Schule des Rades

Hermann Keyserling

Südamerikanische Meditationen

X. Die Traurigkeit der Kreatur

Geist und Mut

Meine Reise nach Südamerika war für mich ein Abstieg in die Unterwelt. Doch da ich vom Geiste her kam, so diente die Finsternis, in der ich mich verfing, letztendlich der Klärung. Einer der ersten Erfolge, die ich bemerkte, war das Aufhören der Todesfurcht. Mehr als die meisten hatte sie mich Jahrzehnte lang bedrängt. Wie mir nun meine Untergründe bewusst wurden, hörte sie auf: das erkannte und anerkannte Irdische in mir brauchte nicht mehr um seine Existenz zu kämpfen, Geist aber kennt kein Sterben. Dann aber konnte ich in mir den Ur-Weg des Menschen von der Naturverhaftung zur Geistesfreiheit nacherleben und schließlich nach-denken, und so glaube ich heute zu wissen, wie alles geworden ist. Bei der ersten Dämmerung des Geistes-Tages überflutete Trauer das ganze Menschenwesen. Wie sich der Geist dem Subjekte einbildete und dieses damit persönlich bestimmend ward, verwandelte sich die Traurigkeit in tragisches Lebensgefühl. Als letztes Ziel winkt die Freude.

Die südamerikanische Traurigkeit ist untragisch. Sie ist ein schwebendes Leiden, der reinen Passivität frühesten Lebens gemäß. Die Frage der Überwindung des Leidens stellt sich nicht. Die Ahnung nicht-irdischer oder erd-überlegener Wirklichkeit kann sich auf dieser Stufe nur als ein unbestimmtes Leiden an dem äußern, was man nicht kennt und von dem man doch dunkel fühlt oder ahnt, dass es da sein sollte. Das typische Heilmittel solcher Zuständlichkeit ist die Kunst, vor allem als Tanz, Dichtung und Musik, der man deswegen bei frühesten Menschen begegnet und welche in frühesten Zuständen am meisten bedeutet. Die Kunst entreißt den Menschen seiner leidenden Abgeschlossenheit, indem sie das Innerliche objektiviert und das nur-Persönliche im Versmaß und Takt der größeren tellurischen und kosmischen Rhythmen mitschwingen lässt, oder aber es in der Maske entpersönlicht. Es ist nicht richtig zu sagen, dass solche frühe Kunst Religion sei oder äußere: sie ersetzt Religion. Und weil sie dieselbe nicht durch Oberflächliches, sondern durch Tiefes ersetzt, nämlich geistige Tiefe durch irdische Tiefe, so hat man freilich Ursache, früheste Kunst tief zu finden. Der Künstler ist der sublimierte Erdmensch. Er ist der Anti-Asket, denn er gibt sich ganz seinen Gefühlen, Empfindungen und Stimmungen hin. Dementsprechend waren sehr wenige seiner Gattung je religiös. Ebendeshalb aber bedeutet der Künstler in frühen Zuständen mehr als der Priester. Letzterer ist da der Zauberer und als solcher kein Befreier, kein Erlöser, kein Gnaden-Vermittler, sondern der Mensch, welcher auf andere und unheimlichere Art zu binden weiß, als die Natur. Auf frühester Stufe befreit der Künstler allein. Und das wird immer so bleiben. Was einst vom hellenischen Sänger und nordischen Skalden galt, gilt heute vom argentinischen Payador.

