Schule des Rades
Hermann Keyserling
Politik, Wirtschaft, Weisheit
Anhang zu Deutschlands wahre politische Mission
Antwort auf eine Rundfrage über Weltfriede,
die kulturelle Bedeutung der Massen und
die erforderliche Änderung in der Lebenshaltung
Der Weltfriede ist ein höchstes Ideal, und zum Wesen aller höchsten gehört es, dass sie nie ganz erreicht werden können. Jedoch liegt es in unserer Macht, uns ihnen langsam, aber unaufhaltsam zu nähern. Wie weit die Menschheit darin kommt, hängt von der einsichtsvollen Arbeit an sich selbst ihrer einzelnen Glieder ab. Programme als solche sind vollkommen machtlos. Heute stehen wir dem Weltfrieden ferner denn je, weil das Niveau der Menschen besonders tief gesunken ist und besonders wenig Verständnis dafür besteht, dass der Fortschritt von keinerlei Äußerlichkeiten, sondern einzig vom Zustande der Menschen abhängt.
Die Massen als solche besitzen in meinen Augen weder politisch konstruktive noch kulturbildende Kraft, aus dem einfachen Grunde, weil jede Kollektivität eine äußerliche Zusammenfassung bedeutet und bei der Akzentverlegung auf die Zahl das Innerliche an Bedeutsamkeit einbüßt. Freilich können Massen Träger von Idealen sein. Aber ihre Bedeutung erschöpft sich auch dann in der äußeren Machtmenge, die sie den Idealen zuführen.
Die erforderliche Änderung in der Lebenshaltung erblicke ich darin, dass der Bedeutsamkeitsakzent auf das Qualitative einerseits, und auf die persönliche Verantwortung des Einzelnen andererseits verlegt werden muss. Nur wenn Qualität letztlich entscheidet, kann Kultur gedeihen oder neu aufblühen. Und nur wenn jeder Einzelne erkennt, dass es in allem auf ihn ankommt, seine freiverantwortliche Entscheidung im Licht höchstmöglicher Einsicht, kann aus der Verflachung dieser Zeit ein neues, tieferes Menschentum erwachsen.