Schule des Rades

Dago Vlasits

Zur Orientierung in der globalen Kultur

Punkte, Strings, Membranen…

Die Physik bis zum Beginn der Forschungen auf dem Gebiet der TOE beschrieb unsere phänomenale Welt der vierdimensionalen Raumzeit. Doch warum die ersten Dinge in dieser Raumzeit, die Teilchen und Kräfte so sind wie sie sind, kann die vierdimensionale Physik nicht erklären. Dies scheint aber zu gehen, wenn man anstatt einer vier-, eine zehndimensionale Physik betreibt, um den Preis, dass man eben 6 neue Dimensionen annimmt, die wir in unserer Welt nicht wahrnehmen können. Die Superstringtheorie beschreibt also einen 10-dimensionalen Ursprung unserer Welt, wobei unsere Welt nur vier dieser Dimensionen sind. In der stringtheoretischen Variante des Urknallmodells entstammt unser Universum der Scheidung der 10 Dimensionen, die ursprünglich auf so winzige Größe aufgerollt sind, dass sie nur auf der Planckskala existieren. Vier von ihnen entfalten sich, werden groß, und dieser Scheidungsprozess setzt eine Energie frei, die als Feuer des Urknalls erscheint, aus dem unsere vierfältige Materie kristallisiert.

Die vierdimensionale Physik scheiterte nun daran, dass sie von dieser Urknall-Materie nicht sagen kann, warum sie so und nicht anders beschaffen ist, und woraus sie eigentlich besteht. Sie scheitert vor allem deshalb, weil die gesamte Teilchenphysik auf der Vorstellung von punktartigen Teilchen beruht. Jedes Teilchen in unserer Welt wird als Punkt verstanden, der der Mittelpunkt mehrerer Kraftfelder ist (je nach dem, wie viele Ladungen dieses Teilchen trägt). Das Problem dabei ist, dass die Stärke eines Feldes aber dann im Mittelpunkt unendlich sein muss, da zum Mittelpunkt hin die Stärke eines Feldes mit dem Quadrat des Abstandes zunimmt. Diese grenzenlose Zunahme von Feldstärken bei kleinen Abständen macht alle physikalische Berechnung zunichte. Vor allem aber stimmt es nicht mit der Wirklichkeit überein, denn schließlich wäre das die Auflösung der Wirklichkeit. Durch ein als Renormierung bezeichnetes mathematisches Verfahren lässt sich das Punktteilchen-Konzept dennoch verwenden und die Unendlichkeiten umschiffen, sodass auf Grundlage des Punktkonzepts das äußerst erfolgreiche Standardmodell der Teilchen entwickelt wurde, dass zwischen Materiequanten und Kraftquanten unterscheidet — den Fermionen (6 Quarks, 6 Leptonen) und den Bosonen (8 Gluonen der starken Kraft, 3 Vektorbosonen der schwachen Kraft, 1 Photon des Elektromagnetismus). Aber beim Versuch, die kontinuierliche Gravitation mit den drei quantisierten Kräften des Standardmodells zu vereinen — also auch die Gravitation als einen Bosonenaustausch (Gravitonen) zu beschreiben — stößt das Punktkonzept endgültig an seine Grenzen, die Unendlichkeiten die hier auftreten, lassen sich nicht renormieren.

Die Vereinigung von Gravitationstheorie und Quantentheorie muss aber gar nicht erst durchgeführt werden, sondern ist von Anfang an gegeben, wenn man nicht von nulldimensionalen Punktteilchen, sondern von eindimensionalen Strings ausgeht, die in zehn Dimensionen schwingen. Das Graviton ist dann genauso ein Schwingungsmodus eines Strings, wie das Elektron oder das Photon. Und da man nicht von unendlich kleinen Punkten, sondern von endlich langen Fäden ausgeht, treten die gefürchteten Unendlichkeiten in den Rechnungen gar nicht auf. Diese Strings selbst aber sind die Einheit hinter der Teilchenvielfalt, ein einheitliches Prinzip, welches das Standardmodell nicht besitzt.