Bricht nun Geist als spirituelle Initiative erstmalig ins Bewusstsein ein, so dass Abreaktion in der Dichtung nicht mehr letztmögliche Lösung ist, dann verwandelt sich das Gefühl der Unseligkeit ohne Ausgang in Bewusstsein von der Tragik des Lebens, welche Heldentat fordert. Die nunmehr bestimmende Haltung ist nicht diejenige des Dulders, sondern die des Kämpfers. Doch das Kämpfen des ersten tragischen Kämpfers ist ein bewusstermaßen Aussichtsloses. Des Lebens Gleichung geht ja nimmer auf. Gana-Artung und Geistforderung widerstreiten sich. Die Kontinuitätsforderung steht unabänderlich Endlichem und Abgeschlossenem gegenüber. Keine Erfüllung ist die, welche Sehnsucht meinte. Was Ur-Hunger selbstverständlich setzt, wie Mord, Raub, Vergewaltigung und Leben auf Kosten fremden Lebens, ist dem Geistbewusstsein problematisch oder ein Greuel. Damit sind Unschuld und gutes Gewissen hin. Allerwegen dräut fortan die Frage der Schuld. Befriedigung kann nicht mehr Ziel sein; ewig und immer erneut stellt sich die strenge Alternative zwischen Größe und Glück. Die Forderungen der Ur-Angst werden als schmählich empfunden, und doch ist sie irdischen Lebens erste Gewähr. Als letztentscheidend wird überall der Sinn geahnt, und dennoch siegt der Unsinn immer wieder, dennoch wird der irdische Endsieg immer wieder ihm zuteil; denn Vernichtung des Wertvollen und als Wert Behaupteten, welche der Tod als unentrinnbares Geschick setzt, ist der Widersinn selbst. Dem Freiheitsbewusstsein setzt Naturgegebenheit eine unüberschreitbare Grenze. So folgt auf den Zustand der Traurigkeit ohne Ausgang derjenige der Tragik ohne Ausgang.

Mit dem Bewusstsein der letzteren begann die Emanzipation des Mannes auf Erden; mit seinem Herrschend-Werden begann seine Wesensart diejenige des Ur-Lebens, welche das Weib verkörpert, zu überschichten. Sein wesentlich Kriegerisches rührt nicht daher, dass im Manne der Ur-Hunger anstatt der Ur-Angst vorherrscht; sonst müssten auch die Tiermännchen kriegerisch sein, welches sogar von den Raubtieren nicht gilt. Das Kriegerische des Mannes bedeutet ja-Sagen zur Tragik des Lebens. Und so ist es seine Geistbestimmtheit, nicht seine physische Kraft, welche den Mann fortan so sehr die erste Rolle spielen ließ, dass wir allein von Männergeschichte wissen; es kann in der Natur Männergeschichte geben, denn nur die männliche Lebensmodalität fordert Dynamik, Fortschritt und Aufstieg. Was wir hier theoretisch behaupten, bestätigt alle Geschichte. Mit dem Bewusstsein vom Nicht-Aufgehen der Gleichung des Lebens setzten gleichzeitig der Patriarchalismus und die geistige Laufbahn der Hellenen ein. Tief erdverhaftet, entrangen sie sich in heroischem Drang dem Gesetz der Erde, deren Nabelschnur bei ihnen jedoch bis zur Sophistenzeit nicht abriss; sogar den späten Griechen blieb Herakles Ur-Sinnbild von Menschenschicksal. Der dunkle und dumpfe Unterton der Moira, welche stärker als die Götter selber war, klang noch in ihren Dithyramben nach. Tragisch empfanden die Arier der Rigvedazeit, so sehr schon bei diesen frühesten Indern das Licht des Geists alle Erd-Problematik im Bewusstsein abblendete. Durch und durch tragisch war die Lehre Zarathustras. Tragisches Lebensgefühl bedeutet zutiefst die Urreligion der nordischen Germanen, welche so gänzlich unintellektuell und amoralisch war. Sie trieb zum Ja-Sagen gegenüber Unbekanntem, zum Selbstopfer ohne klare Vorstellung; noch heute bricht dieses Ur-Gefühl bei Deutschen wieder und wieder durch und äußert sich alsdann als schlechthin irrationales sinnloses Heldentum. Doch das Prototyp tragischen Lebensgefühls verkörpern die Spanier. Sie sind in ihrer ganzen Einstellung erdzugekehrt. Ihnen fehlte und fehlt die plastische Gabe, welche Erlösung in der Kunst ermöglicht. Ihnen fehlte und fehlt auch die Anlage zu entwirklichender Theorie. So musste sich ihr Geist-Erleben in blindester Unbefangenheit äußern, ohne Selbstschonung, ohne jegliche Vertuschung unlöslichen Widerstreits, und ohne Vertröstung auf ein Jenseits irgendwelcher Art. Aus diesem tragischsten aller tragischen Lebensgefühle heraus ist denn die grandiose Gestalt Don Quixotes erwachsen. Das Vorbild des Menschen, der schlechterdings unbeirrbar von innen heraus lebt, seinem eigenen Gesetze treu. Des Menschen, welcher allein und einsam gegen das Weltall kämpft und insofern den Mut zur letzten Lächerlichkeit hat. Der verrückt erklärt stirbt und doch im tiefsten Recht behält.

