Schule des Rades
Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit
16. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1929
Bücherschau · Herman Wirths · Aufgang der Menschheit
Eugen Diederichs schickte mir einen Band zu, für den das Wort Wälzer
nahezu ein ähnliches Deminutiv bedeutete, wie die Bezeichnung Meerschweinchen für ein Nilpferd. Aus rein körperlichen Gründen hätte ich das Buch so bald nicht gelesen. Da erkrankte ich schwer; es wurde ein Lesegestell angeschafft. Da dieses mir alle Mühe des Buchhaltens abnahm, beschloss ich, diese Gelegenheit zu benutzen, das Ungetüm anzusehen. Und siehe da: wie ich einmal angefangen hatte, ließ mich die Lektüre nicht mehr los. Und so dürfte es den meisten ergehen, die Herman Wirths Aufgang der Menschheit studieren.
Ich kann und will hier auf die wissenschaftlichen Einzelheiten dieses Werks, welches die Menschengeschichte bis ins Steinzeitalter, ja indirekt bis zur Tertiärzeit zu rekonstruieren unternimmt, nicht eingehen. Erstens bin ich dazu nicht kompetent; dann liegt erst der erste Teil der Arbeit vor (der zweite Textband über den Urglauben der Menschheit soll in zwei Jahren folgen). Aber ich spreche es offen aus, dass mir die großen Linien von Wirths Urgeschichte schon jetzt als richtig gezogen einleuchten. Und die sind so ungeheuer bedeutsam, dass ihnen gegenüber die geistreichsten Konstruktionen eines Spengler irrelevant erscheinen. Wirth zeigt, dass alle Überlieferung dafür spricht, dass in der Tertiärzeit, als der Nordpol anders lag als heute, in der damals warmen oder gemäßigten nordarktischen Zone, die Menschenart entstanden ist, aus der alle späteren Kulturträger hervorgingen. Er zeigt zugleich, dass alles dafür spricht, dass diese Urrasse schon zu der Zeit, als Europa und Asien von niederen Menschenarten bevölkert war, gleich hoch stand, wie nur jemals später. Und es gelingt ihm sogar, die Hauptstraßen ihrer Wanderungen nachzuweisen. Als das arktische Gebiet erkaltete, drängte es seine Bewohner natürlich zur Auswanderung. So besiedelten sie zuerst Nordamerika; die nordamerikanischen Indianer edler Artung sind die letzten Vertreter der vornordischen Rasse, wie sie denn der Blutgruppe nach den Europäischen Norden
nächstverwandt sind. Von dort fand eine erste große Völkerwanderung nach Atlantis, von dort nach Spanien, Nordafrika und weiter nach Ägypten, Kreta, Palästina, Mesopotamien, Indien statt. Ein Zweig drang um Südafrika herum bis Ozeanien. Eine spätere Völkerwanderung führte dann die Vorfahren der Völker, die wir heute nordisch heißen, nach Nordeuropa.
Ich will hier nicht weiter referieren. Schon das wenige Mitgeteilte, das mir durch die Tatsachen durchaus belegt scheint, sollte genügen, um zur Lektüre des Wirthschen Werkes anzuregen. Ich will hier nur einige Kommentare und dann ein Urteil über Wirths persönliche Weltanschauung geben. Dass der Anstoß zu aller Hochkultur aus einer rassischen Urquelle stammen sollte, wird keiner beanstanden, der in irgendeiner Form an Adam und Eva glaubt — von irgendwoher muss das Tier Mensch
doch die Erde erobert haben. Dass grundsätzlich zwei Urrassen, eine höhere und eine niedere angenommen werden, ist jedenfalls für die in Betracht gezogene Zeit (ca. 20000 Jahre) keine unwahrscheinliche Hypothese, denn seitdem es Überlieferung gibt, ist von Edlen und Unedlen die Rede, die letzteren werden überall merkwürdig übereinstimmend geschildert und nichts spricht dafür, dass sich das heutige Edlere aus dem nachweisbaren Unedlen entwickelt hätte. Wirth glaubt persönlich an zwei Urheimaten des Menschen: die arktische Zone und das Gondwanaland. Aber das wirklich Befreiende, für die lebendige Gegenwart Bedeutsame von Wirths Buch ist ein anderes: es zerstört endgültig die heute landläufige Nordiker- oder gar Germanenromantik. Alle heutigen Norden sind schon Abkömmlinge ganz früher Mischungen zwischen Ur-Norden und Proto-Mongolen oder Asiaten. Europas Ur-Bevölkerung scheint finnisch
