Schule des Rades

Wilhelmine Keyserling

Der heilige Raum

Ritus im Steinkreis

Als ich neulich, die Texte, die Botschaften zu den acht Raumfesten der Reihe nach durchlas, habe ich gesehen, wie viele Informationen in diesen Weisungen geborgen sind, die ich wohl unbewusst mitgekriegt, aber nicht wirklich verstanden, erfahren und integriert habe. Die Weisungen stellen einen Entfaltungsweg, eine Entfaltungsspirale dar, die immer neue Erkenntnisse vermittelt, weitere Methoden der Befreiung von negativen Erinnerungen, Sorgen, Gedanken nahelegt, und zum Beispiel auf die Zahlen als Schöpfungsprinzipien durch Wahl und Identifikation mit dem Gewählten dieses vom theoretischen Verständnis zur Erfahrung werden lässt. Im Ritus der Feste sollten die Komponenten unserer Welt — oft waren es auch die Farben — zur Kraftquelle des Wesens werden.

Dem erstens Bestimmen, und zweitens Ablegen von Unbrauchbarem, von veralteten Vorstellungen und Ängsten, folgt meistens das empfangende Gestalten kreativer Vorstellungen des ewig zukünftigen Geistes, die über die bildhafte Traumebene Verwirklichung bringen können. So knüpfen wir am Zukünftigen an, um es zu vergegenwärtigen.

Die Fähigkeit der Wahl, der Entscheidung, bei der richtig und falsch nicht ausschlaggebend sind, ermöglicht einen Anfang, und in den Anfängen ist ES — power — immer dabei.

Das wussten die Alten. Gurdjieff, der sich als Herold der neuen Zeit verstand, dessen Eingehen auf die Schüler den Sufilehrern ähnelte, gelang es immer wieder Situationen herzustellen, die den Adepten vor eine Wahl stellten. Viele der Anregungen, die wir in den Botschaften finden, wurden früher zwischen Meister und Schüler über die Autorität des Guru in längeren Zeiträumen erarbeitet. Heute ist der Mensch im All unser Lehrer und der Zeitpunkt der Riten Ansatz zur Wandlung und Entfaltung des Wesens; es bleibt jedem überlassen, was er aus sich und mit Hilfe der Freunde aus diesen Anstößen macht. Die Achtung des Mitmenschen, gleich welchen Alters als Freund, ist ein konstituierender Aspekt unserer Epoche, in der sich das Göttliche als Freund im All offenbart.

Die Chakras in Beziehung zu den Raumrichtungen werden im Ritus zu Empfangsstationen der Bildekräfte des All. In Beziehung zu den Zeitfaktoren der Planeten (den Umläufen) werden diese in Korrespondenz zu den Chakras zur Himmelsleiter, die unsere Erde mit der Neuen Erde verbindet — die Neue Erde löst in unserem Bewusstsein bisherige Paradiesvorstellungen ab.

Auch die Beziehung zur Mineralwelt, zur bergenden und festigenden Kraft der Steine, denen wir oftmals unsere Vorhaben, Wesenswünsche und Ziele anvertrauen sollten, wird in den Riten zur gelebten magischen Wirklichkeit. Bis zum nächsten Fest heißt es dann in den Weisungen, denn auch solche Erfahrung möge zum dynamisch, ja spielerischen Auslöser weiterer Entfaltung werden und sich nicht in einem rationalen Ichgehäuse festsetzen.

Auch das Erwecken des Tier- und Pflanzenhaften in uns — und damit die Beziehung zur Kraft der Tier- und Pflanzenwelt, spielt eine wesentliche Rolle.

Da für die Freunde und Mitarbeiter jedes der Feste ein einmaliges Ereignis bedeutete, haben wir es — und ich schließe mich nicht aus — mit dem Aufbewahren der Botschaften nicht ernst genommen. Ich bin dabei, sie nach Möglichkeit zu sammeln, damit wir sie auch in ihrer Folge sehen können, und eventuell nachvollziehen, was uns zur Zeit entgangen ist.