Mit tragischem Lebensgefühl hat jede Geistigkeit angehoben, die sich der Erde entrang und nicht als Offenbarung und Geschenk vom Himmel den Menschen überkam. Wissen wenige mehr darum, so liegt das daran, dass wir nur späte oder rückgebildete Zustände kennen und dass Urgefühle von modernen Voraussetzungen aus nicht zu verstehen sind. Von einem bald erreichten Grade der Geistbestimmtheit an hört nämlich echt tragisches Lebensgefühl naturnotwendig zu bestehen auf; sei es, weil es real unmöglich wird, sei es, weil Überbauten und Schutzvorrichtungen es dem Bewusstsein unzugänglich machen. Bei reiner Geistbestimmtheit kann es überhaupt keine Tragik geben, denn Geistbestimmtheit verwandelt sämtliche Konflikte in Mittel zur Sinnesverwirklichung, gleichwie es die gespannten Saiten sind, welche Musik ermöglichen. So wird der Charakter des Menschenlebens untragischer proportional seiner Begeistung. Es ist lächerlich, des Sokrates Schicksal tragisch zu heißen: frei und lächelnd nahm er den Tod hin, da er erkannt hatte, dass Sterben zu dieser Stunde dem Sinn seines Lebens entsprach. Jesu Schicksal war tragisch nur während der zwei kurzen Spannen, da er, in Gethsemane und am Kreuz, an seiner Sendung zweifelte. Tragik steht und fällt mit dem primären und bestimmenden Bewusstsein der unlöslichen Spannung zwischen Erdgesetz und Geistforderung. Dementsprechend weiß auch keine objektivierte Geistreligion von einer Tragik des Lebens. Dem späteren Indien galt die Natur als Maya — damit war alle Erdspannung entwirklicht. Dem frühen Christentum, in Russland heute noch lebendig, galten Tod und Leid schon jetzt als überwunden, da jeder Christi Auferstehung für sich realisieren konnte. Aus anderer Konstellation heraus gab es auch für den Chinesen der großen Zeiten keine Tragik; dieser erlebte Natur und Geist, dank eigentümlicher Einstellung auf die Mitte zwischen beiden, als einheitlichen Zusammenhang und richtete sich mit supremer Lebenskunst in diesem wohnlich ein; jeden Drang über ihn hinaus schnitt er dadurch ab, dass er unbeantwortbare Fragen nicht stellte und unlösbare Konflikte nicht ernst nahm.1 Doch überall, wo Geist in seinem schöpferischen Aspekte später bestimmte, ging eine Zeit tragischen Lebensgefühls voran. Die Überlieferung aller frühesten Zustände ist deshalb Heldengeschichte, und jede Heldenwelt ist eine tragische Welt par définition. Dieser Zeit wiederum ging aber allüberall eine Zeit bestimmender Traurigkeit voran, so wie sie heute Südamerika beherrscht.

Von hier aus verstehen wir, warum Geistigkeit nirgends mit Erkenntnisstreben angehoben hat. Intelligenz ist irdisches Lebensmittel, wie jede andere lebenserhaltende und -fördernde Funktion. Der Haut brasilianischer Frösche und Kröten eignen Fähigkeiten, welche die Möglichkeiten genialster Gehirnerfindung übertreffen. Die Organe der Tiefseefische stellen in Form lebendiger Organe Gleiches oder Ähnliches dar, wie viele der höchsten und subtilsten Errungenschaften der Technik. Es ist grundverkehrt, den erdzugekehrten Verstand als ein von anderen Mitteln, welche das Leben erfand, um sich zu behaupten, dem Wesen nach Verschiedenes zu beurteilen. Was nun das Verstehen betrifft, so bedeutet es ursprünglich vitale Entsprechung überhaupt; es ist gleichfalls kein wesentlich Geistiges. Wohl kann es Höchstausdruck der Geistbestimmtheit werden, doch ein früher Ausdruck ihrer kann es schon darum nicht sein, weil es passiver Artung ist und deshalb über die Naturbestimmtheit praktisch nicht hinausführt. Wer da nach Wahrheit um der Wahrheit willen strebt, lebt freilich aus dem Geist. Doch dieses Problem konnte sich nicht früher stellen, als bis eine hohe Stufe der Durchgeistigung erreicht war. Solang Erkenntnis dem Leben dient, und nicht das Leben der Wahrheit, handelt es sich bei allem Wissen und Wissen-Wollen um nur-Biologisches.