gewesen zu sein; ihnen, nicht den Helden der nordischen Sage, ähneln die meisten heutigen Deutschen in der Tat am meisten. Und keinesfalls haben sie eine Vorzugsstellung, auf Grund des nordischen Bluts, vor Spaniern und Berbern, welche direkte, und nachher noch nordisch aufgekreuzte Nachfahren der ersten Nord-Atlantiker sind. Ebensowenig hält die Antithese zwischen Ariern, Semiten usw. im alten Sinn mehr Stich. Auch die ägyptische, die kreto-mykenische, die sumerische Kultur ist ursprünglich nordische Gründung. Andererseits sind überall, auch im Norden, die bekannten Kulturvölker Mischprodukte. Heute gibt es nur mehr Mischvölker. Wer also für den arischen Gedanken
kämpft, ist nur insofern kein schlechter Romantiker, als er ein Dominieren dank Neu-Herausmendelung der edleren Blutkomponente in allen heutigen Kulturvölkern wünscht. Hier sei darauf hingewiesen, dass auch Nordasien von arktischer Zone her einmal überrannt wurde und dass die ur-nordische Blutgruppe (Blutgruppe I) bei Chinesen und Japanern vielfach stärker vertreten ist, als unter Europäern; am reinsten (z. T. absolut rein) ist sie’s bei den nordamerikanischen Indianern. Beim Norden-tum handelt es sich also heute nicht mehr um eine besondere Rasse, sondern ein Gen
innerhalb aller Menschenarten, die von den Ur-Norden abstammen. Woran erkennt man nun dieses Gen? Da der Mensch ein vornehmlich psychisches, nicht physisches Wesen ist, an der Gesinnung1. Die ist nun die aristokratische Gesinnung. In einem Zusatz, den ich auf Wirths Ergebnisse hin für die 4. Auflage des Spektrums geschrieben habe (eingeschaltet auf S. 265) konnte ich noch zeigen, inwiefern mein Grandseigneur-Ideal mit dem echten arischen zusammenfällt.
Dies ist das eine von aktueller Bedeutung an Wirths Buch. Das andere betrifft die triebmäßige Grundanlage der edleren Urrasse. Die erweist sich als wesentlich identisch mit der der reinsten Vertreter des nordischen Typus (ganz unabhängig von der Rassenreinheit), welcher heute noch lebt, der angelsächsischen Nation in weitestem Verstand. Es waren von jeher kühne Seefahrer, Eroberer, Individualisten, Protestanten
, reine Herrenmenschen, ohne Sinn für das Ethos der Arbeit, tief verwurzelt im Naturzusammenhang — daher das englische Tiermenschentum
sowohl, als der englische politische Takt — human und wesentlich weltzugekehrt, extravertiert. Auch der spanische Individualismus und Donquichotismus hat noch viel urnordische Züge und besonders der berberische Unabhängigkeitssinn. Dementsprechend waren die Ur-Norden aber — und hier irrt Wirth durchaus — keine Metaphysiker, auch nie im geistigen Sinne religiös. Jene Urreligion, die Wirth metaphysisch tief findet, die mit dem Sonnenjahr im Zusammenhang steht und vielleicht wirklich dem Christusmythos seine Bildsymbolik vermacht hat, ist eine Naturreligion im Gegensatz zur Geistreligion. Gewiss war sie kein Naturalismus im oberflächlichen Sinn, dergleichen gab es damals noch nicht; die Natur war ihr erlebtes Sinnbild für übersinnliches. Aber dieses war ein Kollektivpsychologisches, es gehörte zur erdbedingten Psyche im Sinne Jungs und nicht zum Geist. So bestätigen denn gerade Wirths Untersuchungen, richtig verstanden, das, was ich immer wieder vertreten habe: der Geist, selbst un-irdischer Abkunft, manifestiert sich auf Erden vermittelst empirischer Spannungen. Und das sind in erster Linie solche im Blut. So hat die arisch-drawidische Spannung die tiefe metaphysische Erkenntnis der Inder möglich gemacht, mit deren Tiefe nur völlig mangelnder Sinn für den Sinn des metaphysischen Sinns die nordische Urreligion, trotz deren tiefer Symbolik, vergleichen kann. So war es eine ähnliche Spannung, welche Judentum und Christentum ermöglichte, griechische Philosophie und in unserer Zeit deutsche Geistigkeit. Ich wüßte keinen geistig bedeutenden Deutschen jüngerer Zeit, der nicht rassisch zum Teil sogenannten minderwertiger Rassen angehörte. Goethe z. B. klassiert Guenther als beinahe reinen Dinariker.
