Schule des Rades
Hermann Keyserling
Schöpferische Erkenntnis
Zur Einführung:Die Kultur des sich-leicht-Machens
Sklavenarbeit
Unter keinen Umständen soll das Kind überbürdet werden. So viel Berechtigtes und Wahres an dieser Forderung sei — so oft ich sie vernehme, muss ich unwillkürlich an den Unterschied zwischen Neger- und Franzosenkindern denken (ich nenne letztere, weil deren Erbmasse von allen europäischen am meisten Kulturblut birgt). Jene, von Hause aus oft sehr aufgeweckt, ermüden erstaunlich schnell; je älter sie werden, desto weniger darf man ihnen zumuten. Während diese eine ungeheure Materialaufnahme, einen in Europa kaum erhörten Verstandesdrill, eine nahezu chinesische Examensquälerei nicht nur an sich gut vertragen, sondern durch diese Überbürdung kaum Einbuße an Eigenbeweglichkeit und Originalität erleiden. Also kommt es bei der Frage, was man einem Kinde zumuten darf, nicht an letzter Stelle darauf an, welchem Kulturniveau es angehört und was man aus ihm machen will. Die heute herrschende Richtung begünstigt nun entschieden die Entwicklung zum Negertum. Hiervon weist die Kunst schon so manches schöpferische Beispiel auf.
Wenn ein Maler nur traumhafte Bilder nebeneinander stellen kann, so bedeutet dies unter anderem Mangel an Konzentration; die Zwangsverkindung dadaistischer Sitzungen erzielt nicht einzig erhöhte Ursprünglichkeit. Arbeit darf eigentlich nicht mehr zugemutet werden; oder wenn dennoch, dann allein in einem so subalternen Sinn, dass man an die Kopfarbeit des Ochsen erinnert wird. Aus Negern kann man nämlich recht gute Sklaven machen, denn bei Sklavenarbeit ist geistige Initiative nicht im Spiel. Wenn der Staatsmann, der für die Bedingungen des Versailler Friedens am meisten verantwortlich erscheint, im Erledigen der Tagesarbeit an sich schon, völlig unabhängig von deren Erfolg, ein hohes Verdienst sah, und um dieses Verdienstes willen auch heute noch gelobt wird, obschon er einen zu haltenden Posten nach dem anderen aufgab (die Tagesarbeit musste doch erledigt
werden — gaben die Gegner nicht nach, so musste ich es tun! mochte er urteilen), so beweist dies, dass man im allerneuesten Deutschland die Arbeit nur als Sklavenarbeit ganz versteht. Die aber setzt keine eigentlich geistige Anspannung voraus. — Wenn ich als Kind Fragen stellte, beantwortete mein Vater grundsätzlich jede nur ein Mal. Das zweite schon musste ich die Antwort entweder aus der Erinnerung hervorsuchen oder selbsttätig wiederfinden können. Wenn’s aber nur irgend anging, so ließ er mich den Tatbestand von vornherein selbst entdecken. Und früh lernte ich dankbar anerkennen, welchen Segen solches Schwermachen bedingt. Alles spätere verdanke ich steigenden Ansprüchen an mich selbst. Deshalb ist es mir ganz unmöglich, den Glauben zu übernehmen, dass irgend ein echter Fortschritt vom Sich’s-leicht-Machen herrühren kann.