Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

11. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1926

Bücherschau · Max Brod · Rëubeni, der Fürst der Juden

Gerade vor Redaktionsschluss las ich Max Brods Rëubeni, der Fürst der Juden (München, Kurt Wolff Verlag). Dessen erster Teil (der zweite fällt dagegen sehr ab) hat mir einen tiefen Eindruck gemacht: auf meisterhafte Weise schildert er die hohe Intellektualität des Ghetto, die dank falscher Einstellung niemals Positives schaffen konnte. Und diese Schilderung machte mir auf schreckhafte Weise die ungeheure Ähnlichkeit des jüdischen mit dem deutschen Geiste klar, der zwar nicht unsere Meisterwerke schafft, wohl aber von jeher das politische Leben Deutschlands bestimmt. Was tun die Deutschen denn anderes, als um Prinzipien zu streiten, wo allein praktisches Handeln nottut? als durch theoretisches Beweisen zu erstreben, was nur opferfreudigem Entschluss gelingen könnte? Sind nicht auch die Deutschen gerade dann am meisten uneins, wo Einigkeit am meisten nottut? Der typische Deutsche ist hier dem typischen Ghetto-Juden nah verwandt… Aber waren anderseits nicht alle Völker, die normalerweise große Einzelne hervorbrachten, in der betrachteten Hinsicht besonders unzulänglich? Auch die Griechen waren insofern judenähnlich. Möglicherweise besteht ein tragisches Gegensatzverhältnis zwischen der möglichen Größe der Einzelnen und dem möglichen Wert der Volksmasse.

Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
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