Schule des Rades
Dago Vlasits
Vom Sinn der Zahl - Teil I
4 – Dimensionale Raumzeit
In der Relativitätstheorie wird die Zeit wie eine vierte Raumkoordinate behandelt, wobei sie einerseits mit der Lichtgeschwindigkeit c und andererseits mit der imaginären Zahl i, der Wurzel aus −1 multipliziert wird. Wir dürfen aber den komplizierten mathematischen Apparat der Relativitätstheorie den Spezialisten überlassen und uns mit Hilfe der Astronomie eine Vorstellung verschaffen. Anhand eines weit entfernten Ereignisses wie etwa der Explosion einer Supernova können wir uns veranschaulichen, in welcher Weise die Zeit im Raum aufgehoben ist. Wenn wir hier auf der Erde ein solches Ereignis beobachten, bedeutet dies, dass es für den Ort der Nova bereits seit Millionen von Jahren zur Vergangenheit gehört, bei uns aber gegenwärtige Wirklichkeit ist. Wie wirklich, mag uns ein anderes Beispiel verdeutlichen. Würde unsere Sonne schlagartig von ihrem Ort verschwinden, bliebe sie für uns noch immer für ca. 8 Minuten real, und zwar nicht als illusionäres Echo, sondern als unsere lokale Wirklichkeit. Für 8 Minuten würde sie uns noch mit ihrem Licht und ihrer Wärme erfreuen und ihre Schwerkraftwirkung unseren Planeten auf seiner Bahn erhalten. Dies verhält sich so wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, die die Wirkungen eines Ortes den anderen Orten im Universum vermittelt. Das bedeutet gleichzeitig, je tiefer wir in den Raum blicken, desto weiter sehen wir in die Vergangenheit. Eine Nova, die 100 Millionen Lichtjahre entfernt ist, ist vor 100 Millionen Jahren explodiert, eine doppelt so weit entfernte liegt doppelt so weit in der Vergangenheit. Wir können also daraus den Schluss ziehen, dass es für jedes vergangene Ereignis einen Ort im Universum gibt, für welchen dieses Ereignis gegenwärtige Wirklichkeit ist — wenn auch aus großer Entfernung betrachtet. Für unser All als Ganzes, welches vor 15 Milliarden Jahren im Urknall seinen Anfang genommen hat, ergibt sich daraus eine erstaunliche Perspektive. Könnten wir 15 Milliarden Lichtjahre weit in den Raum blicken — was prinzipiell, aber aus verschiedenen Gründen nicht praktisch möglich ist — würden wir an jedem Punkt der sphärischen Grenze unseres Kosmos den Urknall sehen. Obwohl er zeitlich für uns seit 15 Milliarden Jahren zur Vergangenheit gehört, umgibt er räumlich noch immer wie eine Sphäre unser All, sodass wir das paradoxe Bild gewinnen, dass nämlich das gewaltige All in der unausgedehnten Singularität des Urknalls einbeschlossen ist.