Schule des Rades
Hermann Keyserling
Reise durch die Zeit
II. Abenteuer der Seele
II. Roman von Ungern-Sternberg - Gleichgültigkeit
Anfangs erzählte ich, dass ich in meinem Leben nur ganz wenigen wirklich bösen Menschen begegnet wäre, und versprach über diese später mehr zu sagen. Wer das Vorhergehende aufmerksam las, wird schon erraten haben, dass es gespaltene Menschen waren, die sich für das Böse in sich entschieden hatten. Wie aber waren sie sonst? Nun, es waren sehr überlegene, sehr kluge, meist sehr höfliche Menschen von absolut unbestechlicher Sachlichkeit. Nichts Persönliches ergriff sie. Sie standen über jedem Skrupel, jeder Schwäche. Da sie sehr klug waren, taten sie nie erweisbar Böses. Sie wurden sogar von vielen als besonders gut verehrt, denn immer berücksichtigten sie, in dem was sie sichtbar taten und zu sein schienen, jedes geltende Vorurteil. Ihr Grundzug nun aber war Kälte, eisige Kälte. Ich wüßte wenige groteskere Missverständnisse als dies, die Hölle ausgerechnet heiß vorzustellen. Wo immer es Glut gibt, besteht Einschmelzungs- und damit Verwandlungsmöglichkeit. Wo immer Leidenschaft herrscht, und sei es die zerstörerischeste, kann das Destruktive jäh in Konstruktives umschlagen, ganz abgesehen davon, dass das Zerstören unmittelbar zum Schöpfungsprozess gehört. Die Temperatur des Teufels und seines Reiches kann darum nur die der absoluten Kälte sein. Dieser unmenschlichen Kälte hatten sich, soweit dies menschenmöglich ist, die Unerkannten, welche ich meine, verschrieben.
Von hier aus sieht man denn, wer die dem Bösen ursprünglich zuneigenden Menschen sind. Es sind die Gleichgültigen, und zwar alle Gleichgültigen, die sich in jeder Situation, welche Phantasie des Herzens zur Betätigung aufrufen könnte, selbstgerecht salvieren mit der Bemerkung: Das geht mich nichts an!
Selbstverständlich geht jeden alles an, wie inopportun es sei, sich außer in Ausnahmefällen in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Dem Bösen verschrieben sind ferner alle, welche anderen nichts gönnen; die es nicht selbstverständlich finden, generös zu sein, nicht selbstverständlich einen Umweg machen, wo sie Freude bereiten können. Wo sie Freude bereiten können: darauf kommt es hier an. Deshalb bedeutet schon Vorenthalten eines wohltuenden Wortes Böses, von Wiederholen des Gehässigen zu schweigen. Dem absolut Bösen neigen denn alle Kalten, alle Kühlen zu. Auf Wärme kommt es tausend Mal mehr an, als auf nachweisliches Gutes-tun. Man vergesse nie: die Temperatur der Hölle ist die der absoluten Kälte. Und hierbei bedenke man, dass die Entropie der Welt einem Maximum zustrebt. Der Prozess des Erkaltens ist irreversibel. Es gibt wirklich den Kältetod. Und kein Phönix steigt aus dem Eise wieder auf. So kann die Welt bei genügender Gleichgültigkeit tatsächlich des Teufels werden1.
1 | Vollendet Schönhausen, 12. 3. 1940, endgültiges mise au point Schönhausen, 26. 3. 1941, zu allerletzt druckfertig geschrieben Aurach, 23. 11. 1943 |
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