Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

19. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1931

Bücherschau · Emil Lucka, Karl Wolfskehl

Ich muss mich aufraffen, nach langer Zeit wieder einmal ausführlicher über Bücher zu schreiben, die mir etwas gesagt haben. In den letzten Monaten bin ich auch wieder mehr zu aufmerksamem Lesen gekommen. Beinahe ein ganzes Jahr lang, nach meiner Südamerikafahrt, war es mir fast unmöglich, mich auf Geschriebenes zu konzentrieren.

Ich beginne mit drei Büchern Emil Luckas: Urgut der Menschheit, Grenzen der Seele und Stufen der Erotik (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart). Wie ich diese las, da fiel mir auf, wie sehr es von zufälligen Umständen abhängt, und insofern dem Geiste geistiger Gerechtigkeit nicht entspricht, ob einem der Rang eines Prominenten zuerkannt wird oder nicht. Letzteres gilt von Emil Lucka nicht, obgleich er zu den vielgelesenen Schriftstellern gehört. Und doch ist er ideenreicher und anregender als die Mehrzahl derer größeren Namens. Ist Lucka vielleicht zu fruchtbar? Bewegt er sich zuviel auf Gebieten, die ihm weniger liegen? Seine Romane und Dichtungen kenne ich nicht… Es scheint irgendein prästabiliertes Gleichgewichtsverhältnis zu bestehen zwischen Qualität und möglicher Quantität, welche das wertende Unbewusste naiv als bestehend voraussetzt. Die meisten großen Geister, jedenfalls alle reichen, haben unter anderem auch Mittelmäßiges und Schlechtes geschaffen. Was mir am schwersten gewürdigt zu werden scheint, ist echter Gehalt in nicht ganz entsprechender Form.

Dieser Fall liegt wohl bei Emil Lucka vor. Die drei genannten Bücher strotzen von wichtigen Einsichten und geistreichen Aperçus. Ich habe außerordentlich viel von ihnen gehabt. Ich möchte diese Bücher denen, die sich für die Erdseite des Menschlichen interessieren, mehr empfehlen als die berühmten von Dacqué und Klages, denn sie sind zweifellos gegenständlicher. Aber werden viele vom literarischen Vorurteil — und hier ist fast jeder Gebildete Snob — abstrahieren können?

Recht eigentlich den Kontrapunkt zu Luckas vielen Büchern stellt Karl Wolfskehls bisher einziges Prosawerk Bild und Gesetz dar (Berlin und Zürich, Deutsch-Schweizerische Verlagsanstalt). Dieses Buch ist ganz wunderbar geschrieben. Und das Georgetum — von dessen tiefstem Sinn in Das Ende der Buchweisheit die Rede war — jenes Georgetum, das mit Recht beanspruchen darf, heute den Hort deutschen Sprachgewissens darzustellen, findet hier seinen intellektuell bedeutendsten, weil übertragbarsten Ausdruck. Wer immer sich für Sinn und Wert der Sprache interessiert, versäume nicht, dieses Buch nicht nur zu lesen, sondern zu meditieren. Von Wolfskehl ist viel mehr zu lernen als von seinem Weggenossen Friedrich Gundolf, weil er bei aller literarischen Interessiertheit absolut nicht Literarhistoriker ist und so als ursprünglicher Geist direkt zu ursprünglichem Geiste spricht. Es ist ja das Verhängnis der meisten, die sich mit der Schrift befassen, dass sie einem exzentrischen Typus angehören und so das, was alle angehen sollte, auf eine exzentrische Ebene verstellen. Denn offenbar ist der Literarhistoriker, der Einrahmer, der Relativierer, der Erbauer abgründeüberspannender Begriffsbrücken der letzte, den der Dichter und Sager meint, wenn er zum Volke spricht. Wolfskehl ist meiner Überzeugung nach der erste, welcher der Intention, für die der Name Stefan George Sinnbild ist, als Denker gedient hätte. Zumal sein Buch deutlich zeigt, dass er nicht Epigone, auch nicht Nachfolger ist, sondern ursprünglicher Weggenosse. Deshalb sind auch Wolfskehls nicht das Wort betreffende Aufsätze allesamt interessant. Unter diesen möchte ich zumal das Kabinettstück Der Herrscher hervorheben. Dies hat mit eigentlicher Politik nichts zu tun. Aber nie noch sah ich das Überpolitische, das heißt das Wesentliche des Herrschermenschen, schärfer gefasst und klarer herausgestellt als hier.

Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
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