Schule des Rades
Hermann Keyserling
Das Spektrum Europas
Schweden
Offenheit
Schwedens Glück bedeutet in der Tat sein historisches Unglück. Seine weitere europäische Aufgabe kann, so weit ich sehe, nur mehr in zweierlei bestehen. Erstens dem Hervorbringen bedeutender Einzelner von internationaler Bedeutung. Für solche besteht in einem politisch neutralisierten Milieu (nota bene: falls sie geboren werden) eine besonders günstige Entstehungs- und Aufstiegsmöglichkeit. So war Alexandrien einmal, waren die Niederlande später lange Zeit die typische Heimat bedeutender Einzelgeister. Der große nichtpolitische Geist braucht vor allem Sicherung; er muss das äußere Leben mit seinen Sorgen möglichst wenig spüren; nichts fördert ihn, im Gegensatz zu allen anderen, weniger als das, was man so ein bewegtes Leben heißt. Archimedes rechnete besonders intensiv, um der Belagerung von Syrakus nicht gewahr zu werden; Hegel schrieb während der Schlacht bei Jena an der Phänomenologie des Geists… — Die zweite europäische Aufgabe, die sich, so weit ich sehe, Schweden stellt, liegt in der Aufkreuzung anderer Völker. Hier kann ich mit den Fanatikern der nordischen Rasse gehen. Wohl fehlt den heutigen Schweden die innere Spannung ganz, welche das Blut der Wikinger belebte. Aber andererseits ist die Spannung zwischen ihrem reinen Nordländertum und der Wesensart der sonstigen Europäer heute so groß, dass die Kreuzung eine produktive Spannung schaffen kann. Man vergisst zu leicht den Aktualitätscharakter des Rassenbegriffs. Was lange auseinander war, ward sich fremd. Deswegen ergibt die Kreuzung von Fürsten- mit niedriggeborenem Blut so oft begabte Bastarde. Eben deshalb erweist sich schon heute die Mischung katholischen und protestantischen Bluts in Deutschland als produktiv. Das schwedische Blut nun ist als verjüngendes Ferment zweifellos eines der besten, wenn nicht das beste Europas; nicht nur im Sinn der Reinheit, sondern auch der seelischen Anlage, die es vererbt. So kann seine Zufuhr ähnlich produktiv wirken, wie einst die Aufkreuzung der Gallo-Romanen, Italiener usw. durch Nordländerblut. Denn das vergaß ich noch zu sagen, oder vielmehr, ich sagte es nicht deutlich genug. Gleich den Engländern, und gewiss in höherem Grade noch als sie, weil ihnen jeder Snobismus fehlt, sind die Schweden ein blutsmäßig vornehmes Volk. Sie sind als solches Blutsadel. Sie sind neidlos, ressentimentfrei, zurückhaltend und offen zugleich. Und zwar offen in einem grundsätzlich anderen Sinn, als die meisten heutigen Deutschen, deren Blut ja leider nicht als an sich
vornehm bezeichnet werden kann. Nur da nämlich, wo Offenheit einerseits Nicht-Verschlagenheit bedeutet und sich doch nie aufdrängt; nur wo sie in Form desto größerer Höflichkeit die Distanz zu anderen wahrt, bedeutet sie Tugend. Der aus Offenheit grobe Deutsche steht ethisch nicht über dem flunkernden Levantiner, so wenig, dass wo immer einer mit dem Satz beginnt: Ich will Ihnen ganz offen sagen
, ich mir zunächst die Frage stelle, ob ich nicht etwa die Reitpeitsche bereit halten soll, nicht etwa, um mich zu wehren, erst recht nicht, um meinerseits anzugreifen, sondern einfach um einen Thersites zu züchtigen. In solche Lage gelangt man in Schweden nie. Innerer Takt, innere Distanz sind nun zweifellos in hohem Grade blutbedingt. Deshalb bedeutet die Zufuhr schwedischen Bluts für alle heutigen Mischvölker — und auf dem europäischen Kontinente gibt es nur mehr solche — einen Segen. Ich sage schwedischen, nicht allgemein-skandinavischen. Die Dänen sind ihrerseits ran Mischvolk; sogar französisches Blut, in so geringen Dosen es eingeflößt wurde, hat bei ihm typenbildend mitgewirkt. Von den heutigen Norwegern aber gilt weit mehr noch als von den Schweden, dass sie völkischen Bodensatz darstellen. Überdies ist die nordische Rasse daselbst mit irgendeinem prähistorischen Urblut vermischt. Das Unheimliche an den Köpfen Ibsens, sogar Bjørnsons rührt daher. Ich habe Norweger gesehen, die direkt an Trolle erinnern; andere wiederum gemahnen an Zwerge. Eben daher andererseits ihre geistige Bedeutsamkeit, wie ihre Literatur sie spiegelt; sie tragen Spannungen in sich, die den Schweden fehlen. Sind sie so außerordentlich verschwiegen, so rührt dies gewiss mit daher, dass sie unendlich viel vor sich zu verbergen haben. Das norwegische Blutserbe an sich ist jedenfalls nicht annähernd so gut wie das schwedische. Nur von Fall zu Fall könnte ich befürworten, dass ein Europäer eine Norwegerin freite. Schwedinnen heimzuführen empfehle ich demgegenüber prinzipiell. Zwar glaube ich nicht, dass sie bequeme Gattinnen darstellen. Weiche Süddeutsche zumal, die sich zu solcher Wahl entschließen, täten im allgemeinen gut, den Ratschlag zu befolgen, den mir ein Engländer in meinen jungen Jahren gab: If ever you marry, obey; it is the only way. Aber die Nachkommenschaft aus solcher Ehe wird gut.