Aus inneren Gründen muss aber auch die Stringtheorie weiterfragen, etwa woraus denn nun ein String besteht, und woraus die Zeit und der Raum. Die eigentliche Fragestellung nach dem Jenseits der Strings entsprang im historischen Verlauf der Forschung aber der Tatsache, dass sich bis zur ersten Hälfte der Neunzigerjahre insgesamt 5 gültige Stringtheorien und eine supersymmetrische Quantengravitationstheorie herauskristallisiert hatten. Jede von diesen sechs Theorien eignete sich dazu, bestimmte Eigenheiten der phänomenalen Wirklichkeit zu erklären, teilweise leisteten sie aber auch alle das Gleiche. Wenn man aber die eine und einzige, letzte Wahrheit sucht, es sich aber abzuzeichnen beginnt, dass es mehrere gleich plausibel erscheinende Versionen davon gibt, ist das einigermaßen unerfreulich. Der Wahrheitswert dieser Theorien wäre wie jener einer Tätertheorie, bei dem die Polizei lückenlose Indizienketten besitzt, die eindeutig auf mehrere Täter weisen, die jeder für sich die Tat begangen haben sollen. Die Ratlosigkeit der Stringtheoretiker war dementsprechend groß, bis Ed Witten 1995 ein heute als 2. Stringrevolution bezeichneter Entwurf gelang, in welchem die sechs Theorien gleichsam wie die sechs Phasen einer umfassenden Theorie, der sogenannten M-Theorie verstanden werden können. Es war so, als ob man H20 entdeckt hätte, und nun verstehen könne, was Eis, Wasser und Dampf sind.

Der Schritt von der Superstringtheorie zur M-Theorie war ein Schritt noch unter die String-Ebene. Die Grundelemente sind hier die sogenannten Membranen oder p-branes, die 0 bis 9-dimensional sein können, wobei das p für die Dimensionalität steht. Auf Grundlage völlig neuartiger topologischer Transformationen wird hier begreiflich, wie sich etwa aus einer two-brane ein String zusammenrollen lässt, welcher dann als eine one-brane gilt. Transformationen dieser Art sind notwendig, um zu verstehen, wie die verschiedenen Teilchen auseinander hervorgehen. Was aber die Mebranen eigentlich sind, was für eine Rolle vor allem die höheren und die Null-Membranen spielen, ist bei weitem noch nicht erforscht und verstanden. Ein Verständnis der Null-Membranen könnte der Schlüssel zum Verständnis des Ursprungs von Raum und Zeit sein, vermuten einige Theoretiker.

Man sagt von der Stringtheorie, sie wäre eine Theorie des 21. Jahrhunderts, die sich ins 20. Jahrhundert verirrt hat. Sie ist noch lange nicht vollendet, nicht einmal ob sie tatsächlich die Lösung ist, ist unumstritten, wenngleich immer mehr der vormaligen Skeptiker ins Lager der Stringtheoretiker gewechselt sind. Man ist sich aber einig, dass sie in hundert Jahren wahrscheinlich eine Form angenommen haben wird, in welcher sie nicht einmal die heute führenden Stringtheoretiker wiedererkennen würden.

Auch das Rad geht von einem zehnfältigen Anfangsgrund aus, doch die Zehnheit sind hier die Ziffern von Null bis Neun, welche die Chiffren jeglicher Sinngestalt sind, noch vor irgendwelcher materialer Dimensionalität. Die Null steht im Rad für das Gewahrsein der formlosen Leere, die neun anderen Ziffern sind die Fältigkeiten, die die Fülle in der Leere, die der mögliche Bewusstseinsinhalt haben kann. Die 10 Zahlen werden im Rad also nicht als Dimensionen verstanden, an Dimensionen werden hier acht unterschieden, welche die Grundlage der Radepistemologie bilden. Diese kommt in einer achtfältigen Darstellung von vier Zeitdimensionen (Augenblick, Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit) und vier Raumdimensionen (Linie, Fläche, Volumen, Kontinuum) zum Ausdruck. Der ganze Ansatz fußt auf der Überzeugung, dass Arithmetik und Geometrie keine Erfindungen des Menschen sind, sondern dass sie uns von jeher gegeben sind und alle möglichen natürlichen Systemiken zeitlicher Prozesse und räumlicher Ordnungen in sich bergen.

