Schule des Rades
Dago Vlasits
Die Atomstruktur – ein Bild menschlicher Ganzheit
Komplementarität und Unschärfe
Über die real erscheinenden Teilchen, welche die Phänomenologie des Atoms begründen, hat die Quantentheorie in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts Erstaunliches herausgefunden.
Wer Teilchen sagt, meint ein dreidimensionales Körperchen, etwa eine Kugel, doch solche Teilchen gibt es auf der mikrokosmischen Ebene nicht, sie sind immer zugleich auch eine Welle. Nun schließen zwar logischerweise Teilchen- und Wellenvorstellung einer Sache einander aus, denn wenn etwas ein begrenztes Teilchen ist, kann es nicht zugleich eine im Raum ausgedehnte Welle sein, ersteres ist ein Objekt, letzteres ein Prozess. Doch nur eine solch paradoxe Beschreibung der Wirklichkeit, die als Teilchen-Welle-Komplementarität ihren historischen Platz eingenommen hat, gilt als zureichende Erklärung der grundlegenden Natur dieser Welt. Das Gegenteil einer Wahrheit ist eine noch tiefere Wahrheit
war die Auffassung des Entdeckers des Komplementaritätsprinzips Niels Bohr, welcher anlässlich seiner Erhebung in den Adelsstand das Tai Chi-Symbol als Familienwappen gewählt hatte.
Eng verknüpft mit dem Prinzip der Komplementarität ist das Prinzip der Unschärfe bzw. der Unbestimmtheit. Diese Erkenntnis verdanken wir Heisenberg, der herausgefunden hat, dass es auf der Mikroebene keine Objekte oder Teilchen gibt, die einen eindeutig definierten Ort und einen eindeutig definierten Impuls besitzen. (Das Produkt aus Ortsunschärfe und Impulsunschärfe kann die Größe des Planckschen Wirkungsquants nicht unterschreiten.) Das Unbestimmtheitsprinzip besagt letztlich auch, dass sich das Teilchen überhaupt nicht vom Raum isolieren lässt, die Unschärfe zeugt von der dauernden Verwurzelung des Teilchens in der Potentialität des Raumes. Ein Elektron zwischen dem einen Ende einer Versuchsanordnung, wo es abgeschossen wird, und dem anderen Ende, wo es registriert wird, ist kein festes Objekt, welches eine Bewegung durch den dreidimensionalen Raum vollzieht. Was zwischen den beiden Enden der Versuchsanordnung existiert ist kein Teilchen auf einem Weg, sondern ein Bündel von Wahrscheinlichkeiten für einen Ort und eine Energie, welche sich als Teilchen manifestieren kann. Nur diese mathematisch errechenbaren Wahrscheinlichkeiten können wir kennen. Diese prinzipielle Unkenntnis liegt nicht an unseren ungenauen Meßmethoden, sondern daran, dass man auf dieser Ebene einfach nicht mehr wissen kann, es nicht mehr zu wissen gibt, da nichts eindeutig bestimmt ist.
Die Quantentheorie brachte einen generellen Abschied von einer Denkweise, die als klassische Physik die vorhergehenden Jahrhunderte beherrschte. Fortan gab es die materielle Wirklichkeit nicht mehr, in welcher die Teilchen harte Körper sind, die im dreidimensionalen Raum nach kausalen Gesetzen herumgestoßen werden. Man hat zwar die neue Beschreibung der materiellen Prozesse ebenfalls als Mechanik bezeichnet, denn da sich aus dem Potential möglicher Quantenprozesse immer die mit den größten Wahrscheinlichkeiten realisieren, und zwar mit einer an absolute Gesetzmäßigkeit grenzenden Regularität, kann man eben von Quantenmechanik sprechen und erfolgreiche Voraussagen treffen. Doch was bei dieser Art von Mechanik zum Tragen kommt, ist das Gesetz der großen Zahl. Ein System aus vielen Teilchen kann man relativ gut vorausberechnen, das Verhalten des einzelnen Quantenteilchens ist jedoch unvoraussehbar, ist nicht mechanisch sondern spontan.