Schule des Rades
Hermann Keyserling
Reise durch die Zeit
III. Wandel der Reiche
IV. Polverschiebungen - Neuaufbau
Der Mann braucht einen Lebensrahmen, wie ihn die kollektivierte Welt überhaupt nicht bieten kann, denn Kollektivierung steht und fällt mit der Verunmöglichung aller Abgeschiedenheit. Aber alles lässt sich doch nicht veröffentlichen, und behält ein Paar nur ein Zimmer für sich allein, so kann dies gerade wegen der Beschränkung des privaten Lebensraumes eine Vertiefung des intimen Lebens ergeben. So mag sich denn die erfolgte Schwächung des Mannes, vom Standpunkt des Lebensganzen, wie gleiches so oft geschehen ist, als blessing in disguise erweisen. Der vital geschwächte Mann zuerst wird die Sehnsucht der Frau nach Geist realisieren und die erfüllende Antwort auf sie finden. Diese zu verbreiten aber wird Frauensache sein, wie es auch zu Beginn des Christentums war. Von jeher waren physisch geschwächte Medien für die Rezeption reinen Geistes am empfänglichsten. Im übrigen aber ist keine Schwächung ein dauerhaftes Verhängnis, wo ein Teil des Menschentums unentartet blieb. Da kann schon die folgende Generation ganz anders ausschauen, als die gegenwärtige. — Ich wiederhole hier noch einmal und sehr eindringlich, was ich schon früher schrieb. Unmöglich kann der Neuaufbau auf dem Wege der Fortsetzung der selben Lebensrichtung erfolgen, die das gegenwärtige Zerstörungswerk gezeitigt hat: nur aus einer anderen Richtung, von anderen Voraussetzungen her kann er erfolgen. Von der Seele her und auf die Seele, nicht die Maschine hin, vom Geist und nicht von der Materie her und auf den Geist und nicht die Materie hin; von der Achtung des Lebens und nicht von dessen nicht-Achtung, von der Höher-Wertung des Persönlichen gegenüber allem Sachlichen her, im Geiste der Liebe und nicht der unpersönlichen Gerechtigkeit, durch Akzentlegung auf das ursprüngliche Sein und nicht auf die Leistung, auf Grund der Ausstrahlung freiwillig anerkannter Autorität, nicht mittels Gewaltanwendung. Diese Prinzipien entsprechen genau den Urinstinkten jeder Frau, obgleich sie reingeistigen Ursprungs sind und ihre Formulierung samt und sonders großen Männern verdanken. Damals und dort, wo patriarchalische Lebensformen matriarchalische ablösten, waren die Pole anders gelagert. Die Frauen jener Zeiten waren schließlich ganz natur-versunken geworden, die Gana herrschte suprem. Da wurde der lange unterdrückte Männergeist zum Lichtbringer.