Nachdem ich das Vorurteil der Auffassung, dass Geist ursprünglich Erkenntnis-Geist ist, als Vorurteil erkannt hatte, wurde mir zum Problem, wie es überhaupt zu jener Gleichung hatte kommen können. Auf dem Hintergrunde des Gebots der Lüge, welche die brasilianische Delicadeza setzt, wurde mir auch dieses klar. Sokrates erwuchs dadurch zum Vater der Wissenschaft, dass er den Verstand verantwortlich machte; damit setzte er das Primat des Logos gegenüber dem Leben. Doch die Wahrheitskultur, wie sie heute in Europa und Nordamerika herrscht, und die man besser Aufrichtigkeitskultur heißen Sollte, wäre aus Sokratischem Geiste nimmer erblüht. Sie ist das Kind des Rittergelübdes, welches jedem, der da als vollwertiger Mensch gelten wollte, vorschrieb, sein gegebenes Wort zu halten und für jede Äußerung mit seinem Leben einzustehen. Damit war die Lüge entwertet. Wagte es Wissenschaft später, über alle Grenzen hinauszustreben, so lag dies in physiologischein Zusammenhang daran, dass alle Delicadeza-Motive zurückgedrängt wurden durch das Gebot, unter allen Umständen, und koste es das Leben, der eigenen Überzeugung treu zu sein. Wie mir das einfiel, da übersah ich den ganzen Zusammenhang. Wohl wäre es nicht richtig, zu behaupten, dass das Problem des Geistes sich zuvörderst praktisch, nicht theoretisch stellt. Dies aber nicht deswegen, weil die Praxis der Theorie etwa nicht vorangegangen wäre, sondern deshalb, weil Geist zu aller erst ebenso problemlos da war und wirkte, wie alle übrige Wirklichkeit. Der Urausdruck des Geistes war die reine und unbefangene initiatorische Selbstbehauptung und Selbst-Durchsetzung dessen im Menschen, was nicht der Gana-Sphäre angehört. Dies aber ist der Mut.