Insofern hier die (epistemologische oder ontologische) Realität von Raum und Zeit schon vorausgesetzt ist, lässt sich natürlich fragen, ob nun dem Raum und der Zeit noch etwas weiteres vorausgesetzt ist, so wie etwa die Stringtheoretiker fragen, ob denn eine Weltkonzeption ohne Raum und Zeit möglich ist, bzw. wie den die (vierdimensionale als auch die zehndimensionale) Raumzeit aus etwas entstanden ist, was ursprünglich noch nicht Raum und Zeit ist. Weniger als erste Voraussetzung, die noch vor Raum und Zeit ist, sondern als das allgegenwärtige Sein des Raumes und der Zeit gilt im Rad die Zahl. Die Zahl ist das Sein und der Sinn aller raumzeitlichen Gestalten und Bedeutungen.

Die Zahl ist also der Urstoff aus dem die räumlichen und zeitlichen Strukturen des Rades gebaut sind. Als leere mathematische Strukturen — nämlich leer von Bedeutungen — zeigen sie dennoch eine Fülle von Beziehungen. Diese reinen Beziehungen sind der reine Sinn, der vielfältiger Bedeutungen fähig ist. Alle aus dem Rad abgeleiteten und sprachlich artikulierten Aussagen sind bereits mögliche Deutungen der reinen Beziehungsstruktur. Deutungen der zeitartigen Strukturen als Raster bestimmter astronomischer Vorgänge zeigen etwa das Schema der individuellen Entwicklung wie auch ein Schema der kollektiven Menschheitsgeschichte, Deutungen der raumartigen Strukturen als Quantisierungen der Energie zeigen etwa den Aufbau der atomaren Materie und des menschlichen Leibes.

Der achtfältige Dimensionskreis ist, wie oben erwähnt, der Anfangsgrund der Radepistemologie, welche auf acht elementaren Rechenoperationen (Zählen, Addition, Division, Proportion, Kombinatorik, Funktion, Multiplikation, Subtraktion) gründet, im Rahmen der 5 Zahlenarten (natürlich, ganz, rational, reell/irrational, komplex/imaginär). Diese acht Operationen generieren gleichsam die acht Konstituenten unseres Bewusstseins. Ursprung unseres Bewusstseins ist das reine Gewahrsein, die Leere, die der Aufnahme jeglichen Inhalts fähig ist. Es entspricht der nullten Dimension des Punktes, der Zeit des ausdehnungslosen Augenblicks. Dies ist die Welt der natürlichen Zahlen und des Zählens, ein Zählen, das aber nicht Quantitäten, sondern das Sein und den Sinn einer Sache als ihre Einfältigkeit, Zweifältigkeit… etc. erfasst. Dieses Vermögen des Identifizierens ist unser eigentliches Subjekt.

Der Leere des Gewahrseins bilden sich dann die Inhalten der weiteren sieben Bewusstseinskomponenten ein, die Sinnesdaten des Empfindens, die Verknüpfungen des Denkens, die traumhaften Motive des Fühlens, die spontanen Entscheidungen des Wollens, die Fülle der Körper, die personalen Beziehungen der Seele und die Imaginationen des Geistes. In entsprechender Weise sind auch diese sieben aus den anderen Rechenoperationen abzuleiten, was hier nicht weiter ausgeführt werden soll.

Eine entscheidende Erkenntnis, die das Rad ermöglicht, ist die, dass die Grammatik aller Sprachen auf die Fältigkeiten der neun Ziffern rückführbar ist — die Konjunktion, bzw. das Bindewort (und) ist einfältig, das Satzsubjekt, bzw. das Hauptwort (Name/Begriff) ist zweifältig, das Prädikat (transitiv/intransitiv/modal) bzw. das Verb (haben/sein/werden) ist dreifältig etc.… Somit erhellt auch eine radgeleitete Sprachanalyse, dass die Welt der sprachlichen Begriffe und deren Verknüpfungen eigentlich der Welt der Zahlen und deren möglichen Verknüpfungen entspringt, also die Zahl dem Wort vorausgeht. Insofern dies für das poetische wie für das rationale Wort gilt, wird einsichtig, dass die Zahl nicht nur die Grundlage des logischen Denkens ist, sondern auch die Grundlage der die Logik übersteigenden Emblematik und des analogem Signaturen- und Ähnlichkeitsdenkens, dessen sich alle Esoterik und Hermetik bedienen. Und was sich am Himmel und auf der Erde, im Großen wie im Kleinen, im Ganzen wie im Teil ähnelt und gleicht, ist das Muster der Zahl. Sie ist der alldurchdringende Sinn.

