Schule des Rades
Arnold Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit
Neuentstehende Welt
Einführung · Neuentstehende Welt
In den meisten Würdigungen von Leben und Werk Hermann Keyserlings wird die Schule der Weisheit
als eine Art von Akademie, und seine Schrift Der Weg zur Vollendung
als ein Mitteilungsblatt verstanden, ohne dass diese beiden Begriffe in ihrer Tiefe bestimmt werden. Tatsächlich sind es aber die Kernvorstellungen seiner Richtung, und nur auf diese Intention hin lässt sich sein Anliegen verstehen.
Aber war dieses Anliegen überhaupt bewusst? Es erschien ihm nach und nach in immer größerer Klarheit. An einer Stelle schreibt er, ihm habe besonders ein Satz von Wilhelm von Scholz eingeleuchtet, das menschliche Leben verlaufe so, als ob es von einem Tiefensubjekt geträumt werde, und die Ereignisse, Handlungen, Erreichnisse und Enttäuschungen erwiesen sich als Muster auf einem Webteppich, dessen Sinn erst im Nachhinein einleuchtet. Vor allem aber sah er sein Werk in historischer Perspektive, als Zusammenhang von Ansatz und Wirkung; und letztere lässt sich tatsächlich erst heute bestimmen, da die Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen, der Vergleich mit Lebensphilosophie, Kulturphilosophie und Existentialismus nebensächlich geworden ist.
Im Anschluss an seinen Großvater Alexander studierte Hermann Keyserling Geologie, im besonderen Kristallographie, und gewann damit unabsichtlich seinen Ansatz: das Verständnis der menschlichen Existenz im Rahmen der natürlichen Evolution, welche Schau ihm in seinem Alterswerk, dem Buch vom Ursprung
, zum Erlebnis und zur Erfüllung wurde. Immer wieder versuchte er, sich über seine Entwicklung Rechenschaft abzulegen, so im Vorwort vom
, im Menschen als Sinnbilder
unter dem Titel Produktivität des UnzulänglichenMein Glaube
von Wiedergeburt
, und schließlich, in großem Rahmen, in seinem Erinnerungswerk Reise durch die Zeit
.
Historisch wird ein Werk erst dann verständlich, wenn man an ihm anknüpfen kann. Das wesentliche für mich ist an seinem Ansatz, dass er sich als Pionier einer neuentstehenden Welt verstand, dem Zeitalter des ökumenischen Menschen; dem Ergebnis einer geistigen künftigen Revolution, das die kollektivistischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts in den Schatten stellen werde. Mit der Gegenwart scheint dieses Problem — die Erringung eines planetarischen Bewusstseins — zum allgemeinen Ziel zu werden. Aus diesem Gesichtspunkt lässt sich nun das Werk Hermann Keyserlings in sieben Etappen gliedern, die ich im Folgenden zu schildern versuche.