Schule des Rades

Dago Vlasits

Die Atomstruktur – ein Bild menschlicher Ganzheit

Unteilbarkeit

Teilchen müssen wir uns als Muster beharrender Energie­konfigurationen im Raum vorstellen, deren Struktur durch Zahlen bestimmt ist. Trennt man Teilchen und Raum in der Vorstellung — was eben nur in der Vorstellung möglich ist — ist der Raum ein krafterfülltes Kontinuum, das Atom aber kein hartes Körnchen, sondern ein Zahlenkomplex, welcher sich im Raum mit diskreten Massen und Energien bekleidet.

Haben wir uns damit nicht schon sehr von den harten Körperchen der ersten Atomisten entfernt? Heisenberg war jedenfalls der Auffassung, die moderne Teilchenphysik ruhe eher auf pythagoräischen denn auf demokritischen Grundlagen. Doch eine scharfe Abgrenzung der beiden Konzepte ist vielleicht gar nicht notwendig. Wir wollen hier nicht die Atomisten zu pythagoräischen Zahlenmystikern zurechtbiegen, doch man weiß heute, dass Demokrit seine mathematische Schulung seinen Beziehungen zum pythagoräischen Bund zu verdanken hat, und Aristoteles wirft den Atomisten vor, sie machten sämtliche Dinge zu Zahlen und aus Zahlen… wenn sie dies auch nicht deutlich sagen. Denn die den Sinnen unzugänglichen Atome des Demokrit besaßen nicht die für jeden Körper typische Eigenschaft der Schwere, erst Epikur hat sie später mit dieser Qualität versehen. Und zumal die Atomisten die Atome hinsichtlich ihrer geometrischen Natur ausdrücklich auch als Ideen bezeichnen, ist eine gewisse Affinität zum pythagoräischen Denken gegeben. Auf jeden Fall lässt sich auf Grund der tatsächlichen Beschaffenheit der Atome wie wir sie heute kennen, unschwer eine Brücke zwischen der demokritischen und pythagoräischen Auffassung bilden, ja die moderne Teilchentheorie ist im wesentlichen eine Vereinigung beider.

Der Rückgriff Leukipps auf das Konzept der unteilbaren Körperchen darf wohl als Ausweg vor den Kalamitäten zu verstehen sein, welche sich ergeben, wenn man den dreidimensionalen Raum analysiert. Leukipp war ein Schüler des Zenon von Elea, welcher bekanntlich logisch demonstrieren konnte, dass im dreidimensionalen Raum die Wirklichkeit nicht verstehbar ist. Ein solcher Raum muss zwangsläufig als unendlich teilbar gedacht werden, wodurch aber alle Form und Bewegung zunichte wird, bzw. logisch nicht denkbar sind, wie Zenon von Eleas Aporien erläutern. Konsequenterweise haben daher Parmenides und sein Schüler Zenon von Elea die Wirklichkeit aller erscheinenden Formen der Diversifikation und des bewegten Werdens geleugnet, und nur das ungeteilte, unwandelbare Sein als einzige Realität anerkannt.

Um die Realität der bewegten Form zu retten, und nicht nur dem formlosen Sein als einziger Realität zu huldigen wie sein Lehrer Zenon von Elea, setzte Leukipp mit dem Postulat der unteilbaren Atome der unendlichen Teilbarkeit eine Grenze. Doch auch diese Lösung ist logisch nicht haltbar. Tatsächlich muss jede als Körper gedachte Einheit, und mag sie noch so klein sein, eine innere Struktur besitzen und somit teilbar sein. Dass die Atomisten ihre Atome mit unendlicher Härte versiegelten, oder durch unendliche Kleinheit der Teilung unzugänglich machten, kann aus heutiger Sicht nur als ein mehr oder weniger eleganter Kunstgriff betrachtet werden.

Und doch hat sich die Ur-Intuition von der unteilbaren kleinsten Einheit als richtig erwiesen. Die Quantenphysik ist tatsächlich an die Grenze der Teilbarkeit gestoßen, doch handelt es sich hierbei nicht um kleinste Teilchen, sondern um das Plancksche Wirkungsquant. Alles was in Erscheinung tritt, sind Vielfache dieser Wirkeinheit, und diese Einheit ist so unteilbar, wie eine Entscheidung oder das Subjekt eines Wesens unteilbar ist.

Dago Vlasits
Die Atomstruktur – ein Bild menschlicher Ganzheit · 1998
Studienkreis KRITERION
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