Hiermit gelangen wir denn zu Wirths reinen Irrtümern und Missverständnissen. Die ganze Konstruktion des Verfalls ist missverständlich. Was den Menschen zum Menschen macht, ist der Geist. Unwiderlegliche Erfahrung beweist, dass Geistbewusstsein sich nur durch das Medium empirischer Spannungen auf Erden manifestiert, und deren elementarste ist natürlich die Blutmischung. Gewiss ist nicht jede Rassenmischung gut — fern davon — aber ohne jede Frage hat die nordische Urrasse nicht etwa das Ideal verkörpert, sondern nur das beste und insofern wichtigste Ur-Element. Sie war, gerade wegen ihrer Vollendung im Triebhaften, problemlos. Keine einzige geistige oder künstlerische Kultur wäre entstanden, wenn es beim Urzustand geblieben wäre. So verpflichten denn gerade Wirths gesicherte Ergebnisse am wenigsten zum Übernehmen seiner Deutung derselben. Wirth selbst ist rückwärts gewandter Romantiker. Selbst in einigen Hinsichten augenscheinlich ein selten artreiner nordischer Mensch, ist er ohne metaphysisches und religiöses Bewusstsein im höheren Sinn: er kennt nur das Erleben des naturverwachsenen Frühmenschen. Was er über Christentum, Griechen, Römer usw. sagt, wäre alles lieber ungesagt geblieben. Dann ist er aber wiederum gar nicht nordisch in seiner moralischen Gesinnung: ihm fehlt jeder Zug von Herrentum; wer immer vom Wert der Armut schwärmt und Arbeit anders als im Sinn geistiger Führung und Leitung hochschätzt, gehört triebmäßig nicht den Völkern an, die einmal die Erde eroberten. Vor allem aber ist es ein Jammer, dass Wirth die moderne Welt vollkommen verständnislos beurteilt: so besteht Gefahr, dass seine wertvollen Erkenntnisse von den vielen rückwärts gewandten Kreisen, den Romantikern, Pathikern, Chthonikern usw. als Monopol in Anspruch genommen und so ausgeschaltet werden als Ansporn zum weiteren Aufgang
der Menschheit. Gewiss, Wirth ist, bei aller Vielseitigkeit auf seinem Forschungsgebiet, ein einseitiger Kulturhistoriker. Was er über geistige, religiöse und metaphysische, zumal was er über nicht vergangene Dinge sagt, ist von Hause aus irrelevant; so verkannte sogar ein Mommsen vollkommen den Sinn der neuen Geschichte. Aber es besteht, wie gesagt, Gefahr, dass dies nicht erkannt wird. Und da die Rückwärtsgewandten gerade in unserer Zeit zum kulturellen Tode verurteilt sind, so wäre es schade, wenn Wirth an deren Schicksal teilhätte. Gewiss hat es viel Entartung und Verdürrung in der Geschichte gegeben. Aber gerade von unserer Zeit gilt dies nicht. Die industrielle Eroberung des Erdballs hat einen völlig anderen Sinn: sie stellt den Beginn dar der eigentlichen Geologischen Epoche des Menschen, wie es unsere Tagung Mensch und Erde
erstmalig feststellte. Also stehen wir genau so an einem Uranfang, wie seinerzeit unsere Urväter aus dem Norden. Wir können nicht mehr gegen den Geist dieses neuen Pioniertums handeln, als indem wir die durch den Geist eroberte Welt als neue Basis nicht anerkennen. An sich ist die Renaissance des nordischen Bewusstseins ein sehr Gutes. Zuviel schlechte Rassenmischungen hat es in den letzten Jahrhunderten gegeben und die nordische Komponente ist zweifellos eine der hochwertigsten. Also soll sie gefördert werden. Aber was bedeutet andererseits die Renaissance des nordischen Bewusstseins? Eben dass die Welt wieder jung wird; dass die Pioniertugenden wieder zeitgemäß werden, dementsprechend uralte Seelen-Urtöne neu anklingen. Deshalb hat das junge Amerika viel mehr am Geist und Sinn der fernen Ahnen — nur eben auf der neuen Stufe der geologischen Epoche des Menschen — teil, als der rückwärtsblickende, das heißt der romantische Teil des deutschen Volks.
1 | Übrigens ist auch L. F. Clauß in seinem jüngsten Buch Von Seele und Antlitz der Rassen und Völker (München 1928, J. F. Lehmann’s Verlag), von dem ich nach Niederschrift des obigen Textes Kenntnis gewann, der Wahrheit viel nähergekommen als in früheren Schriften. Jetzt erkennt er in der Stileinheit, also dem Exponenten eines Geistig-Seelischen, nicht eines Körperlichen, das Eigentliche. Und da bezeichnet er den nordischen Menschen als den Leistungstyp. Er ist der weltmächtige, weltzugekehrte, herrscherische, sachliche Typ; an Geistigkeit, zumal in metaphysischer und religiöser Hinsicht, übertreffen ihn andere Typen. |
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