Zwischen 1982 und 1985 verfügen wir nur über wenige und beginnen daher mit 1984. Vielleicht werden unsere Leser ergänzend mitwirken und wir können dann die früheren und nachfolgenden später veröffentlichen.

Nachdem diese Blätter auch Lesern, die unsere Arbeit noch nicht kennen in die Hand fallen werden, will ich versuchen den Zusammenhang mit dieser kurz zu skizzieren und erläuternde Anmerkungen anbringen.

Der Ritus der Feste im Erdheiligtum als Entfaltung und Festigung unseres Wesens im wassermännischen Bewusstsein hat 1982 begonnen. Es war dies auch der erste kontinuierliche gemeinschaftsbildende Einsatz.

Von der Vision des Rades, die Arnold Keyserling 1943 zugekommen ist, über das Studium der Kriterien, die unserer Weltordnung zugrundeliegen, den Zahlen als Schöpfungsprinzipien, den Gesetzen von Raum und Zeit, der Ton- und Farbwelt, den Begebenheiten in Makrokosmos und Mikrokosmos — die allmählich im Rad ihren Ausdruck gefunden haben, sind viele Jahre verstrichen. Unser Leben war von Freunden begleitet, die an diesen Studien teilgenommen haben und vom Einblick in die Zusammenhänge und dem Überblick einer stimmigen Gesamtheit inspiriert waren.

Für mich war das Rad — 1956 im Rosenkreuz erstmals veröffentlicht — ein wunderbares, ein heiliges Bild des Ganzen, auch wenn ich viele Einzelheiten der Wissensgebiete nicht verstand und erst lernen musste, für jedes Fünklein der Erkenntnis dankbar zu sein. Aber wir haben in uns gottlob so ein Organ, das uns spüren lässt, wenn etwas richtig oder falsch ist. Auch viele unserer Künstlerfreunde erlebten diese Freude am Ganzen, und hörten gerne zu, wenn Arnold über seine Forschung erzählte. Die Etappen seiner Arbeit am Rad hat Arnold vor kurzem im Artikel Visionen der Wassermannzeit in unserer Zeitschrift PLEROMA Nº5 veröffentlicht; sie werden freilich auch in den dem Rosenkreuz folgenden Büchern sichtbar.

Die systemische Ordnung des Rades ist in sich schlüssig, das heißt, sie benötigt keine historische Ableitung. Arnold ist als Philosoph einerseits Systemiker; als solcher war es sein Anliegen, den Raster der Zusammenhänge, der dem Weltgeschehen zugrundeliegt, zu erstellen, es ist sozusagen die Weltgrammatik. Andererseits wird er als Religionsphilosoph bezeichnet, sieht seine Aufgabe auch darin, die geistige Brücke zwischen den verflossenen Zeitaltern und der neuen Zeit herzustellen, die Weisheit der vergangenen Kulturen aus den jahrtausendealten menschlichen Torheiten herauszuschälen, Aussagen und Methoden die Licht und Kraft vermitteln, als Bestandteile am wassermännischen Bewusstsein einzubringen.

Wir verdanken den Ahnen, das heißt den Lehrern der Menschheit unsere Schritte in die Zukunft. So entstand das Buch Geschichte der Denkstile, das 1968 Arnolds Einstieg als Vortragender an der Hochschule für Angewandte Kunst erbrachte.

Unser Leben fand seinen Ausgleich zwischen Bemühung, die rationale Kenntnis fordert, die dann zum Können und damit zum Lebensunterhalt führt, und Fügungen seltsamer Art, Geschenke aus dem Unerschlossenen, die den Mut zum Weitermachen verleihen.

Fügungen brachten uns den indischen Yoga, den ich auf meine Art seit 1966 unterrichte, machten uns mit indianischen Schamanen bekannt, ja sie ereignen sich im kleinen Unvorhergesehenen; man müsste das Wort Vorsehung Unvorhersehung nennen. Kommt einem nicht oft gerade der Mensch, das Buch, die Information zu, die einen nächsten Schritt ermöglichen?

