Schule des Rades
Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit
19. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1931
Bücherschau · Salvador de Madariaga, W. H. Hudson, Waldo Frank
Gutes Spanien und Südamerika Betreffendes gibt es leider sehr wenig, außer in spanischer und portugiesischer Sprache. Um so mehr freue ich mich, heute auf die deutsche Ausgabe von Salvador de Madariagas Spanien (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart) hinweisen zu können. Madariaga hat Tieferes geschrieben, so vor allem Englishmen, Frenchmen, Spaniards, auf welches Buch, das nun auch in französischer Ausgabe vorliegt, ich in einem früheren Heft dieser Mitteilungen schon hinwies; ich hoffe dringend, dass diese wunderbar tiefschürfende völkerpsychologische Studie bald auch dem deutschen Leser vorläge, ebenso wie Don Francisco Cambó Las Dictaduras, das beste Buch über mögliche und unmögliche Diktatur in unserer Zeit. (Dieses Buch zeigt unter anderem überzeugend, warum Diktatur in Frankreich, Deutschland, England, den Niederlanden und Skandinavien keine mögliche Regierungsform ist, weshalb jeder Versuch, sie zu errichten, zu baldigem Scheitern verdammt ist.) Madariagas Spanien nun hat den Vorzug, die erste wirklich gegenständliche (um goetheisch zu reden) Einführung in diesen Gegenstand zu sein. Ganz Europa beurteilt Spanien noch von Philipp II. oder der Inquisition her: in Wahrheit ist es das anarchistischste, partikularistischste Land Europas. Es ist alles eher als düster. Es ist in einem Grade menschlich und idealistisch wie kein anderes modernes Land. Und bei allem Militarismus ist es beinahe pazifistisch… Ich glaube, die angedeuteten Paradoxa dürften genügen, echte Interessenten zum Studium des Werks von Madariaga anzuregen.
Über Südamerika nun gibt es heute drei wundervolle englische Bücher, die jedermann lesen sollte. Das sind zunächst Far away and long ago und The purple Land von W. H. Hudson (Duckworth, 3 Henrietta Street, London W. C. 2). Der erste dieser mit aller Wärme und Liebe des Bodenständigen geschriebenen Erinnerungsromane handelt vom alten Argentinien, der zweite vom alten Uruguay. Da sind Kapitel, aus denen die ganze Wärme und Glut und zugleich die letzte reptilienhafte Kühle des dortigen Menschen europäisch-verständlich in die Seele des Lesers eindringt. The purple Land zumal ist ein solches literarisches Meisterwerk, dass es wohl einer Übersetzung ins Deutsche würdig wäre. Dann ist der erste Auswahlband aus der Serie Südamerikanische Literatur, die Waldo Frank herausgibt, unter dem Titel Tales from the Argentine erschienen (Verlag Farrar & Rinehart, New York). Mehrere dieser kurzen Geschichten aus dem alt-argentinischen Leben sind wahre Meisterwerke. Dies gilt zumal von Ricardo Güiraldes’ Novelle Rosoura
. Es mag am Hintergrund der unermeßlichen Pampa, auf der sich das Ganze abspielt, liegen — aber noch nie sah ich die knospenhafte Liebe eines Mädchens aus enger Provinz zu einem idealisierten Großstädter gleich zart und süß geschildert. Bei dieser Gelegenheit möchte ich die meiner Leser, welche Spanisch können, auf Ricardo Güiraldes’ Hauptwerk, den Gaucho-Roman Don Segundo Sombra (Verlag Libraria El Ateneo, Florida 371, Buenos Aires) hinweisen, der heute schon zur klassischen Literatur Argentiniens gehört. Es ist die Epopöe eines archaischen Gaucho, eines seelischen Zeitgenossen Don Quijotes. Dessen Urbild, das auch den gleichen Namen trägt und dem Bild so ähnlich sieht, wie dies bei künstlerischer Transfiguration überhaupt möglich ist, habe ich übrigens gut persönlich gekannt. Es war der eine noch lebendige Ausdruck des fahrenden Ritters
, der mir begegnet ist.
Zum Schluss dieses Abschnitts möchte ich nicht verfehlen, auf Victoria Ocampos Dreimonatsschrift Sur hinzuweisen (Redaktion Rufino de Elizalde 2847, Buenos Aires), deren zweites Heft meinen ersten Aufsatz über Südamerika Perspectivas Sudamericanas enthält (unsere Bibliothek besitzt es). Das erste Heft bietet u. a. eine prachtvolle Evokation Brasiliens von Waldo Frank. Diese Zeitschrift dürfte zum ersten Organ des Bewusstwerdens der Originalität Südamerikas werden.