Bekanntlich hat aber das analoge Denken keinen Platz in den Naturwissenschaften, man misstraut ihm, da es auch unsinnige Beziehungen herstellen kann, ja letztlich dem abergläubischen Beziehungswahn Tür und Tor öffnet — doch dies geschieht nur, wenn die Logik und Empirie zu wenig berücksichtigt werden, und vor allem, wenn Grundlage und Methodik des analogen Denkens nicht bekannt sind. Im Vergleich mit der Logik scheinbar der Erkenntnisschärfe ermangelnd, eröffnen sich dem analogen Denken jedoch Zusammenhänge, für welche dass bloß logischen und positivistischen Herangehen an die Welt überhaupt keinen Begriff hat. So etwa die astrologischen Zusammenhänge, welche dem unvoreingenommenen Betrachter unübersehbare Fakten sind, auch wenn die reproduktive Kraft der astrologischen Gesetze nicht so mechanisch unausweichlich ist, wie die der sogenannten Naturgesetze. Daher können astrologische Prognosen niemals den Rang und Wert besitzen, wie die naturwissenschaftlichen. Doch schließlich geht es bei der Astrologie nicht um Voraussagen — wenngleich sie oft dahingehend missverstanden wird — sondern um Erkenntnis der Resonanzen, in denen sich der Sinn einer Zeit erschließt.

Mittlerweilen gibt es aber durchaus auch von Seiten der Naturwissenschaften neue Konzepte, namentlich die Systemtheorie und das Prinzip der Selbstähnlichkeit in der Chaostheorie, die eigentlich die Grundannahmen des analogen Denkens bestätigen. Die Systemtheorie geht davon aus, dass eine gleiche Wirkweise und Systemdynamik auf verschiedensten Ebenen der Wirklichkeit existieren kann, sich also auf der Grundlage verschiedenster materieller Substrate verwirklicht. Die Selbstähnlichkeit wiederum besagt, dass innerhalb eines Systems sich die räumlichen und zeitlichen Muster in den verschiedenen Größenskalen dieses Systems wiederholen. Interessanterweise lassen sich im Rahmen der Chaostheorie auch nicht mehr exakte Prognosen für den zeitlichen Verlauf eines Systems erstellen, sondern bloß Simulationen möglicher Systemverläufe durchspielen. Dies ist ein Bruch mit dem Selbstverständnis der herkömmlichen Naturwissenschaften, stimmt aber mit dem wirklichen Geschehen in komplexen Systemen, mit deren Unvoraussehbarkeit überein.

Doch Arbeit mit dem Rad bedeutet natürlich nicht, Wissenschaft zu treiben, es geht nicht um die Schaffung neuen reproduzierbaren Wissens oder reproduzierbarer Experimente, nicht um Voraussagen, was geschieht, wenn man diesen und jenen Stoff mischt, diese und jene Kraft zusammenwirken lässt. Wohl handelt es sich beim Rad um ein objektives, lehr- und lernbares Wissen, doch es geht um dessen Anwendung auf das einzigartige, unwiederholbare Leben des Menschen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Rad die Systemik und Methodik des analogen Denkens ist, was seinen Anspruch begründet, ein ganzheitliches Erkenntniswerkzeug zu sein. Denn während der logisch-begrifflich Denkende durch die Wahl der Anfangsbegriffe auf eine Ebene festgelegt ist und etwa vom Elektron ausgehend als Physiker, von der Zelle ausgehend als Biologe spricht, durchdringt der analog Denkende alle Ebenen und erkennt überall die Ähnlichkeiten. Ähnlichkeit zwischen zwei unterschiedlichen Dingen zu erkennen bedeutet letztlich die identische Fältigkeit, den gleichen Sinn zu erkennen, und der in Analogien Denkende wird zum geflügelten Hermes, der in allen Welten zu hause ist.

Dago Vlasits
Zur Orientierung in der globalen Kultur · 2000
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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