Schule des Rades

Dago Vlasits

Vom Sinn der Zahl - Teil I

Eine einzige Kraft in allen Welten

Gibt es auch von wissenschaftlicher Seite etwas, was diese Vorstellungen untermauern könnte? Von Kräften, die mit Apparaten nicht meßbar sind, will die Wissenschaft nichts wissen, wenngleich sich zumindest die chinesische Forschung heutzutage auch mit der Messung von Chi beschäftigt. Es gibt aber eine Variante der Quantentheorie, die der Vorstellung von scheinbar magischer Beeinflussbarkeit der Wirklichkeit entgegenkommt. Es ist die Viele-Welten-Theorie des Hugh Everett. Sie beruht auf der Tatsache, dass in jedem Quantenprozess der Ausgang eines Ereignisses nicht determiniert ist. Was zur Wirklichkeit werden kann, liegt jeden Augenblick bloß als ein Bündel von Möglichkeiten vor, mathematisch in Form sogenannter Wahrscheinlichkeitswellen. Im Moment der Beobachtung verschwinden im sogenannten Wellenkollaps alle bis auf eine, die dann Teil unserer Wirklichkeit ist, beispielsweise als Teilchen mit ungefähr definiertem Ort und Impuls. Das ist die Standardinterpretation, als Kopenhagener Deutung bekannt. Everett jedoch meint, dass eigentlich kein Grund vorliegt, dass die nicht-manifesten Wellen kollabieren, dies wäre bloß eine Interpretation, auf welche sich die Physiker geeinigt haben. Er vertritt die Ansicht, dass alle Wellen weiterexistieren, wie sie auch vorher existiert haben, und dass jede ihre eigene Geschichte erschafft. Nach ihm entscheidet sich nicht erst beim Öffnen der Kiste, ob Schrödingers Katze tot oder lebendig ist, sondern es gibt eine Welt, in der sie tot ist, und eine andere, in der der radioaktive Zerfall und die damit verbundene Zertrümmerung des Giftfläschchens nicht stattgefunden haben. Aber dann — so dürfen wir weiter folgern — gibt es auch eine Welt, in der die Katze den Forschern vorher entlaufen ist, und ebenso eine Welt, in der sie nie auf den Gedanken gekommen sind, einen solchen Versuch zu starten (den man übrigens auch bei uns niemals durchgeführt hat). Und parallel dazu unendlich viele andere Welten, die ein wenig bis sehr stark von jeder realen Situation bei uns abweichen.

Everetts Theorie ist in sich konsistent und in völliger Übereinstimmung mit der üblichen Physik. Man kann nichts gegen sie einwenden, sie wurde aber lange Zeit als nutzlos betrachtet, da wir von den anderen möglichen Welten niemals Kenntnis nehmen können. Was auch immer wir wahrnehmen, es manifestiert sich in unserer Welt, meint auch Everett. Trotzdem wollen wir diese Frage vorerst einmal offen lassen.

Everett malt uns ein Universum von unendlich vielen Welten, viele gleichen der unseren fast aufs Haar, viele sind ihr ähnlich und viele völlig anders. Jede Welt steht jeden Augenblick vor einem Verzweigungspunkt und ihre Geschichte spaltet sich jeden Augenblick in eine Vielzahl möglicher Geschichten auf. Fasst man dieses Potential zusammen stellt es sich für unser Bewusstsein als nichts anderes als ein unendliches Chaos dar, voll von Möglichkeiten. Es ist ein Chaos, als was sonst sollte man auch eine unendliche Menge von Information bezeichnen? Unser besonderer Kosmos wäre aber demnach ein vierdimensionales Raumzeit-Muster, dass sich nur speziell für unser Bewusstsein von diesem Chaos abhebt. Die Frage ist nun, wie weit wir den Verlauf dieses Musters beeinflussen können oder gar in eine andere Welt mit einem völlig anderen Raumzeitmuster wechseln können. Dass wir das erste prinzipiell können, ist offensichtlich. Ob ich jetzt aufstehe oder sitzenbleibe, ändert den Verlauf der Geschichte unserer Welt, wenn auch zugegebenerweise in sehr beschränktem Ausmaß. Was das zweite betrifft, so ist auf jeden Fall die menschliche Geschichte voll von Berichten über Heilige, Yogis und Schamanen, die zwischen den Welten reisen. Doch so wie ich mich der Wandelbarkeit unserer Welt nur vergewissern kann, indem ich selber handelnd wandle, so kann ich mich der Möglichkeit des Reisens in andere Welten nur vergewissern, wenn ich es tue.

Everetts Viele-Welten-Theorie könnte uns zumindest einen vorläufigen theoretischen Hintergrund liefern, auf welchem gewöhnliches Handeln mit seinen alternativen Möglichkeiten wie auch Reisen zwischen den Welten als von gleicher Natur verstanden werden dürfen.

Dago Vlasits
Vom Sinn der Zahl - Teil I · 1995
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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