Auch Bemühung und Intuition müssen sich die Waage halte. Ich hatte schon mein Buch Anlage als Weg veröffentlicht und astrologische Seminare gehalten, was heute zu meinem Wirkfeld gehört, als Arnold die Intuition hatte, einem inneren Ruf folgend, sich mit dem Schreibstift und Papier hinzusetzen und aufzuschreiben, was ihm diktiert wurde. Am Tage zuvor hatte er die Erscheinung eines großen leuchtenden Gesichts. Nun schrieb er zu verschiedenen Tages- und Nachtstunden, von dieser Quelle gerufen, die fünfzehn Botschaften nieder, die wir kürzlich im Buch Stimme des All veröffentlicht haben.

Hier muss ich auf eine Betrachtung zurückgreifen: dass nämlich dem Weltall die absolute Leere, das Nichts zugrundeliegt, dass es aber nicht im landläufigen Sinn wüst und leer ist, sondern ein von potentiellen subjekthaften Wesenheiten belebtes geistiges Feld.

Körperlich ist der Mensch gemeinsam mit allen anderen, auch mit Mineral, Pflanze und Tier auf die Erde bezogen. Seelisch steht er waagrecht im Austausch mit diesen, und geistig kann er als Subjekt, das heißt als Freier nicht in Einzelheiten verwickelter, Eingebungen aus dem Unbegrenzten empfangen. Die Richtung des Unbegrenzten peilen wir nach oben an, auch wenn es überall allgegenwärtig ist.

Gewiss hat jeder in sich einen unparteiischen Zeugen, einen Weisen, der dem betroffenen Ich Aufschluss geben kann. Wichtig ist aber, dass diese Instanz in unserer Wesenstiefe nicht abgeschlossen ist, sondern in Kommunion treten kann mit dem All, mit Instanzen des All auf die sich sein Leben bezieht, die seine Boten werden können. Jeder könnte in Notwendigkeit mit seinem Engel in Beziehung treten, wie es im Buch Antwort der Engel von Gitta Mallasz ergreifend wiedergegeben wird. Arnold, dessen Aufgabe die Menschheit der Wassermannzeit betrifft, hat seinen Engel im Menschen im All gefunden. Auf wesentliche Fragen, die die Entfaltung der Menschen, die ihm anvertraut sind, zu Trägern der neuen Zeit machen, kann er Botschaft erhalten.

So setzen wir uns zu dritt oder zu viert ungefähr eine Woche vor jedem der acht Feste in meditativer Einstellung zusammen, um uns auf die Botschaft einzustimmen.

Das Erdheiligtum ist ein ovaler Raum am Beginn des Waldes, von hohen Buchen umrahmt. Es ist eine Vertiefung in Beziehung zum Niveau des Waldbodens, was ihm einen bergenden Charakter verleiht.

Bei den Festen versammeln sich die Ankommenden unten beim Feuer, wo die ersten Etappen des Ritus, den Weisungen der Botschaften entsprechend durchgeführt werden. Der Steinkreis liegt östlich etwas höher, so gehen wir nach der Vorbereitung beim Feuer hinauf und stellen uns um den Kreis. Wir gehen in der Richtung des Sonnenlaufs (im Uhrzeigersinn), bis jeder seinen Platz gefunden hat. Zum minutengenauen Zeitpunkt beginnt Arnold mit einer kurzen Rede, die Sinn und Bedeutung unserer Zusammenkunft nahebringt. Dann folgt die Anrufung, die Einstimmung auf die Wesenheiten des Himmels, der Erde und der acht unendlichen Himmelsrichtungen, die ich zelebriere. Danach geht es wieder hinunter zum Feuer, zu Wein und Speisen, zu Begrüßung, Gespräch und Tanz, viele unsrer Freunde sind geübte Trommler.

