Schule des Rades
Hermann Keyserling
Schöpferische Erkenntnis
Zur Einführung:Die Kultur des sich-leicht-Machens
Untergang des Abendlandes
Immer häufiger hört man es sagen, dass das Abendland untergeht: der Titel von Spenglers großem Verstandesroman ist allgemach zum Schlagwort geworden. Nicht minder eifrig wird denen nachgesprochen, welche diese Zeit mit derjenigen der Völkerwanderung vergleichen, oder unvermeidliche Barbarisierung prophezeien. So wächst innerhalb der sogenannten Gebildeten ein eigentümliches Bewusstsein heran, das man am treffendsten als das des Rechts zur Pleitestimmung bezeichnen dürfte. Dieses äußert sich weniger im Drang zum carpe diem der Spätantike, die wenigstens tief und voll und groß zu genießen wusste, als in einem vielleicht nie dagewesenen, rein aufs Objekt gerichteten Drang, durchaus zu liquidieren. Es wird der Reichtum ebenso schranken- und zugleich genusslos ausgegeben, wie ihn die Puritaner, des Kapitalismus Väter, angesammelt hatten. Dies aber gilt auf geistigem nicht minder als auf stofflichem Gebiet. — Wieso auf geistigem? — Gar vieles, nur zu vieles von dem, was als Fortschritt beurteilt wird, bedeutet in Wahrheit Liquidierung. Es liquidiert das Abendland geistig insofern, als sein neuester Kulturwille vor allem auf Eines aus ist: es sich leicht zu machen.