Schule des Rades
Hermann Keyserling
Schöpferische Erkenntnis
Dritter Zyklus:III. Das Ziel
Selbstverantwortung
Aber die neue reinschöpferische Weltphase kann erst dann beginnen, wenn die Einsicht in das Schöpfertum des Menschen als schlechthinnige Selbstbestimmung zu Fleisch wird. Diese kann praktisch nur in der einen Form absoluter Selbstverantwortung in die Erscheinung treten, und diese der Welt der historischen Erscheinung als bewusste Forderung einzubilden, ist der Schule der Weisheit zweites ein für allemal bestimmbares Ziel. Wenn Verstehen, nicht Wissen entscheidet, wenn es einen grundsätzlichen Unterschied macht, ob einer Gleiches freiwillig und bewusst, oder aber gezwungen, mechanisch und unverantwortlich tut, wenn nur persönliche Initiative dem Geist zur Herrschaft verhilft, dann ist klar, dass ein wesentlicher Fortschritt über den heutigen Zustand hinaus nur dadurch erfolgen kann, dass die Menschen viel schwerere Verantwortung zu tragen lernen, als je bisher geschah. Nichts, schlechthin nichts darf einer dem andern, oder die Institution der Person, oder schließlich ein geglaubter Gott dem Menschen abnehmen. Nur insofern jeder Einzelne sich selbst letzte Instanz ist, in dem er alle Selbsttäuschung, alle Feigheit verwirft, wird die Person zum Brennpunkt der kosmischen Kräfte (S. 340), greifen deren tiefste zuletzt ein.
Anstatt über diesen Punkt zu theoretisieren, will ich lieber zwei praktische Beispiele dessen anführen, was gewöhnlich geschieht, und was statt dessen immer geschehen sollte: so gelangen Sie am schnellsten zum lebendigen Verständnis dessen, worauf es eigentlich ankommt. Die meisten wollen Rat hören. Dem, welcher einen darum ehrlich angeht, seine bessere Einsicht mitzuteilen, ist nun freilich Pflicht. Jedoch nur soweit, als rein Sachliches in Frage steht. Einem andern direkt zu sagen, was er tun soll, bedeutet vom geistigen Standpunkt Anmaßung und vom ethischen Schwächung von des anderen Verantwortungsgefühl, somit bewusst beabsichtigte Veroberflächlichung. Jeder muss selbst entscheiden, denn nur insoweit kann seine Tat, welche immer sie sei, seiner Seele frommen. Wer deshalb dem anderen helfen will, wird ihm niemals zu dem raten, was er von selbst nicht tun würde, denn eine Zuwiderhandlung gegenüber dem tiefsten Selbst ist recht eigentlich eine Sünde wider den heiligen Geist; der wird ihm auch nicht, aus falschem Mitleid, die Verantwortung nehmen, sondern ihm, nachdem er ihn anhörte, klar machen, was er im tiefsten will und ihm dann helfen, seiner Überzeugung zu leben, auch wo diese der des Ratgebers widerspricht. Nur solcher Rat hilft wirklich, denn er macht den Menschen selbständiger, lässt seine Wesenskräfte wachsen. Und nicht nur die des Beratenen: indem der Ratgeber einem andern auf einem Wege hilft, welcher dem seinen vielleicht schnurstracks zuwiderläuft, wächst er selber innerlich, denn er befreit sich einerseits von den Bindungen seiner Person, trägt andererseits eine Verantwortung freiwillig mit, die in bezug auf ihn selbst ein Opfer bedeutet. — Das zweite Beispiel bietet der Konflikt zwischen idealer Gesinnung und den sogenannten Realitäten des Lebens. Mich besuchte einmal der Inhaber eines Anzeigengeschäfts, der am Dilemma litt, entweder mancherlei aufzunehmen, was er vom sittlichen Standpunkt nicht ganz verantworten konnte, oder aber mitsamt den Seinen in Not zu geraten. Ich sagte ihm:
Dadurch, dass Sie Ihr Geschäft aus sittlichen Gründen aufgeben, machen Sie die Welt nicht besser, entziehen Ihrem Berufskreise bloß einen anständigen Menschen. Dadurch, dass Sie verhungern, wo dies nicht nötig ist, versündigen Sie sich an Deutschland, das heute mehr denn je früher wirtschaftlich kräftige Existenzen braucht. Sie sollten die Frage anders stellen. Meditieren Sie täglich, was an Ihrem Handeln unzweifelhaft schuldhaft ist, täuschen Sie sich ja nichts Beschwichtigendes vor. Dann aber nehmen Sie die Schuld freudig auf sich und arbeiten Sie weiter: Sie werden finden, dass Ihnen aus dem freudigen Tragen der Schuld neue Kräfte erwachsen; Sie werden zu einem anderen Menschen werden. Dieses aber wird unmerklich dahin führen, dass Sie immer weniger zweifelhafte Inserate aufzunehmen brauchen, zuletzt gar keine mehr, weil sich Ihre Kundschaft immer bessern wird. Nach Jahr und Tag werden Sie in der Lage sein, mit ökonomischer Macht versehen, in Ihren Kreisen edlerer Gesinnung zum Sieg zu verhelfen.
So allein ist das Schuldproblem zu lösen, welches sich jedem stellt, der diese Erde bewohnt. Dieses Leben ist unabänderlich tragisch. Unversöhnbar ist der Widerstreit zwischen dem Gesetz der Natur, in welcher ein Wesen notwendig auf Kosten anderer lebt, und dem des Geistes, welches geben ohne Wieder-nehmen-wollen verlangt. Noch keiner hat ihn hienieden überwunden, noch wird es je einer tun; wer ganz Gott leben will, um der Sünde zu entgehen, muss Pflichten Menschen gegenüber erst recht verleugnen, welche keinesfalls hinwegzudisputieren sind. Die meisten helfen sich da mit Vogelstraußpolitik. Die sogenannten Schlimmsten leugnen das Gesetz des Geists, die sogenannten Besten verhehlen sich die Wahrheit. Diese konstruieren sich eine Theorie, gemäß welcher alles, wie es ist, zum besten erscheint; vermittelst ihrer verdrängen sie alle unangenehmen Eindrücke und Gedanken; ihr Schuldgefühl ersticken sie durch Idealismus. Aber solcher Idealismus bedeutet selten anderes als Angst davor, sich die Wahrheit einzugestehen. Niemand stehe ich daher von Hause aus misstrauischer gegenüber, als dessen lauten Bekennern; jeder eingestandenermaßen Selbstsüchtige ist dem Heile näher, denn er hat wenigstens den Mut zur Wahrheit. Gerade diesen hat kaum ein Idealist. Deshalb wirft ein solcher so gern, falls er sich den Tatsachen nicht verschließen kann, wie zumal im alten Russland üblich, wo Fürsten und Fürstinnen mit Vorliebe ins Volk
gingen, seine schuldbehaftete Tätigkeit fort und entzieht sich damit der Verantwortung. Aber auf diesem Wege macht man die Welt nicht besser, wird man selbst nicht tiefer.
Unter allen Umständen trägt jeder mit an aller Schuld, wie Dostojewskys Starez Sossima lehrte. Und Christus bewies die Echtheit seiner Berufung durch nichts so sehr, wie dass er nicht allein seine Schuld, sondern die aller auf sich nehmen wollte. Nur mit dem, was man sich eingesteht, was man auf sich nimmt, wird man innerlich fertig. Deshalb trägt der höhere Mensch seine Schuld, wie Atlas den Himmel, und will sie gar nicht abschütteln. Indem er aber also das Schicksal auf sich nimmt, überwindet er es. Sein Bewusstsein fasst Wurzel im Metaphysischen, dessen empirische Ausdrucksmittel werden transparent. So wird das schuldige Dasein zuletzt zum Ausdruck reinen Segens. Man muss eben alle Verantwortung selber tragen: dies ist der einzige Weg für jeden Einzelnen wie für die ganze Menschheit, um wesentlich weiterzukommen. — Dies zu lehren, am praktischen Beispiel zu erweisen, ist, wie gesagt, der Schule der Weisheit zweitwichtigster Beruf. Indem sie nun aber also vollkommene Selbstbestimmung und Verantwortung lehrt, setzt sie nur den Weg fort, den die westliche Menschheit von Sokrates ab geschritten ist. Dessen Impuls zielte auf geistige Klarheit ab. Diese kann nie groß genug werden. Wir müssen alles Wirkliche verstehen, denn dadurch allein werden wir zu dessen Herren. Die Klärung darf auf ihrer Ebene vor gar nichts Halt machen, auch keinem sogenannten Mysterium, denn nichts ist insofern Geheimnis, dass es nicht gedeutet werden dürfte (S. 280).
Wenn etwas dunkel oder verborgen bleiben muss, so ist eben der Sinn dieser Notwendigkeit aufzuklären, gleichwie die Ratio allein dem Irrationalen seinen rechtmäßigen Ort anweist. Und wenn ein Wirkliches in oder außer uns furchtbar und beängstigend scheint, so müssen wir es desto heller belichten, denn nur Verstandenem und Eingestandenem unterliegen wir nicht. Aber die wachsende Klarheit verlangt allerdings entsprechend wachsende Kraft und wachsenden Mut, um ertragen zu werden: so mündet des Sokrates Impuls von selbst in jenen anderen ein, der ursprünglich schon von Christus ausgeht, aber erst während der Renaissancezeit die Bestimmung erfuhr, welche ihn heute kennzeichnet und ihn zum leitenden des Westens gemacht hat: den Impuls zur schlechthinnigen Selbstverantwortung. Dessen repräsentativster Träger bisher ist Luther. Er ist es, obgleich das, was er als Ziel erstrebte, vom Calvinismus wohl besser erreicht worden ist als durch das Luthertum, denn Luthers Einstellung ist der eigentliche λόγος σπεϱματιϰὸς alles reformierten Christentums, und auf die Einstellung kommt, wie wir wissen, alles an.
Diese Einstellung verlangt, noch einmal, schlechthinnige Selbstverantwortung. Alle Rückversicherungen sind nach Möglichkeit abzubauen. Luther und auch Calvin ist dies in vollem Maße nicht gelungen. Beide rückversicherten sich schließlich doch in Gottes Willen. Aber ihr sehr leibhaftiger Gott war schließlich nur ihr hinausprojiziertes eigenes tiefstes Selbst; ihr Gottvertrauen bedeutete deshalb Selbstvertrauen, wie das Bild des Puritaners am eindeutigsten erweist. Es ist eine typische Vorstufe der Selbstverwirklichung, dass das tiefste Selbst einem als geistiger Führer
erscheint, mit dem man sich nicht identisch fühlt. Heute gilt es volle, kompromisslose Selbstverwirklichung. Wir nun tun den nächst fälligen Schritt, zugleich den ersten über das Erreichnis der Reformation hinaus — denn was seither an Fortschritt stattfand, gilt nur für das Gebiet des Intellekts —, indem wir volle Klarheit, volle Aufrichtigkeit fordern und letzte Selbstverantwortung. Bei anderer Gelegenheit habe ich einmal gesagt, dass Ansichten-Haben unmoralisch sei1. Auf unserer Eröffnungstagung setzte ich des breiteren auseinander, wie Verantwortung von selbst zur Einsicht führt (S. 194): die heutige Betrachtung schließt diesen Kreis.
Beschieden sich die Menschen nicht mehr bei mechanischer Pflichterfüllung, die Entscheidung darüber anderen überlassend, ob die jeweilige Pflicht dem Ideal entsprechend sei, wäre es selbstverständlich, dass, was immer durch Menschen geschieht, aus schlechthinniger persönlicher Überzeugung geschehen muss, dann würde die Welt bald in einem Grad verändert sein, den kein Utopist sich je nur träumen ließ. In der Region der Ursachen
entsprechen den ungeheuersten Wirkungen
nämlich ganz geringfügige Verschiebungen. So seltsam es klinge: es bedarf wirklich keines anderen, als des Siegs der hier vertretenen Einstellung, deren begrifflicher Ausdruck, wie ich ihn zuletzt fasste, nicht einmal neu ist, welche ungezählte Einzelne von jeher vertreten haben, um eine ideale Welt zu begründen. Siegt sie, dann wird zunächst die soziale Frage gelöst sein, insofern sie sich in ihrer heutigen Artung nicht mehr stellen kann. Unter lauter Herren gibt es keine soziale Frage. Würden alle nun innerlich souverän, und das kann geschehen, denn es ist eine Frage der inneren Bildung, nicht der äußeren, dann gäbe es bald keine Knechte mehr, und ein dem Inneren entsprechender äußerer Zustand ließe nicht lange auf sich warten. Umgekehrt ist, wo die Menschen als Knechte gesinnt sind, kein Freiheitsideal realisierbar. Die Lösung der sozialen Frage hängt also unmittelbar von der inneren Umstellung, Vertiefung und Neuenergisierung ab, welche die Schule der Weisheit vertritt. Diese braucht sich um jene bewusst überhaupt nicht zu kümmern und tut es grundsätzlich nicht, denn nur das Schnittpunktproblem (S. 163) geht sie an. Aber setzt ihr Impuls sich nur durch, dann ereignet das entsprechende Empirische sich von selbst. Rein sachlich, dem Inhalte nach, ist, wie ich schon oft betont habe, an der Erscheinung des Lebens sehr wenig zu ändern; bis zum jüngsten Tage wird es wohl beim alten Alphabete bleiben, denn die meisten bekannten Gestaltungen bedeuten Bedingungen des Daseins der Natur.
Man kann die Selbstsucht nicht aus der Welt vertreiben, denn geschähe dies, dann wäre unser Geschlecht bald ausgestorben. Man kann den Besitz nicht abschaffen, denn er entspricht einem Urtriebe des Menschenwesens; wo solches dennoch geschieht, dort stellt er sich auf Umwegen alsbald wieder her, und diese demoralisieren mehr als alle Ungerechtigkeiten überkommener Verteilung. Man kann die Unterschiede zwischen den Menschen nicht fortdekretieren, denn sie sind einmal da. Wird eine Hierarchie gestürzt, so tritt nur eine andere an deren Stelle, und künstliche sind immer weniger sinngemäß als natürlich gewordene. Man kann das Geschäftsleben als solches nicht idealisieren, weil der Gewinn zu dessen Wesen gehört, und seine besondere Ästhetik entspricht offenbar dem letzten Sinn der Welt, denn wer jener zuwiderhandelt, der verbessert nicht ihren Zustand, sondern verschlimmert ihn; keine Bauernschaft des revolutionierten Russland erwies sich als schlechter, als die des alles verschenkenden Tolstoi. Man muss schon sehr weit sein, um Geschenke annehmen zu dürfen; deshalb war es in Indien das Privileg des Brahmanen, im mittelalterlichen Europa das der Mönche, von Gaben zu leben, die keine Gegenleistung heischten. Wer immer so weit nicht ist, unterliegt einem Naturgesetz, das dem physikalischen von der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung verwandt ist und das man das Gesetz des Ausgleichs heißen mag2; dieses statuiert dass, wer immer nimmt, ohne entsprechend zu zahlen, an seiner Seele Schaden leidet; es statuiert, umgekehrt, die bekannte steigernde Wirkung wohlerworbenen Besitzes. Und hier hielten wir zugleich den wahren Fehler des kapitalistischen Zeitalters. Dieser bestand nicht in dessen Technik als solcher: er lag in der Gesinnung, welche die an sich berechtigte Technik betrieb, welche Gesinnung im Glauben an ein subjektives Recht seinen vielleicht besten Begriffsausdruck findet3.
Der Kapitalismus wähnte, ganz im Geist des vorhin Beanstandeten, dass man einnehmen dürfe, ohne entsprechend zu geben, also in diesem Falle, ohne im Geist der Allgemeinheit zu arbeiten proportional der Größe der ökonomischen Macht. Dies darf allerdings nicht sein, und dass solche Gesinnung entsprechende revolutionäre Gegengesinnung hervorrief, ist nicht weiter verwunderlich. Nur sind die praktischen Forderungen dieser ebenso verfehlt wie jene. Deren wichtigste ist wohl die, dass es nur Arbeitseinkommen geben dürfe. Gegen den Sinn
dieser Forderung ist nichts zu sagen, desto mehr gegen dessen Verkörperung. Jener entspricht genau der vorhin aufgestellten, dass man für alles, was man erhält oder hat, entsprechend geben muss. Aber dies braucht doch nicht im Geist der untersten Stufe, derjenigen des Schwarzarbeiters, zu geschehen; damit würde alle Kultur unmöglich gemacht. Im Gegenteil: es muss soviel Privatbesitz wie nur irgend möglich geben, auf dass niemand schließlich sein Leben im bloßen Broterwerbe aufzubrauchen hätte. Das Ideal auf Erden wäre, ohne jeden Zweifel, dass nicht Armut, sondern Reichtum sich von selbst verstände, so dass schließlich jeder, wie die freien Griechen, nur seine höchsten Fähigkeiten auszuleben brauchte. Bringen wir nun alles das, was in diesem Zusammenhang nottut, auf die Formel, die, konsequent befolgt, seine Verwirklichung letztendlich ermöglichen würde, so kommen wir zu keiner anderen als der, dass Besitz nicht aufhören, sondern zur Verantwortung werden muss, womit denn die Lösung des sozial-ökonomischen Problems sich unmittelbar mit dem Sieg des Impulses der Schule der Weisheit zusammenfallend erweist. Fassten alle in der Tat ihren Besitz als reine Verantwortung auf, dann wäre es überflüssig, ihn umzuverteilen oder irgend jemand zu nehmen, denn es wäre völlig gleichgültig, wer ihn hat. Dieser Zustand herrschte in den besten Zeiten des Mittelalters, herrscht noch heute in den Wüsten Algiers und Marokkos, wo die Marabous allein reich, dafür aber allen Nomaden zu helfen und Zuflucht zu gewähren verpflichtet sind. Damals klagte, dort klagt kaum jemand. Freilich handelt es sich hier um primitive Zustände, welche niemand zurückwünschen kann. Aber nicht zwar Gleiches, wohl aber Gleichsinniges muss auch bei uns werden. Erst dann, wenn die Erkenntnis, dass aller Besitz Verantwortung ist, dass es kein subjektives Recht gibt, dass jeder entsprechend dem, was er empfängt, auch geben muss — dies selbstverständlich nicht in gleicher Münze, sondern seinem Besten entsprechend — zur selbstverständlichen Voraussetzung geworden ist, kann die sozial-ökonomische Frage gelöst werden. Dann wird es aber auch ganz von selbst dazu kommen. Dann werden auch alle Versuche, durch äußere Dekrete, entgegen den Normen der Natur, die Welt zum Paradiese umzugestalten, von selber aufhören.
Sie sehen: im einen Postulat der reinen Selbstbestimmung und -verantwortung, das die Schule der Weisheit vertritt, liegt im Keim die Lösung der meisten praktischen Fragen — und zwar allein in ihm. Ich will dies noch kurz an den anderen vorhin berührten erweisen. Dem Neid, der ihm entsprechen, den Nivellierungssucht ist allein dadurch erfolgreich zu begegnen, dass das noblesse oblige zum Leitmotive aller Menschen wird. Allerdings muss nivelliert werden, nur nicht nach unten, sondern nach oben zu. Die selbstverständliche Eigenliebe jedes Menschen muss zum Ausdrucksmittel einer tieferen Gesinnung werden, wie beim Genie von jeher typischerweise geschah, das freilich rücksichtslos sich selber auslebt, doch zu dem Ende, um der Menschheit sein Höchstes geben zu können. Die Selbstsucht soll also gar nicht aufgehoben — sie soll zum Ausdrucksmittel eines tieferen Sinnes werden. Hier wären wir denn zu unserem Hauptleitmotiv zurückgelangt. Nicht auf das was
, sondern das wer
kommt es letztlich an. Vom wer
allein her lösen sich die brennendsten Fragen. Gewiss sind sie auch so nicht schnell zu lösen: in jedem kleinen wenn
der vorhergehenden Gedankengänge liegen praktisch Jahrhunderte erbitterter Kämpfe beschlossen. Aber die sind keinesfalls zu umgehen. Es kommt nur darauf an, in welchem Geiste sie geführt werden. So lange die Fortschrittsfreudigen nicht einsehen, worauf es eigentlich ankommt, werden sie umsonst kämpfen. Stellen sie sich hingegen richtig ein, dann ist der Endsieg ihnen gewiss.
1 | Vgl. Politik, Wirtschaft, Weisheit, S. 192. |
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2 | Vgl. hierzu die Betrachtungen Über das Moralische in der Bücherschau des 3. Hefts des Wegs zur Vollendung. |
3 | Genau ausgeführt steht dieser Gedankengang im Vortrag Wirtschaft und Weisheit in Politik, Wirtschaft, Weisheit. — Den Begriff eines objektiven Rechts, dem unstreitig die Zukunft gehört, hat zuerst Leon Duguit in seinem Manuel de Droit constitutionnel (Paris 1918) und dem Buch Les transformations du droit public (Paris 1913) auszugestalten unternommen. Wie weit ihm dies geglückt ist, entzieht sich meiner Beurteilung. |