Jetzt will ich nur ein Beispiel der Anrufung geben, die wir, zusammen mit den Raumzahlen und der Erfahrung der Richtungen als Wesenheiten, der Begegnung mit den (nordamerikanischen) Indianern verdanken, so wie wir die Grundlage des Yoga auf die Inder und die des I Ging auf den chinesischen Geist zurückführen. Was im Denkzeitalter der Weltganzheit als richtig erkannt wird, integriert sich in der Re-ligion des Menschen, des Menschen der Wassermannzeit, ermöglicht seine Rückbindung zum Heiligen Ganzen. So hat sich das achtfältige Medizinrad der Indianer mit dem zwölffältigen Zeitkreis vermählt — das Erfahrungswissen der Indianer mit dem theoretischen Verständnis eines Pythagoras — um das Rad des Lebens hervorzubringen, den geistigen Raster unserer Epoche.

D a s · e i n e n d e · E i n e

Die unerschöpfliche Potentialität, das Ungezweite, jenseits von Name und Form wird uns als himmlische Wesenheit zweifältig unterscheidbar und zugänglich: räumlich als Ur-Yin, Urmutter des All, zeitlich als Ur-Yang, Urvater, Schöpfer.

Urgrund
dem Raum zugrundeliegend
dem Wesen des Yin
Urmutter
und Ursprung
der Zeit zugrundeliegend
dem Wesen des Yang
Urvater

Die Zeit als Wirkfeld, das Verständnis der Zeitrhythmen als Qualitäten — Jahreskreis, Lebenskreis, Tierkreis — ist auch in den patriarchalischen Epochen der Vergangenheit beachtet worden.

Der Raum, die acht Raumrichtungen, die dem Verhältnis Sonne — Erde entspringen, sind durch die Missachtung des Erdhaften und des Weiblichen in den Hintergrund getreten, in Vergessenheit geraten. In unserer Epoche, in der der Zusammenhang Raum-Zeit wissenschaftlich geklärt wurde und wird, kann auch das Verständnis des heiligen Raumes als Beziehung des Endlichen zum Unendlichen wieder seinen Platz finden. In der Zeit kann der Mensch schöpferisch wirken, in Beziehung zum Raum ist er Empfangender. Die Raumrichtungen werden zu unendlichen Kraftlinien, die ihn mit acht Qualitäten der Allkraft verbinden. Diese Qualitäten kann der Mensch in seiner Dreifältigkeit, Person-Selbst-Wesen (d. h. nicht vom Ego aus) als Wesenheit ansprechen, anrufen. Der Mensch als Mitte zwischen Himmel und Erde ist achtfältig vom All getragen und inspiriert.

Die Raumrichtungen dienten in den letzten Epochen lediglich geographischer und astronomischer Orientierung. In uns ist jedoch ein geborgenes verschüttetes Wissen, das wir einerseits mit durchaus rationaler Überlegung, andererseits der Offenheit jener Erfahrung gegenüber, wieder erschließen können. Der Zeitkreis ist geschlossen, der Raum, über Kreuz und Quadrat meßbar, ist offen.

Die rationale Betrachtung der Himmelsrichtungen und Informationen über das Erdheiligtum hat Arnold Keyserling im Büchlein Das Erdheiligtum aufgezeichnet, das in Kürze wieder verlegt wird.

Vom bekannten Phänomen, z. B., dass die Sonne im Osten aufgeht, die Verbindung zum Wesen des Feuers, des Lichts, der Erneuerung zu konstellieren, zu dieser Wesenheit vorzustoßen, bedarf der oftmaligen Betrachtung, weil sie ungewohnt ist. Wir haben sie in vielen unserer Schriften erörtert. Über die Raumseminare ist es freilich leichter, den Erfahrungszugang zu finden.

Hier will ich mich also auf ein Beispiel der Anrufung beschränken, deren Struktur die gleiche bleibt, auch wenn sie bei jedem Fest andere Aspekte einbezieht.

Wilhelmine Keyserling
Der heilige Raum · 1997
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD