Schule des Rades
Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit
2. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1921
Bücherschau · K. Pfeiffer-Raimund — Die Urideen im Zeitgesetz
Zum Schluss möchte ich noch am Werk einer Frau anknüpfen, Die Urideen im Zeitgesetz. Der Weg aus den Völkerwirren
von Kristina Pfeiffer-Raimund (Frankfurt a. M. 1921, Englert & Schlosser), nicht weil es mir als Schöpfung bedeutend scheint, sondern weil es mit seltener Deutlichkeit illustriert, wie wenig vorhandenes Gefühl für geistige Wirklichkeiten beweist, dass jemand zu deren Herausstellung berufen ist. Wertvolle Menschen, die durch ihr Sein wirken, lassen sich Kreisen vergleichen; sie haben ihren einzigen Brennpunkt in ihrem Innern. Der geistig Schöpferische gleicht einer Ellipse, deren beide Brennpunkte Wesen und Werk sind; jenes spiegelt und verdichtet sich in diesem. Sucht sich ein Kreis nun als Ellipse darzustellen, so vermag er’s nicht. Was er aus sich entlässt, entflieht seiner Gravitationssphäre, einen eigenen Mittelpunkt gewinnt es nicht, und so bleibt es bei losen Blättern, deren Zusammenfassung nur äußerlich gelingt. Hierher rührt die Neigung gerade von Frauen, Gedankensplitter zu verfassen: Frauen sind typischerweise Kreise, deshalb bleibt das, was sie heraus stellen, typischerweise zusammenhangslos. Oder aber die Zusammenhänge, die sie schaffen, wirken abstrakt und tot. Hierher gehört der Fall Kristina Pfeiffer-Raimund. Wenn ich sie richtig beurteile, so lebt sie unstreitig aus dem Gefühl eines geistigen Zukunftsmenschentums heraus. Aber da sie keine Ellipse ist, so gelingt es ihr nicht, diesen Erlebnis-Zusammenhang im Werke zu verkörpern. Und da sie überdies besonders typisch weiblich ist, so unterliegt sie dem Frauen-Verhängnis, Gefühltes durch große Worte zu versinnbildlichen, anstatt bestimmte Anschauungen und Begriffe zu schaffen, die das Gefühl im Leser neu erstehen lassen. Der Enderfolg ist der, dass sie gerade das, was der Titel ihres Buchs verspricht, nicht gibt oder zeigt; weder Ideen noch ein Gesetz noch auch einen Weg. Dies hindert aber nicht, dass man aus ihm heraus eine nicht nur edle, sondern auch wissende Seele ahnt. Hätte Frau Pfeiffer-Raimund rechtzeitig erkannt, dass sie keine Ellipse ist, und folglich zur Herausstellung ihres Geisteslebens unberufen, sie wäre wahrscheinlich weitergelangt, als sie gekommen ist. — Wieder und wieder sehe ich mich veranlasst, das Niederschreiben von Gedanken Frauen abzuraten. Zumeist verreden
sie ihr Bestes dadurch nur. Sie töten es, indem sie es aus dem Kreis ihres unmittelbaren Seins entlassen. Was am Stamm als Blüte und Blatt die Welt beleben könnte, verfliegt so in Form von abgestorbenem Laub.