und die Welt der produktiven Arbeit, von so manchem griechischen Philosophen geringgeschätzt, ist milieubestimmend. Wenn aber das Leben einerseits durch existentielle ökologische Krisen bedroht und andererseits die Welt der Information durch objektive wissenschaftliche Erkenntnisse geprägt ist, kann das Streben nach Weisheit nicht an diesen Fakten vorbei. Doch ob die Weisheit innen oder außen gesucht wird, ist letztlich keine wirkliche Alternative bzw. wird auf beiden Wegen in letzter Konsequenz die Ganzheit und Nicht-Zweiheit erreicht. So hat die Unio Mystica ihr wissenschaftliches Gegenstück im Bellschem Theorem, dem mathematischen Nachweis, dass die Welt nicht in Einzeldinge zerfällt, sondern als ein einziges Quantenobjekt jenseits von Raum und Zeit zu betrachten ist. Natürlich ist es etwas anderes, als Wesen in der Ganzheit zu wandeln, als bloß den wissenschaftlich-theoretischen Nachweis der Ganzheit zu betrachten und weiterhin in der Subjekt-Objekt-Spaltung zu verharren. Die Haltung, welche der wissenschaftlichen Methode zugrunde liegt, dürfen wir nicht unserem Leben als Ganzes gegenüber einnehmen. Tun wir es, so ist uns die Ganzheit nicht zugänglich, denn sie muss gewagt und gewollt werden, während wissenschaftliches Vorgehen des Vertrauens entbehrt, dass die Welt uns antwortet, dass in allem Geschehen immer nur Wesen mit Wesen in Dialog treten. Die Wissenschaft preßt der Natur Geständnisse ab, gewinnt fragmentarische Informationen über eine fragmentierte Welt, und ihre Einsichten sind Einsichten in Regularitäten der Natur, welche dadurch manipuliert werden kann.
In welcher Weise vermag dann die wissenschaftliche Erkenntnis zur Gewinnung von Weisheit beitragen, wenn sie doch prinzipiell beschränkt und nicht auf das Ganze des Lebens ausgerichtet ist, welches ja auf Allverbundenheit und der Unwägbarkeit subjekthafter Entscheidungen gründet? Wissenschaft wird dann zum Weg der Weisheit, wenn die Integration ihrer Einzelergebnisse zu einer ganzheitlichen Schau führt. Damit ist keine systematische Synthese gemeint, wie sie jede vereinheitlichende wissenschaftliche Theorie zum Ziel hat, da hier immer noch das Subjekt ausgeklammert ist. Die hier gemeinte Integration erhebt das Subjekt zur Mitte aller Erscheinungen, welche nun weder eine zu überwindende Illusion der Sinne darstellen, noch reißen die Erscheinungen eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem Subjekt und den Objekten in ihrer Eigenwirklichkeit auf. Die Erkenntnis der Phänomene führt bei der ganzheitlichen Integration zu einer sinnstiftenden Wesensschau, denn im Herzen aller Erscheinung west das eine, alldurchdringende Subjekt. Die Welt der Erscheinung aber ist sein Pleroma, die Fülle seines schöpferischen Ausdrucks.
Alle Konstanten des Mikrokosmos — Quanta, Photonen,Atome und Moleküle — alle des Makrokosmos — Galaxie, Sonne, Erde und Mond — so wie alle des Mesokosmos — Mineral, Pflanze, Tier und Mensch — lassen sich in einer ganzheitlichen Schau zusammenfügen, ihren Ursprung, ihr Ziel, ihre Dauer und ihren Sinn in der vereinigenden Mitte nehmend, dem göttlichen Schöpfungsgrund.