Den Urausdruck persönlicher Bestimmtheit im Gegensatz zur Gana-Bindung mag man, in der Tat, den Ur-Mut heißen. Der Ur-Mut ist der Ur-Überwinder der Ur-Angst. Er ist der Meisterer des Ur-Hungers. Er zuerst hebt das Leben von der Ebene der Ur-Passivität auf die der persönlichen Initiative herauf. Mut ist das Unnatürliche schlechthin. Mut ist das schlechthin Unsinnige vom Standpunkt der Ur-Angst, denn diese fordert Sicherung des Lebens um jeden Preis, nicht Aussetzung der Gefahr. Mut fällt aber auch nie mit Ur-Hunger zusammen, denn sein ganzer Sinn ist Meisterung des Triebhaften. Selbstbeherrschung im Gegensatz zur self-indulgence ist sein Wesen. Im übrigen aber ist Mut etwas Reales und Positives im substantiellen Verstand. Nichts wirkt unmittelbarer auf alle Kreatur als er. Sein Eingreifen verschiebt alle vorherbestehenden Zusammenhänge, gibt allem Geschehen neuen Sinn und neue Richtung. Insofern ist Mut die magische Kraft par excellence. Und insofern diese nur persönlich durch ein Subjekt wirkt und mit dessen Dasein steht und fällt, ist Mut das Urbild geistiger Kraft überhaupt. Auch hier erweist die Sprache sich als wissender, denn alle spätere Philosophie. Das lateinische Wort animus z. B. bedeutet zugleich Geist und Mut. Das vieltausendjährige Missverständnis, an welchem wir heute so sehr kranken, dass manche die Rettung direkt von der Verleugnung des Geists erwarten, hat seine Hauptursache darin, dass Denker zuerst das Problem des Geistes stellten und die Anschauung der Mut-Verkörperer ihnen, den Kühlen und Bedächtigen, die Deutung nahelegte, dass jene Leidenschafts-Besessene seien. Einzig die Inder unter allen Völkern, deren Tradition noch lebendig fortlebt, sie, denen Wissen nicht Wahrnehmung, sondern Inne-Werden2 bedeutete, verfielen nicht dem Vorurteil des Intellekts. Geist war ihnen ein Zuständliches, dem es zur Vorherrschaft im Gesamt­organismus zu verhelfen galt. Dies nun gelänge, so meinten sie, nur mittels der Yoga, der Meisterung aller psychischen Kräfte. Yoga nun setzt Initiative und Konsequenz voraus, ja sie ist nichts anderes. Im Land der Yogis par excellence, in Tibet, wird denn Kasteiung zwecks Erlangung höherer Kräfte geradezu als edelster und gefährlichster aller Sports betrieben.3 Im übrigen ist es nicht zu verwundern, dass nur wenige Völker das Ur-Wesen des Geistes richtig erfasst haben: eben weil dieses Ur-Wesen der Mut ist, waren die geistigsten Menschen in der Regel keine Denker. Sie waren Tatmenschen und verwirklichten unbefangen Geist, ohne sich um Theorie zu kümmern. Mut aber ist das Entscheidende auch beim im intellektuellen Verstande Geistigsten: genau soviel, als ein Mensch innerlich riskiert, genau soviel Überwindung des natürlichen Gefälles seiner Psyche er aufbringt, so viel fällt ihm ein. Nicht anders deutet das Christentum genau richtig das Verhältnis von Verdienst und Gnade. Und als Mut kann sich Geist andererseits schon dort äußern, wo Vorstellungsvermögen kaum vorhanden und klare Zielsetzung physiologisch ausgeschlossen ist. Deswegen ist Mut unter allen Menschen dieser Erde die frühest gepriesene Tugend gewesen. Dies ist auch der Sinn des besonderen Mutkults der von Hause aus passiven und aus Empfindlichkeit zurückhaltenden Argentinier. Das reine von-innen-heraus des Muts, sein trotzdem! gegenüber aller natürlichen Übermacht bedeutet, die Ur-Behauptung einer Wirklichkeit, welche nicht der Welt der Trägheit angehört. Wie mir dies ganz klar ward, da gewann mir die Geschichte einen neuen Sinn. Nicht tierische Wildheit war es, welche den Krieg zum Vater der historischen Dinge machte, sondern im Gegenteil der Wille zur Bändigung des Tiers. Mut setzt von sich aus die Technik der Disziplin. Und weil Völker- und Selbstüberwinder als Asketen einer Artung waren, weiß die früheste Menschheitserinnerung überall von gleichzeitig! wirkenden Königen und Heiligen. Diese Geistesverkörperer gab es schon dazumal, als alles Wissen und Verstehen noch Spezialität des feigen und verlogenen Zwerges war.

1 Die beste mir bekannte Darstellung dieser entscheidend wichtigen Seite des Chinesentums enthält der Vortrag Leonie von Ungern-Sternbergs Chinesische Heiterkeit, den sie auf der Tagung der Schule der Weisheit vom April 1930 hielt. Abgedruckt in der Neuen Schweizer Rundschau vom Juli 1931.
2 Diese Unterscheidung übernehme ich aus Heinrich Zimmers Ewiges Indien, Potsdam 1931, Müller & Kiepenheuer Verlag. Dieses kleine Buch empfehle ich als die konzentrierteste und verstehendste Darstellung der besonderen Voraussetzungen der indischen Weisheit, die mir begegnet ist.
3 Man lese die hochinteressanten Bücher von Alexandra David-Néel Initiations Lamaiques, Paris 1930, Editions Adyar und Mystiques et Magiciens du Thibet, Paris 1929, Plon. Es sind die meines Wissens bisher aufschlussreichsten Bücher über praktische Yoga.
Hermann Keyserling
Südamerikanische Meditationen · 1932
X. Die Traurigkeit der Kreatur
© 1998- Schule des Rades
HOMEPALME