Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

21. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1932

Zum Problem von Blut und Geist

Wilhelm Furtwängler schrieb mir nach Lektüre einer Absage an die nationalsozialistische Blut-Ideologie: Ihre Ablehnung des starken Voranstellens des Rasse-Standpunktes teile ich zwar de facto, bin aber doch der Meinung, dass dem eine tiefere Bedeutung zugrunde liegt. Die Rasse ersetzt für den heutigen, nationalsozialistischen Deutschen bis zu einem gewissen Grade den früheren Adel.

Natürlich hat Furtwängler recht, soweit der tiefste Glaubensgrund der neuen Bewegung in Frage steht. Nur tritt die tiefe und wahrhaftige Intention zunächst beinahe ausschließlich in Form empirischen Irrtums oder bösen Willens in die Erscheinung. Deshalb gibt es praktisch keine gebieterischere Pflicht für jeden, der da erlebnismäßig weiß, was Geist ist, und der an das Supremat des Geists im Menschen glaubt, als die Rassenideologie zu bekämpfen, bis dass der Widerstand sie zwingt, sich auf die wirklich haltbaren ihrer Positionen zurückzuziehen.

Während heute nur ganz wenige wissen, welcher Art das ursprüngliche Verhältnis von Geist und Blut ist, wusste unser Mittelalter hier sehr genau Bescheid. Die beiden Pole mittelalterlichen Lebens, in Kaiser und Papst verkörpert, bedeuten letztlich nichts anderes als die Pole von Blut und Geist. Keine Zeit Europas schätzte das Blut höher ein als das Mittelalter. Aber andrerseits verfiel dieses nie in den Irrtum, dem Blute zuzuzählen, was nicht des Blutes ist. Keine Zeit verstand den Sinn der Geistigkeit tiefer; doch nie verführte sie das dazu, den Geist zum Alleinherrscher auf Erden zu machen. Wer dies versuchte, wie es sehr natürlicherweise seitens einzelner Geistlicher geschah, scheiterte allemal am Widerstand des Zeitgeists. Dem Mittelalter war der Geist wesentlich nicht von dieser Welt. Darum verkörperte er sich auf Erden in einem besonderen, nicht weltlichen Stande; darum mussten seine Vertreter von fleischlicher Fortpflanzung absehen. Die irdischen Geschäfte hingegen sollten solche, deren Bewusstsein im Blute wurzelte, besorgen. So wurden den beiden Polen des Menschenlebens, Geist und Blut, jedem sein besonderes legitimes Bereich zuerkannt, die sich nur im Fall individuellen Missverstehens überschnitten und störten. Keine öffentliche Meinung verlangte damals von einem Vertreter des Geists, dass er Nationalist sei; selbstverständlich hatte er über den Völkern und jenseits ihrer zu stehen.

Nun, dem Mittelalter galt allein der Geistliche als geistig; das lag an seiner rein religiösen Orientierung. Aber grundsätzlich hatte es für alle nur möglichen Zustände recht. Die Konflikte des Bluts und der Erde gehen den Geist wesentlich nicht an. Das Reich des Geistes ist wesentlich nicht von dieser Welt. Ihm die Normen von Blut und Erde aufzuzwingen, ihn gar von diesen abhängig zu machen oder auf sie zurückzuführen, bedeutet vollständiges Verkennen seines Wesens.

Von hier aus betrachtet lassen sich die Missverständnisse unserer Zeit, als Reaktion auf welche Überbetonung des Bluts und Nichtachtung des Geists erfolgt ist, recht eigentlich auf die Säkularisierung dieses zurückführen. Wohl gehört Verstand in diese Welt. Aber der eigentliche Geist ist un-irdisch und gegen-irdisch. Deswegen gerät der ausschließlich Geistige, der dies nicht weiß und nun von seiner für ihn richtigen Einstellung aus die Dinge dieser Welt betrachtet, typischerweise in eine schiefe und ihn selbst letztlich verbildende Position. Der Religiöse, Metaphysiker, Künstler und Gelehrte als Politiker verkennt naturnotwendig die Eigen-Gesetze von Blut und Erde. Und ebenso neigt er naturnotwendig zu Anschauungen, die Übersetzungen aus der geistigen Sphäre bedeuten, wo solche doch widersinnig sind. So ist er Internationalist, Pazifist, Verständigungsfreund um jeden Preis, oder aber Terrorist, weil er als Geistiger notwendig Universalist ist, weil der Krieg als Unterwelts-Angelegenheit vom Geistesstandpunkt absurd ist, Verstehen auf geistigem Gebiet Konflikt-Erledigung bedeutet und Wahrheit an sich keine Rücksichten kennt. Daraus folgt nun aber nicht, dass vom Geistigen eine Gesinnung zu fordern sei, die nur Erd- und Blut-Menschen gemäß ist, wohl aber dies: dass nicht Geistige die Politik machen sollten.

Da bei der besonderen Struktur des Deutschen das Geistige normalerweise überwiegt, so folgt daraus ein unsicheres Verhältnis zur Realität, die Neigung, falsche Menschen an den falschen Platz zu stellen und im großen und ganzen tatsächlich das, was unsere Nationalisten fordern: dass grundsätzlich andere Typen als Intellektuelle und Gelehrte bei uns als berufene politische Führer anerkannt würden. Aber da Deutschland nun einmal vorwiegend geistig ist, so folgt daraus weiter, dass es nie eine politische Nation, ja eine Nation überhaupt nach der Art Frankreichs oder Englands werden wird. Der deutsche Nationalist wird, gegenüber dem deutschen Universalisten, immerdar minderwertig bleiben. Deswegen ist eine Höherentwicklung des deutschen Volks unter keinen Umständen gemäß dem Rezept der deutschen Nationalisten denkbar; nach kurzen Zeiten der Begeisterung muss jede nationalistische Welle in Deutschland absinken, so dass Akzentlegung auf das Blut- und Erdhafte bei uns Basierung auf das wenigst zuverlässige Moment bedeutet. Dementsprechend muss Deutschland seinen Schwerpunkt nach wie vor im deutschen Geiste suchen und finden. Aber es sollte sich andererseits so umorganisieren, dass die bedeutenden Blut- und Erdmenschen, so selten sie seien, als die einzig berufenen politischen Führer anerkannt würden.

Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
© 1998- Schule des Rades
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